Wen man befragen sollte, um an einigermaßen zuverlässige Informationen... (3/5)

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Wen man befragen sollte, um an einigermaßen zuverlässige Informationen zu kommen (3/5)

Anna war irgendwie enttäuscht. Wenn sie schon jemanden bestachen, sollten sie es ruhig richtig machen. Na, dafür hatten sie Geld gespart.

„Fliegen wir jetzt nach Hallo?", fragte sie.

„Definitiv nicht.", entgegnete Igro. Vorsichtig schlich er sich um die Ecke eines Zeitungsstandes, wo er seinen Teppich abgestellt hatte. Er klemmte sich die Rolle unter den Arm.

„Guck mal zur freundlichen Dame von eben. Was tut sie?"

„Hm. Sie schreibt, glaube ich."

„Sehr gut. Ich kenne Donald Dark. Ein bisschen jedenfalls."

„Und?"

Igro trat zu einem der riesigen Fenster der Station. Es war angekippt. Mit aller Kraft drückte er es weiter auf, bis er keuchte.

„Und jetzt?"

„Sie verkauft eine Flugkarte. Ah, jetzt schreibt sie wieder."

„Gut. Wenn Donald Dark so dumm ist, jemanden zu bestechen, dann macht er es richtig."

Anna begriff.

„Heißt das, sie sollte sagen, dass er nach Hallo geflogen ist?"

„Exakt."

„Und dann schreibt sie jetzt wahrscheinlich..."

„Unserem lieben Dozenten Doktor Dark."

„Jetzt holt sie eine Brieftaube aus dem Käfig."

„Perfekt. Komm auf den Teppich!"

Anna tat wie geheißen. Igro packte die Fransen.

„Ducken!"

Anna tat wieder wie geheißen. Einen Zentimeter über ihrem Kopf sauste der Fensterrahmen über sie hinweg.

Der Teppich schwebte vor der Drachenstation.

„Meinst du nicht, das könnte irgendwem auffallen?"

„Doch, aber das macht nichts. Seit ich in Briks bin, fliege ich jeden Tag irgendwo wild rum."

„Wieso?"

„Och, dann kann ich frische Luft schnappen. Außerdem hält mich dann jeder für exzentrisch, sodass es nicht weiter auffällt, wenn ich mal wirklich dringend wild herumfliegen muss. Was irgendwie öfter vorkommt, seit du aufgetaucht bist."

„Danke."

„Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment war."

„Aus dem Fenster da drüben flattert eine Brieftaube."

„Wo? Ah, da. Perfekt. Wir folgen ihr, und bald schon hast du deine Prüfungen."

Die kleine Taube kam aus dem großen Bahnhofsgebäude geflattert. An dieser Wand war sie noch recht gut zu erkennen. Schwieriger wurde es dann, als sie auf die Plattformen zuflog, denn eine Taube unter lauter Drachen zu erkennen ist schon... schwierig. Wenn sie doch nur Horsts gute Augen hätte, dachte Anna.

Es war ganz offensichtlich keine sehr intelligente Taube, denn es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie aus all den Drachen herausfand und die (hoffentlich) richtige Richtung einschlug. Mehrmals hätten sie sie fast aus den Augen verloren.

Dann flog die Taube über die Dächer von Briks und verließ die Stadt in Richtung des Treppauf-Tores. Sie flatterte über die grünen Hügel, die ganz langsam höher wurden. Dörfer und Gehöfte waren als kleine Tupfen zu erkennen. Nach einer halben Stunde hatten sie den Stress und die Enge der Großstadt fast vergessen, denn die Aussicht war einfach zu idyllisch.

Anna drehte sich noch einmal um. Erst vor kurzem war sie in die Stadt zurückgekehrt, und jetzt ging es gleich wieder raus. Sie hatte aber auch ein turbulentes Leben, seit Horst... was auch immer er die drei Tage auf der oberen Stufe gemacht hatte. Als sie die Stadt betrat, hatte sie gehofft, ihre Eltern zu sehen... ach ja, die saßen ja immer noch im Gefängnis. Oder lebten sie überhaupt noch?

Langsam wurde es kühler. Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Bald musste die Sonne untergehen.

„Wie lange dauerts noch?"

Sofort ärgerte sich Anna über die dämliche Frage. Woher sollte Igro denn wissen, wo die olle Taube hinflog?

„Nicht mehr lange."

Na, das hatte er jetzt wahrscheinlich nur gesagt, um sie zu vertrösten wie ein ungeduldiges Kind.

„Dark wollte, dass wir denken, er würde nach Hallo fliegen. Das ist ein gutes Stück weg in Richtung des Meeres. Dann hat er in Wahrheit bestimmt das Gegenteil gemacht: Er ist nicht allzu weit weg von Briks gereist."

Oder auch nicht.

Es donnerte. Igro zuckte zusammen. Anna musste grinsen.

„Hast du Angst vor Gewittern?"

„Ja, hab ich."

„Aha. Hatte ich als Kind auch."

„Weißt du, wo ein Blitz einschlägt? Also ein natürlicher, wenn das Gewitter nichtmagischer Art ist."

„Öh, wo es am höchsten ist, oder?"

„Genau. Wir befinden uns gerade auf einem fliegenden Teppich, der höher ist als alles andere."

„Ah. Oh. Äh, ja."

In der Ferne zuckte ein Blitz, leider einige Sekunden zu spät. Hätte er geblitzt, als Igro die unheilvollen Worte Wir befinden uns gerade auf einem fliegenden Teppich, der höher ist als alles andere. gesprochen hatte, wäre der Effekt besser rübergekommen.

„Sollten wir dann nicht landen?", fragte Anna besorgt.

„Das sollten wir. Allerdings verlieren wir dann die Taube."

Der kleine Vogel flog irgendwo weiter vor ihnen, anscheinend mitten in die dicken schwarzen Wolken hinein. Wie gesagt, keine sehr intelligente Taube.

„Hm.", meinte Anna.

In der Ferne donnerte es lauter, der ganze Himmel brodelte. Nur ein oder zwei Kilometer weiter waren die Wolken nach unten merkwürdig ausgefranst, der Himmel verschwommen – dort musste es in Strömen regnen.

„Wir befinden uns gerade in einem tragischen Konflikt. Ein Konflikt zwischen zwei einander ausschließenden Verbindlichkeiten. Auf der einen Seite wollen wir landen, vernünftig sein, unser Leben retten und auf unsere eigene Sicherheit achten. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch die Taube verfolgen, deine Prüfungen finden, das Buch entziffern und unsere Pflicht erfüllen. Und beides gleichzeitig geht nicht. Tja."

„Tja."

„Ins Gewitter?"

„Ins Gewitter."

Kurze Zeit später setzte die Taube zum Landeanflug an. Anna und Igro waren so erleichtert, dass sie kaum mitbekamen, wie ein Blitz ihren Teppich verbrannte und sie selbst zu Boden stürzten.

Manchmal ist der sichere Weg der bessere.

Oder auch nicht.

Keine Ahnung, das lässt sich einfach nicht verallgemeinern.


Horst Meier und die Stange des SchreckensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt