Wie man (nicht) handeln sollte, wenn man sich ein altes Dokument ansehen will (2/6)
Anna ächzte. Über ihr, unter ihr, neben ihr, vor ihr und hinter ihr befanden sich nichts als klebrige Aktenordner. Sie kam sich schon selber vor wie eine Akte, die, einmal abgeheftet, niemand mehr anschauen würde.
Sie war gefallen. Irgendwohin. Nach unten. Genau. Man fiel ja meistens nach unten.
Irgendwie hatte der Mann mit der Laterne den Boden einstürzen lassen.
„Guten Abend.", krächzte eine dumpfe Stimme.
Anna atmete ein. Das war keine gute Idee. Staub. Viel Staub. Argh, hier gab es keine Luft, nichts als Staub. Wo war Luft? Oben? Irgendwo da über ihr, wo ihr jemand gerade einen guten Abend (was nicht zutraf) gewünscht hatte? Sie wühlte sich ein Stück nach oben, einige Ordner fielen zur Seite und... ja, das war wohl so eine Art Luft. Jetzt ging das wieder mit dem Atmen.
„Hallo? Ich weiß, dass ihr da seid.", krächzte die Stimme wieder. Dann ging irgendwo weiter hinten ein Licht an. Es beleuchtete eine dürre, gebeugte Gestalt mit einem Stock in der Hand auf einem kleinen Podest. Der Alte mit der Laterne.
„So. Öh. Herzlichen Glückwunsch, ihr seid durch eine der Fallklappen gefallen. Habt ihr bestimmt auch schon gemerkt, oder? Ja. So, und jetzt muss ich euch... verhören. Glaube ich. Bevor ich euch hier vermodern lasse."
„Bitte was?", fragte Horst erschrocken. Er musste sich weiter rechts befinden.
„Ja, genau. Das haste schon richtig verstanden. Ich lass euch hier vermodern, zwischen den ganzen Akten... bis, öh, bis... ach je, genau: Bis ihr selber zu Akten werdet und wir euch im Archiv lagern werden für alle Ewigkeit! So, hoffentlich war das der richtige dramatische Tonfall. So. Öh. Was wollte ich jetzt? Ach, ja, genau, ich soll was fragen, und zwar, öh, folgendes: Was wolltet ihr hier? Wenn ihr ehrlich antwortet und einen gewissen, öh, Respekt zeigt, dann habt ihr vielleicht noch eine Chance. Alles verstanden? Schön. Öh."
Wahrscheinlich war es am Besten, klein beizugeben. Hier würde sie eh nicht rausfinden. Aber dieser Nachtwächter schien ja geistig nicht ganz sauber zu sein. Sicher gab es eine Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, sie gehen zu lassen. Mal sehen. Einen gewissen Respekt wollte er. Na, dann würde er den fürs erste kriegen. Vielleicht sollte sie Horst da vorschicken. Was kriecherisches Gehabe anging, war er noch am besten.
Stille. Anna wandte sich in die Richtung, aus der sie Horst gehört hatte.
„Sag du mal was!", flüsterte sie.
„Okay.", antwortete er.
Nochmal kurz Stille. Gut. Gleich würde Horst erklären, dass sie alle brave Diener des Imperiums waren und gewiss nichts Böses wollten. Jedenfalls würde er im Gegensatz zu ihr nichts Doofes oder Respektloses machen, zum Beispiel tief Luft holen und den Nachtwächter aus vollem Halse auslachen.
Andererseits lachte er gerade. Aus vollem Halse.
Anna wurde daraus zunächst nicht schlau. Martin schon.
„Oje, der Käse. Jetzt setzen die Nebenwirkuhahahahaha! Achachachahahaha..."
Es nahm kein Ende. Die beiden Männer lachten den Alten aus. Um sie zu übertönen, hätte Anna schreien müssen, und das fiel sicher auch nicht unter gewissen Respekt.
Empört wandte sich der Nachtwächter um. „Das ist doch..."
„Wer ist da?", fragte eine gebieterische, jüngere Stimme.
„Drei Einbrecher. Und wer seid ihr?"
„Dozent."
„Ah, natürlich, mein Herr. Nein, Sie müssen mir doch nicht Ihren Ausweis zeigen. Bitte sehr, sie sind im Raum unter Fallklappe vier gelandet."
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Horst Meier und die Stange des Schreckens
FantasyHorst lebt ein friedliches Leben in den Diensten des Stufenimperiums und koordiniert Flugpläne für Drachen. Aber weil es ziemlich langweilig wäre, nur über so ein friedliches Leben zu schreiben, gelangt Horst eines Tages zufällig an ein Buch, das sä...