Kapitel 5.

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Gelangweilt starrte ich in das aufgeschlagene Buch vor mir. Ab und zu wendete ich meinen Blick dem Professor zu oder schaute mich in dem großen Hörsaal um. Einige der Studenten sahen den älteren Heeren mit den grauen Haaren und dem Schnurrbart interessiert an, während andere mit ihren Handys oder anderen Dingen beschäftigt waren. Leises Flüstern, welches aber von der lauten Stimme des Professors übertönt wurde, durchströmte den Raum. Normalerweise würde ich die Worte meiner Professoren zusammengefasst mitschreiben, jedoch war ich zu Abgelenkt, um mich nur annähernd auf mein Studium zu konzentrieren. In meinem Kopf schwirrten zu viele Gedanken rum, Gedanken, die mich teilweise verwirrten. Es war eine Ewigkeit her, seit ich mir das letzte mal den Kopf über meine Eltern zerbrochen hatte. Es war Ewigkeiten her, seit ich das letzte mal über ein Mädchen nachdachte. Es war Ewigkeiten her, seit das letzte Mal in dieser Phase war, in der mir meine Zukunft egal war. Als ich das letzte Mal mit meiner Mutter gesprochen hatte, war ihr mein Vater und sein Wohlergehen noch völlig egal und jetzt durchforstete sie das Telefonbuch nach meiner Festnetznummer und lies meinen besten Freund ausrichtet, dass sie mit mir über meinen Vater sprechen müsste. Noch vor zwei Wochen verbrachte ich meine Freizeit nicht damit mir meinen Kopf über ein Mädchen zu zerbrechen, welches ich per Zufall an einer Bushalte stelle getroffen hatte. Das schlimme an diesen Gedanken an sie war, dass ich den Grund für diese riesige Vorfreude auf ein Wiedersehen und dieses stundenlange Gestarre auf mein Handy nicht verstehen konnte. Natürlich war ich mir darüber bewusst, dass sie mir etwas bedeuten musste, jedoch wusste ich nicht wie das sein konnte. Ich lernte sie als Mülleimer-tretenden-Assi kennen, ich unterhielt mir mit ihr, lernte sie etwas besser kennen und schließlich wurden wir Freunde....Waren wir denn überhaupt befreundet? Ich meine, wir schrieben täglich miteinander, aber machte uns das denn wirklich zu Freunden? Wollte ich denn überhaupt eine Freundschaft? Es waren Fragen über Fragen, die ich mir stellte. So viele Fragen, dass ich den Gedanken an meine Studium verlor. Am Wochenende hatte ich nicht einmal meine Nase in ein Buch gesteckt und gebüffelt, genau wie die letzten beiden Tage. Natürlich hatte ich meinen Roman gelesen, aber was brachte ein Lesbenroman einem schon bei einem Journalismus-Studium? Prinzipiell würde es einem schon etwas bringen, wenn man Recherchen zu Homosexualität anstellen sollten, aber ich würde vermutlich äußerst wenig recherchieren müssen. Ein Tippen auf meiner Schulter weckte mich aus meinen Gedanken. Ein Mädchen aus meinem Kurs, sie hatte langes schwarzes Haar, lächelte mich freundlich an. Sie hielt einen Stapel Bücher fest an sich gedrückt und zupfte mit ihrer freien Hand immer wieder an dem Träger ihrer Umhängetasche, die dabei war ihr von den Schultern zu rutschen.

"Ähm...die Vorlesung ist zu Ende" freundlich strahlte sie mich mit ihren Kastanienbraunen Augen an.

"Oh..äh..ja, danke" kurz schweifte mein Blick durch den Raum. Die meisten Studenten hatten ihn bereits verlassen, während andere gerade auf dem Weg nach draußen waren. Selbst der Professor sammelte eilig seine Unterlagen zusammen und stopfte sie in seine lederne Umhängetasche. Schnell packte ich meine Sachen ein und stand auf. Das Mädchen stand immer noch vor mir. Zusammen verließen wir den Hörsaal und liefen die langen Flure entlang. Eine unangenehme Stille herrschte zwischen uns beiden und ich wünschte sie hätte mich niemals darauf hingewiesen, dass die Vorlesung zu Ende war.

"Ich heiße übrigens Nina" lächelte sie mich an.

"Emilia" sagte ich unsicher.

"Schöner Name" gab sie mit freundlicher Stimme von sich.

"Danke"

"Du bist nicht sehr gesprächig, oder?" lachte sie. Kurz sah ich sie an, ehe ich wieder nach vorne.

"Nein" ich verschnellerte meine Schritte. Kurz blieb die Studentin zurück, ehe sie mich wieder einholte. Wir liefen durch die große Tür nach draußen.

"Schade eigentlich" lächelnd sah sie mich an.

"Jap, ich muss dann gehen. Tschau" verabschiedete ich mich.

"Tschau" rief sie mir leicht enttäuscht hinterher. Manchmal hasste ich mich für meine Unfreundlichkeit, aber es war Mittwoch. Ich musste nach Hause und mich fertig machen. Außerdem musste ich noch die Wohnung aufräumen. Mein Zimmer hatte ich bereits gestern aufgeräumt. Es lag nur noch ein wenig Dreckwäsche rum. Mein Weg führte mich zum nahe gelegenen Bahnhof. Meine Bahn kam gerade am Gleis an, als ich es betrat. Schnell stieg ich ein. Ich ließ grobe Blicke durch die Bahn schweifen. Es gab scheinbar keine unbesetzten Plätze mehr. Ich entschied mich dazu lieber zu stehen, als mich zu jemand fremden zu setzen. Die Fahrt dauerte sowie so nicht lange.

Als ich schließlich wieder zu Hause war, achtete ich darauf meine Schuhe und meine Jacke nicht einfach in der Gegend rum liegen zu lassen. Meine Tasche stellte ordentlich neben meinem Schreibtisch ab. Leicht gestresst lief ich ins Wohnzimmer. Alex drehte sich zu mir um und nickte kurz.

"Hi" sagte ich.

"Hey, keine Sorge, ich bin gleich weg."

"Ich hab doch gesagt, dass du nicht extra gehen musst. Sie kommt außerdem erst in einer Stunde." erklärte ich ihm.

"Und ich habe dir gesagt, dass ich mich sowie so mit einpaar Kumpels treffe" eindringlich sah er mich an, ehe er kurz in seinem Zimmer verschwand. Mit seinem Handy in der Hand kam er wieder raus. Und flitzte in die Küche.

"Du hättest wenigstens aufräumen können" murrte ich.

"Jaja, ich weiß. Hab ich aber nicht" meinte er grinsend, ehe er wieder in den Flur ging und sich seine Schuhe und Jacke anzog.

"Viel Spaß, Em" meinte er, ehe er durch die Tür verschwand.

"Dir auch" murmelte ich leise. Tief atmete ich durch, ehe ich in die Küche ging. Im Spülbecken häuften sich Tassen und Teller. Seufzend begann ich die Spülmaschine auszuräumen und anschließend wieder einzuräumen. Schnell wischte ich mit einem nassen Lappen über die Arbeitsplatten und über den Tisch. Kurz sah ich mich im Raum um, ehe ich begann den Rest der Wohnung zu putzen.

Nach einer halben Stunden war ich tatsächlich fertig. Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr. 15:40, Yasmin würde in 20 Minuten da sein und ich wollte noch duschen. Schnell sprintete ich ins Bad, schloss die Tür hinter mir. Meine Klamotten lagen dieses Mal ordentlich auf dem Klodeckel. Eigentlich hatte ich gehofft, dass eine Dusche mich beruhigen würde, aber sie minimierte meine Nervosität nur wenig. Ein Klingeln an der Tür ließ mich aufschrecken. Nein, sie kann doch nicht jetzt schon da sein. Sie ist mindestens 10 Minuten zu früh! Panik stieg in mir auf. Ich drehte das Wasser ab und ignorierte die Tatsache, dass meine Haare noch leicht schaumig waren. Schnell trocknete ich mich ab. Erneutes Klingeln. Ich griff nach meinem Bademantel, zog ihn mir an und huschte in den Flur. Ein Klopfen an der Tür.

"Emilia? Bist du da?" es war eindeutig Yasmin. Ihre Stimme würde ich überall wieder erkennen. Tief atmete ich durch, ehe ich die Wohnungstür öffnete.

"Hi" sagte ich blitzschnell. Die Brünette musterte mich kurz mit einem Grinsen im Gesicht. Wärme stieg in meine Wangen.

"Hey" sagte sie. "Trägst du immer dieses..." scheinbar suchte sie nach einem passendem Wort. "dieses atemberaubende Outfit, wenn du Besuch bekommst?" lachte sie. Ich starrte sie leicht beschämt an. "Kann ich rein kommen oder soll ich hier im Treppenhaus vergammeln?" grinste sie.

"Äh, ja entschuldige ich...ähm" ich trat zur Seite und ließ Yasmin in die Wohnung, ehe ich die Tür schloss.

"Du hast da übrigens ein bisschen Schaum im Haar" meinte sie.

"Ja und du bist zu früh"

"Ach komm, 10 Minuten. Ich kann ja nichts dafür, wenn du meinst im letzten Moment noch duschen zu müssen" sie biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe sie laut los lachte. "Emilia, sieh mich nicht so geschockt an"

"Äh, ja sorry. Wäre es okay für dich, wenn ich mich schnell anziehe und du es dir so lange schon mal gemütlich machst?"

"Klar" lächelte sie. "Wohin?"

"Mir egal. Wir können in mein Zimmer, ins Wohnzimmer. Such es dir aus. Mein Zimmer ist die Tür hinter dir und das Wohnzimmer ist die Tür am Ende des Flures" erklärte ich.

"Okay" meinte sie. Ich verschwand darauf im Badezimmer und lehnte mich gegen die geschlossene Tür. Gott, war das peinlich. 

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Ich bedanke mich schon mal für jegliche Art von Kritik :)

The girl from the bus stop I girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt