Nach einigen Minuten Fußmarsch erkannte Horst einen großen hölzernen Kasten, der hoffentlich eine Scheune war. So genau kannte er sich mit Landwirtschaft nicht aus.
Als er das große Tor aufschob, spürte er ganz unerwartet einen warmen Luftstrom. Die Gehöfte wurden nicht beheizt, die Scheunen aber schon? Die Angewohnheiten der Menschen auf dem Land waren echt merkwürdig.
„Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?"
„Guten Tag. Äh. Wer sind Sie?"
An einem rustikalen Holztisch saß ein rustikaler Bauer und trank rustikalen Tee. Im Zimmer standen andere rustikale Dinge wie Strohballen, Mistgabeln und rostiges Zeug aus Metall. Der Raum konnte höchstens ein Viertel der Scheune einnehmen.
„Ich heiße Tschak. Wollen Sie einen Tee?"
„Öh, gerne."
„Sie sind nicht von hier, oder?"
„Nein."
„Woher kommen Sie?"
„Utanfeste."
„Nie gehört."
„Nein, das ist ja auch keine richtige Stadt. Bloß eine große Drachenstation."
„Dann sind Sie wohl ein Drachenreiter."
„Pilot, heutzutage sagt man Pilot. Und außerdem bin ich bloß Koordinator."
„Was'n das? Auch was mit Drachen?"
„Ja."
„Alles klar."
„Sie haben nicht zufällig einen Drachen gesehen?"
„Ja, haben wir.", grollte jemand. Ein ziemlich voluminöser Bauer betrat die Scheune. Es folgten noch einige andere. Sie trugen Mistgabeln. Und Fackeln.
„Guten Tag. Wissen Sie, wo..."
„Wissen wir."
„Und können Sie..."
„Können wir."
„Schön, dann..."
„Müssen wir aber nicht."
„Ich brauche nur den Drachen. Wo liegt denn das Problem?"
„Hast du Geld?", fragte ein dürrer, verschlagener Bauer.
„Ein bisschen."
„Kannst du uns ein bisschen unterstützen? So als Dankeschön für die nette Hilfe?", fragte Tschak, der vorhin noch selber so nett seine Unterstützung angeboten hatte.
„Naja, ein bisschen..."
„Wie viel hast du denn?"
„Fünfzig Kronen." Er hatte hundertfünfzig dabei.
„Mehr nicht?"
„Nein."
„Zeig mal deine Tasche."
Bedrohlich kam die Meute auf Horst zu.
„Wir haben nix zu essen, weißt du? Jetzt sei mal nicht so knauserig!"
Horst hatte Angst. Der Abstand zwischen ihm und den Drachendieben wuchs. Er beschloss kurzerhand, dass dieser Abstand wieder wachsen sollte. Und weil die Bauern keinerlei Anstalten machten, ihre Richtung zu ändern, musste er eben rennen.
Eine Holztür führte in ein kleines Zimmer voller Heu. Oder Stroh. So genau wusste Horst das nicht. Irgend so ein Bauernzeug eben.
Die gute Nachricht war: Die Tür ließ sich verriegeln.
Die schlechte Nachricht war: Es gab keine andere Tür.
Die andere schlechte Nachricht war: Die Tür sah nicht sehr stabil aus und wurde von der anderen Seite her offenbar schon mit verschiedensten Bauernwerkzeugen bearbeitet.
Die andere gute Nachricht war... nein, es gab leider keine.
Horst versuchte, die hölzerne Wand gegenüber der Tür zu bearbeiten. Die sah auch nicht gerade stabil aus, aber leider stabil genug. Und Werkzeuge hatte er ja auch nicht. Nur Stroh. Beziehungsweise Heu.
Warum hatte er nochmal Nithrendil hier hergebracht? Der hatte ihm das alles eingebrockt. Trotzdem machte ihn der Gedanke an ihn eher schwermütig.
Auf der anderen Seite der Wand ertönte ein Grollen. Ein wirklich lautes Grollen. Horst zuckte zusammen. Konnte da... wahrscheinlich schon ja. Der Lärm musste ihn aufgeweckt haben.
Er kramte in seiner Tasche und... ja, da war sie. Die Pfeife. Wenn der Drache sie hörte, musste er losfliegen. So war es ihm anerzogen worden. Andererseits war ihm auch anerzogen worden, keine Gebäude zu zerstören. Eventuell würde der Drache gleich in einen leichten Gewissenskonflikt geraten. Horst presste sich an die Wand neben der Tür und blies in die Pfeife.
Die Bauern hatten die Tür mithilfe von Äxten, Sensen, Hämmern und einem dicken Holzpflock fast zerstört, als sie einen Pfiff hörten. Das beunruhigte sie nicht besonders. Dann hörten sie ein lautes Bersten. Das beunruhigte sie mehr. Dann bemerkte der dicke Bauer, der in der Mitte der Tür mit seiner Axt gerade zum Schlag ausgeholt hatte, dass die Tür nicht mehr da war. Das Ding, auf das er eben geschlagen hatte, war eine Drachenschnauze, die dank seiner Axt nun keinen Maulkorb mehr trug. Und sich öffnete. Sehr weit öffnete.
Dann kam Feuer, und die Bauern hatten keine Gelegenheit mehr, beunruhigt zu sein.
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Horst Meier und die Stange des Schreckens
Viễn tưởngHorst lebt ein friedliches Leben in den Diensten des Stufenimperiums und koordiniert Flugpläne für Drachen. Aber weil es ziemlich langweilig wäre, nur über so ein friedliches Leben zu schreiben, gelangt Horst eines Tages zufällig an ein Buch, das sä...