Ein Kilometer nach dem anderen glitt unter dem Drachen dahin. Je mehr von diesem verdameleiten Distreal hinter ihm lag, desto wohler fühlte sich Horst.
Es schneite immer noch. Außerdem dämmerte es langsam. Die Sichtverhältnisse waren also nicht optimal, aber es gab ja auch keine Stufe, keine hohen Berge oder irgendwas, wo man gegenfliegen konnte. Daher trieb Horst den Drachen immer mehr an. Vor der Kälte schützte ihn der Pilotenanzug.
„Öh, wo wollen wir eigentlich hin?"
„Utanfeste."
„Was is'n das?"
„Da wohne ich."
„Hast du was zu essen da?"
„Nein."
„Ich hab seit hundert Jahren nichts mehr gegessen."
„Äh, was?"
„Seit ich in dem Buch gelandet bin. Und ein paar Stunden davor auch nicht. Ich wusste ja nicht, dass ich da landen würde, sonst hätte ich in der Taverne noch was bestellt."
„Ahja."
„Diese Komma, die wollte mir was zu essen geben, wenn ich ihr das Buch gebe."
„Und warum wolltest du dann hier mitfliegen?"
„Das war nicht meine Entscheidung."
„Sondern?"
„Das Buch wollte das. Ich wusste, dass da so eine Geheimtür zur Straße war, durch die bin ich abgehauen."
„Woher wusstest du das?"
„Vom Buch."
„Stimmt, dumme Frage."
„Es hat mir alles in den Kopf gepflanzt, was ich wissen muss. Und dazu gehört wohl auch ein Grundriss des Hauses."
„Wirst du von dem Ding dann nicht irgendwie gelenkt, wie eine Marionette?"
„Jep."
„Und ist dir das nicht unheimlich?"
„Nein."
„Mir wär das unheimlich."
„Das Buch hat mir auch in den Kopf gepflanzt, dass das nicht unheimlich ist."
In Anchishin überflog der Sekretär Pluto Mishash den Posteingang des Gouverneurs. Es gab leider nichts Neues von Promolus. Vor zwei Tagen war er aufgebrochen, um die Bestände der versteckten Lager in den Hügeln zu kontrollieren. Was machte er da bloß so lange? Er musste nur prüfen, ob die Vorräte und Notfallwaffen noch da waren. Oder was auch immer da gelagert wurde. In die Bestandslisten hatte Pluto keinen Einblick.
Der Gouverneur befand sich noch immer auf der Großfarm in Mashelchak, wo er die letzten Bauabschnitte des neuen Gewächshauses besichtigte. Letzte Woche war Pluto selbst da gewesen. Ein tolles Ding! Es hatte sogar eine raffinierte Bewässerungsanlage. Hier konnten mitten im eisigsten Winter, wenn die primitiven Bauern nur auf den Frühling warten konnten, Gurken und andres Zeug angebaut werden. Der Atem eines schlafenden Drachen wärmte den Boden. Es war einfach genial!
Während der Gouverneur in Mashelchak blieb, hatten Pluto und Zola die Aufsicht über den imperialen Stützpunkt. Wenn der Gouverneur morgen zurückkehrte und Promolus immer noch fort war, würde der Gouverneur womöglich... ungehalten werden. Pluto schauderte. Er wollte nicht, dass der Gouverneur ungehalten wurde! Ohne Zweifel war der Gouverneur ein weiser Mann, der das ausgesprochen schwer zu handhabende Distreal lenkte, so gut es eben ging, aber wenn er ungehalten wurde... nein, Promolus würde sicher längst zurück sein. Obwohl Promolus Pluto noch mehr Angst einjagte als der Gouverneuer.
Es klopfte an der Tür.
„Ja?"
Hinter der Tür erschien Hasso, der Pförtner.
„Da sind zwei Bauern oder so, die wollen was. Irgendwie wegen 'nem Aufstand."
„Aufstand?" Pluto war entsetzt. Als er seine Stelle angetreten hatte, hatte er natürlich genügend Anweisungen erhalten, was im Falle eines Aufstandes zu tun war. Aber wenn nun tatsächlich einer drohte... im Vergleich dazu erschien ja sogar Promolus harmlos! Was hatten diese Elfkommafünfer denn nur gegen eine Großfarm? Die schuf doch sogar Arbeitsplätze!
„Ruf sie rein, ich habe gerade Zeit.", erwiderte er. Seine Stimme zitterte ein wenig.
Zwei junge Menschen in abgetragenen Klamotten betraten sein Büro. Ein Mann und eine Frau. Beziehungsweise ein Bauer und eine Bäuerin. Zwei typische Bewohner des Distreals, soweit Pluto das beurteilen konnte.
„Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?"
„Äh, es gibt da so einen...", begann der Mann zögernd.
„Einen Aufstand! Ganz in der Nähe!", platzte die Frau heraus. „Sie haben hier doch einen Drachen, oder?"
„Ja...", meinte der Sektretär zögerlich.
„Ist er direkt hier? Die Leute denken das. Sie wollen ihn entführen und töten, sie denken, er ist ein Monster."
„Oh. Und wann wollen die das, also wann..."
„Heute! Oder morgen, so genau weiß ich das nicht. Aber wenn hier gar kein Drache ist, dann ist das ja nicht so schlimm."
„Doch, doch, der ist direkt in der Station hinterm Haus. Was wissen Sie denn sonst noch über diese Angelegenheit? Wie viele Elfkommafünfer sind denn darin verwickelt?"
„Viele! Können wir mit dem Gouverneur sprechen?"
„Nein, der Gouverneur ist zur Zeit in Mashelchak. Die Vize-Gouverneurin Zola ist da, Sie können mit ihr sprechen. Wie heißen Sie denn eigentlich?"
„Reshina. Und das ist Harald." Sie deutete auf den schweigsamen Mann.
„Gut. Folgen Sie mir bitte." Pluto führte die beiden über einen Flur zu Zolas Büro.
„Dort ist das Büro der Vize-Gouverneurin."
„Vielen Dank!", seufzte Reshina erleichtert. Dann, bevor Pluto irgendwie reagieren konnte, zog sie einen Knüppel oder etwas ähnliches aus der Tasche, der plötzlich sehr schnell auf den Sekretär zuraste.
„Elfkommafünfer nennt er uns!", schnaubte Harald. „Elender Antishouloushist!"
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Horst Meier und die Stange des Schreckens
FantasíaHorst lebt ein friedliches Leben in den Diensten des Stufenimperiums und koordiniert Flugpläne für Drachen. Aber weil es ziemlich langweilig wäre, nur über so ein friedliches Leben zu schreiben, gelangt Horst eines Tages zufällig an ein Buch, das sä...