Wie man (nicht) handeln sollte, wenn man sich ein altes Dokument... (1/6)

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Wie man (nicht) handeln sollte, wenn man sich ein altes Dokument ansehen will (1/6)

Die Statue schräg gegenüber der Akademie zeigt den bekannten Generalfeldmarschall Schrieb, welcher vor zweihundertzwanzig Jahren über das Heer der Elbenfürsten von Hallo siegte. In entsprechenden Überlieferungen heißt es, der greise Schrieb soll bei der Enthüllung sehr gerührt gewesen sein, als man ihn derart geehrt hatte. Die Figur wurde vom Künstler Friedrich Malir aus Bronze gegossen. Die in den Sockel eingravierten Verse verfasste der berühmte Dichter Gomo Wolf. Er verwendete dazu das Versmaß Hexameter. Sie geben das Leben des Generals in Kurzform wieder. Die darin enthalten Informationen sind größtenteils richtig.

Hm. Bis jetzt nichts Interessantes. Ah, da!

Ursprünglich hatte der Stadtrat lediglich eine einfache Gedenkplatte zu Ehren des Generalfeldmarschalls bewilligt, da die Stadt nach dem Krieg recht knapp bei Kasse war. Jedoch entstand zu der Zeit in der Stadt und im Umland eine Falschmeldung aus unbekannter Quelle, die besagte, der Rat plante eine Statue. Diese verbreitete sich rasch, bis schließlich mehrere angesehene Bürger der Stadt den Ratsherren zu ihrer Großzügigkeit beglückwünschten. Daraufhin sah sich der Rat genötigt, die Statue zu errichten.

Die Statue stand hier wegen einer Ente? Großartig, das war doch was!

Roman Goto klappte sein Buch zu und sah sich um. Da stand sie ja, umgeben von Bäumen, auf der rechten Seite des Platzes. Hinter ihr ragte die riesige Akademie auf. Roman mochte die Akademie, und er mochte diesen Platz. Es war einfach, den Besuchern der Stadt etwas über die Akademie zu erzählen, denn man hatte alles in die weiße Fassade eingemeißelt: Das Jahr, in dem die Akademie gegründet worden war, das, in dem man sie umfassend renoviert hatte, und das, in dem sie den Vertrag mit dem Imperium eingegangen war. Überall befanden sich Statuen mit den Gründern, Stiftern und den berühmtesten Vertretern des Hauses, mit den entsprechenden Daten. Er musste überhaupt nichts auswendig lernen.

Nun, wieder einmal hatte er sich ein wenig weitergebildet, aber jetzt musste er nach neuen Kunden suchen. Überall auf dem Marktplatz priesen Stadtführer ihre Führungen, und viele fanden rasch Kunden. Aber um sich in diesem Gewühl durchzusetzen, musste man sich hervorheben, sich etwas Besonderes einfallen lassen. Und das hatte Roman Goto getan. Viele Stadtführer wussten bereits, dass es immer gut ankam, ein paar lustige Anekdoten und halbwahre lustige Fakten in die Führung einfließen zu lassen.

Roman hatte nun entdeckt, dass diese lustigen Fakten bei den meisten Leuten besser ankamen als der Rest. Und deshalb hatte er seit einer Weile beschlossen, Stadtführungen anzubieten, die nur aus lustigen Fakten bestanden.

Rasch schlängelte er sich durch die Menschenmassen. Da, eine vierköpfige Familie – ach nein, da war wohl einer seiner Kollegen schneller gewesen. Da, der Mann stand allein und verwirrt herum – aber der sah zu arm aus, als das er sich eine Führung leisten könnte. Da, anscheinend ein junges Paar oder so – mit Schwiegervater. Oder, nein, eher mit Schwiegeropa. Los!

„Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?"

„Vielleicht.", meinte die Frau. Offenbar hatte sie hier die Hosen an. „Wissen Sie, wann die Akademie für Besucher geöffnet ist?"

„Jeden Tag, glaube ich. Immer nachmittags."

„Vielen Dank."

„Wussten Sie, wer die Akademie gestiftet hat?"

„Das waren diese zwei Grafen, oder?", überlegte die Frau.

Damit hatte Roman nicht gerechnet. Die war wohl schon hier. Entweder hatte sie hier gelebt oder vor einiger Zeit schon mal eine Führung gemacht.

„Genau, sie kennen sich aus. Und dann waren da noch die drei reichen Kaufleute. Zwei von denen waren so reich, weil sie die größten Bordelle der Stadt besaßen. Also verdanken wir die Hochgelehrte Akademie zu einem großen Teil den fleißigen Huren von Briks."

Roman dachte noch einmal kurz nach. War das vielleicht doch nicht der ideale lustige Fakt bei einem jungen Paar? Andererseits war er sich nicht mehr so sicher, ob das überhaupt ein Paar war.

Der Schwiegeropa kicherte. Na, wenigstens einen hatte er damit angesprochen.

Anna wandte sich an Horst: „Gut, dann gehen wir am Nachmittag gleich hin, oder?"

„Okay."

„Wollen Sie dann vielleicht den Vormittag mit einer Stadtführung verbringen? Ich kenne die außergewöhnlichsten Anekdoten über Briks. Zum Beispiel die Statue da drüben..."

„Tut uns leid, aber wir müssen uns erst einmal ein Zimmer suchen.", meldete sich Horst zu Wort.

„Und morgen?", fragte Roman verzweifelt.

„Nein, wir haben hier etwas Wichtiges zu erledigen.", stellte die Frau klar.

Verärgert blieb Roman Goto zurück. Na schön, sagte er zu sich, was lernen wir daraus? Nie wieder Prostitution gegenüber potentiellen Verlobten erwähnen! Das war das Tolle am Beruf des Stadtführers: Man lernte nie aus.

Horst Meier und die Stange des SchreckensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt