Wer genau da gerade im letzten Kapitel aufgetaucht ist (4/5)

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Drei Stunden später trafen sich alle vier im alten Drachenturm.

Unter Horsts Füßen knarrten, knirschten, ächzten, stöhnten und krächzten die hölzernen Stufen. Wer auch immer diesen Turm gebaut hatte, Horst hasste ihn aus tiefster Seele.

Das Ding war eng. Eng war gar kein Ausdruck dafür, wie verdammt... eng das Ding war. Es gab natürlich enge Türme mit engen Wendeltreppen, wo man nach einer Weile einen Drehwurm bekam. Aber dieser Turm war selbst für eine vernünftige Wendeltreppe zu eng. Jede Runde der Treppe bestand gerade mal aus vier Stufen, eine für jede Ecke des Turms. Und trotzdem musste man den Körper ständig irgendwie drehen und winden, damit er überhaupt durchpasste. Die Stufen waren ziemlich hoch; Martin reichten sie fast bis ans Knie. Und, ach ja, die Decke, beziehungsweise die nächsten Stufen über ihren Köpfen, waren niedrig, ducken musste man sich auch noch.

Ständig knirschte irgendwas, Staub rieselte und brachte die tapferen Treppensteiger zum Husten. Nach elf Stufen erschien es Horst gut möglich, dass das ganze Ding bald mit ihnen drin einstürzen würde. Nach zwanzig Stufen erschien ihm alles andere unmöglich. Nach exakt hundert Stufen waren sie oben.

Von den Fensterscheiben waren nur noch ein paar scharfkantige Stücke in den Ecken übrig. Die Pulte waren verstaubt und zerfallen. Die Signalanlagen sahen völlig veraltet aus. Solch eine Mechanik benutzte das Drachennetz schon seit Jahren nicht mehr.

Die Aussicht war beeindruckend, aber irgendwie auch ernüchternd. Briks war eine schöne, kulturell reiche und moderne Stadt, jedenfalls hatte Horst das immer gehört. Wenn man auf dem Hochgelehrten Platz zwischen Tempeln, Palästen und der Akademie stand, dann konnte man das gut und gerne glauben. Aber von hier oben war die Wahrheit nicht zu übersehen: Ein Meer von einfachen Häuser, ein Wirrwarr aus dunklen Gassen, mit ganzen Stadtvierteln voller Bruchbuden, aus denen nur hier und da strahlend weiß ein Turm oder eine Kuppel hervorragte.

„Ich sehe, Sie sind auch eingetroffen. Sie sind ja pünktlich auf die Minute da. Sehr schön, hm, dass Sie pünktlich auf die Minute da sind."

Dieser Zauberer wiederholte sich irgendwie ziemlich oft. Von allem, was er sagte, konnte man gefühlt die Hälfte streichen, überlegte Horst.

Anna und Igro Igrorowitsch saßen auf zwei grauen Sesseln, aus denen die Polsterung quoll. Horst und Martin holten sich ebenfalls einen heran. Dann ergriff wieder Igro das Wort.

„Ich bin hier, um zu helfen. Und ich helfe Ihnen sehr gerne. Aber dafür müssen Sie mir vertrauen. Fräulein Hüpsch meinte, sie wolle ohne Ihr Einverständnis nichts von ihren Plänen und Geheimnissen verraten. Das respektiere ich natürlich. Aber jetzt sind Sie ja da. Also, ich will Sie zu nichts drängen, aber denken Sie nach: Je mehr Sie mir vertrauen, desto besser kann ich Ihnen helfen."

„Haben Sie nach Doktor Dark gefragt?", unterbrach ihn Anna.

„Hab ich. Aber zuerst sind Sie dran."

„Na gut. Zeigen wir es ihm?", fragte Anna.

„Das Buch hat nichts dagegen, glaube ich. Sonst hätte es verhindert, dass wir hierher gelangen.", meinte Martin.

„Na gut.", gab Horst nach. Der Zauberer sah einfach zu vertrauenswürdig aus.

Martin holte zwei Dinge aus seinem Umhang: Die Stange und das Buch mit sämtlichem Wissen des Universums. Entsprechend angespannt und still war es. Der Zauberer beugte sich darüber. Er griff nach dem Buch, schlug es auf, blätterte ein wenig darin herum, runzelte die Stirn – und legte es wieder hin. Dann griff er nach der Stange. Er sah den weißen Punkt – und holte laut pfeifend Luft.

„Ist das das, was ich denke?", fragte er.

„Was denken Sie denn?", entgegnete Anna.

„Was denken Sie denn, was ich denke?", grinste Igro.

Horst Meier und die Stange des SchreckensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt