Welche coolen Arten von Actionszenen durch Drachen ermöglicht werden (6/7)

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„Sie haben ihn! Sie haben ihn!"

Horst erwachte unfreiwillig, als Martin anfing zu schreien. Er zog eine gequälte Grimasse. Am Horizont dämmerte es erst ganz leicht. Horst war kein Langschläfer, aber um die Zeit sollte wirklich kein Vernünftiges Wesen wach sein!

„Was is?"

„Sie haben einen Drachen." Martin hatte sich auf seinem Nachtlager aufgerichtet und starrte Horst durchdringend an. „Die ganzen Widerstandsleute!"

„Wieso das denn?"

„Sie haben einen imperialen Stützpunkt in der Nähe überfallen. Dann haben sie alle niedergeschlagen und den Drachen mitgenommen!"

Martin wirkte hundertprozentig überzeugt.

„Hattest du einen Albtraum?" Das schien Horst die griffigste Erklärung zu sein.

„Ich weiß das. Das war nämlich gerade die Stelle, wo was los ist."

„Selbst wenn sie einen Drachen haben, sie können den doch gar nicht fliegen."

„Nee, aber sie haben den Piloten bedroht, damit der den für sie steuert."

Nervös stand Horst auf. Sie kampierten in einer öden Steppe, nur einen Kilometer von der Kante entfernt. Den ganze Abend lang hatte Horst den Drachen angetrieben, aber am Ende musste er einsehen, dass sie nicht mitten in der Nacht die Stufe herunterfliegen konnten. Schupperschnupper war komplett am Ende. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal sofort am Morgen losfliegen können. Für einen Stufenflug sollte ein Drache eigentlich erholt sein. Das war beileibe nicht nur im Interesse des Drachen.

Gereizt packe Horst seinen Notfall-Schlafsack zusammen. Der Drache schlief tief und fest und würde sich so schnell nicht wecken lassen.

Martin saß im Schneidersitz auf dem steinigen Boden und blätterte im grünen Buch.

„Kannst du das lesen?"

„Nö."

Mal sehen, was für ein abgefahren absurdes Zeug der antwortet, wenn ich ihn frage, warum der dann im Buch blättert, dachte Horst.

„Warum blätterst du dann im Buch?"

„Mir ist langweilig."

„Ah. Nur deswegen?"

„Jep."

Nachdenklich starrte er auf eine Seite. Dann blätterte er um. Noch mehr mysteriöse Quadrate.

„Kann ich mal?"

„Hm. Na gut."

„Ich mach schon nichts kaputt. Aber das Buch ist bestimmt sowieso unzerstörbar."

Horst schlug eine Seite auf. Das Papier war völlig weiß, kein bisschen vergilbt. Es fühlte sich recht dick und stabil an, soweit sich Papier eben stabil anfühlen kann.

„Wieso unzerstörbar?"

„So mächtige Gegenstände sind doch meistens unzerstörbar. Diese Stange zum Beispiel – die kann man sonst wo hinschmeißen, und trotzdem kein Kratzer."

„Also, wenn das Buch unzerstörbar ist, dann hat es mir das nicht gesagt."

Und noch mehr Quadrate... Horst hatte einmal gehört, dass es Methoden gab, wie man Geheimcodes entschlüsseln konnte. Fräulein Hüpsch hatte ihm etwas darüber erzählt. So etwas hatte sie an ihrer Sekretärinnen-Akademie gelernt. Man musste gucken, welcher Buchstabe am häufigsten im Text auftauchte und welcher am häufigsten in der normalen Schriftsprache auftauchte. Das war dann wahrscheinlich der gleiche. Und dann musste man nur noch nach den kurzen Wörtern mit zwei oder drei Buchstaben gucken, in denen der Buchstabe vorkam, denn bei denen gab es dann ja gar nicht so viele Möglichkeiten. Und wenn man die kurzen Wörter raushatte, hatte man ja noch mehr Buchstaben und dann konnte man etwas längere Wörter erraten und immer so weiter... klang ja ganz einfach.

Das Problem war nur... oder vielmehr, die Probleme waren nur, dass sich Horst gar nicht sicher war, welches Zeichen am häufigsten im Text vorkam. Er hatte auch nichts zum Schreiben da, um eine Strichliste zu führen. Und es war auch nicht so deutlich zu erkennen, wo im Text ein neues Wort begann. Die Abstände der Quadrate variierten andauernd, aber so ganz genau war nicht erkennbar, was denn nun schon eine Leerstelle war und was nicht. Und... ach ja, noch ein Problem: Höchstwahrscheinlich war der Text sowieso in einer unbekannten Sprache verfasst, nicht nur in unbekannten Schriftzeichen.

Seufzend wollte Horst aufstehen. Er hatte sich hingesetzt und das Buch auf seine knie gelegt. Als er aufstand , rutschte ihm das Buch von den Knien. Bis auf die Seite, die er immer noch in der Hand hielt, die blieb nämlich in seiner Hand trennte sich mit einem leisen Ratsch vom Rest des Buches ab.

Martin schaute sich gerade den schlafenden Drachen an. Zum Glück hatte er nichts mitbekommen.

Erschrocken starrte Horst auf die herausgerissene Buchseite. Soviel zum Thema unzerstörbar.

Käpt'n Grünwolf hatte sich damit abgefunden zu sterben. Das schien ihm das vernünftigste zu sein, da er gegenwärtig mit einem ausgesprochen erschöpften Drachen unmittelbar neben der Kante flog, und das deutlich schneller, als es offiziell erlaubt war. Hinzu kam, dass ihm ein Messer an die Kehle gedrückt wurde, und zwar von jemandem, dem die Geschwindigkeit immer noch zu niedrig war. Irgendetwas schimmerte bunt. Grünwolf war ein guter Pilot, einer der besten während der Ausbildung damals, aber das war ihm doch zu viel.

Er hieß natürlich nicht wirklich Käpt'n Grünwolf. Diesen ausgesprochen coolen Spitznamen hatte er sich damals auf der Piloten-Akademie in Myoshiniklishaljak zugelegt. Die Piloten eines sehr großen Drachen wurden manchmal wirklich als Kapitäne bezeichnet, das mit dem Wolf klang wild und gefährlich, und das Grüne war eine offensichtliche Anspielung auf seine Haarfarbe. (Grünwolfs Vorfahren stammten vom Volk der Sprudelzwerge ab. Dieses seltsame Volk lebte in der Nähe der Chlorquellen, hoch oben in den Bergen des Monströsen Massivs. Durch regelmäßige rituelle Waschungen erhielten sie ihre außergewöhnlichen grünen Haare, auf die sie sehr stolz waren.)

Im Moment war Käpt'n Grünwolf weder wild noch gefährlich. Er hatte ungeheure Angst vor der Frau, die ihm das Messer in die Kehle drückte.

„Bist du ganz sicher, dass sie nicht schon unten sind, Drakonist?", raunte sie mit ihrer vibrierenden Stimme.

„Nee, das geht gar nicht. Man kann doch nicht an einem halben Tag von Distreal..."

„Sage es nicht!"

„Was?"

„Wir sind kein Distreal! Wir sind Chouloushimajka! Dann besteht also kein Zweifel, dass sie hier irgendwo an der Kante sind?"

„Wär logisch, ja. Ich würd sagen, wir fliegen einfach einmal an der Kante hier lang, dann finden wir sie am ehesten."

Da er den Tod ohnehin akzeptiert hatte, erschien es ihm nicht mehr allzu gefährlich, der Frau mit dem Messer eine Frage zu stellen. Obwohl die Frage irgendwie andeutete, dass er den Tod doch noch nicht so ganz akzeptiert hatte. Na, was auch immer.

„Wenn sie die Leute gefunden haben, darf ich dann gehen?"

„Mal sehen."

Hm. Das klang ja gar nicht so schlecht. Andererseits flog er immer noch mit dieser unmenschlichen Geschwindigkeit, während der Drache immer mehr keuchte und hustete. Zwischen den Lederriemen seines Maulkorbs quoll Rauch hervor. Eventuell war es doch besser, sich damit abzufinden. Andererseits... sie hatte „mal sehen" gesagt. Argh, das war ja nicht zum aushalten! Wie sollte man sich denn bitte in Ruhe mit dem Tod abfinden, wenn immer noch diese verdammte Hoffnung auf Leben bestand?

Hinter der Messerfrau saßen die beiden anderen Drachenentführer, ein Mann und eine Frau, beide etwas jünger und ebenfalls bewaffnet. Eine Drachenentführung war der Albtraum jedes Piloten. Käpt'n Grünwolf wusste nicht einmal, was die drei vorhatten, außer dass sie offensichtlich jemanden suchten, der gestern Abend zur unteren Stufe aufgebrochen war.

Er hoffte nur, sie würden den Drachen nicht auf eine Stadt oder auf einen großen imperialen Stützpunkt stürzen lassen. Das hatten vor langer Zeit schon einmal ein paar fanatische Zwerge versucht, die ihr Leben so opfern wollten, um ihre heimatlichen Berge vor dem Imperium zu schützen. Wenn man den Drachen schmerzhaft malträtierte und vorher am besten noch mit ausreichend scharfen Gewürzen gefüttert hatte, explodierte er dabei und es würde tausende Opfer geben, vom finanziellen Schaden des Imperialen Drachennetzes ganz zu schweigen. Hoffentlich wussten die das mit den Gewürzen nicht!

Horst Meier und die Stange des SchreckensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt