Kapitel 30.

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Vertieft in den Stoff aus der Uni saß ich da, markierte ab und zu einige Zeilen und Stichwörter und bemerkte nicht, dass Emilia grinsend vor mir stand. Sie räusperte sich kurz, was mich vor Schreck zusammen zucken ließ. Ich legte meine Hand auf mein Herz und rollte mit den Augen, als Emilia begann zu lachen. Ich setzte einen gespielten beleidigten Blick auf und wartete, darauf, dass sie sich beruhigen würde.

"Haha. Wie lustig, Emilia. Wie lustig." seufzte ich.

"Ich wusste gar nicht, dass du eine Brille trägst." sagte sie, als sie sich gefangen hatte. Ich zog die Brille von meiner Nase und legte sie zurück ins Etui.

"Nur in der Uni und zum lernen." berichtete ich ihr.

"Sieht süß aus." Sie strich mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich versank in ihren Augen und kam aus dem Starren nicht mehr raus. "Wollen wir?" Emilias Hand streichelte meine Wange und ab und zu fuhr ihr Daumen über meine Unterlippe.

"Wir können gehen." sagte ich und packte meine Sachen in die Tasche, ehe ich aufstand. Hand in Hand verließen wir das kleine Café und schlenderten eine Weile still schweigend durch die Innenstadt.

"Du meintest du müsstest dringend was mit mir besprechen." sagte Emilia nach einer Weile und sah mich fragend an. Ich nickte und atmete tief durch.

"Ich werde nach Amerika gehen." hauchte ich leise. Emilia blieb auf der Stelle stehen und öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, jedoch durchkreuzte ich ihre Pläne und sprach weiter. "Aber ich werde höchstens drei Monate weg sein. Ich weiß, dass das viel ist, aber Grandma hat nur noch ein bis zwei Monate und ich würde solange gerne noch bei ihr sein und an der Beerdigung Teil haben." Ich holte tief Luft, da ich relativ schnell gesprochen hatte. Ein Ziehen in meiner Brust machte sich stark bemerkbar und ich musst mich bemühen die Tränen zu verdrängen. Ich hatte nie viel Kontakt zu meiner Großmutter in den Staaten gehabt und ich kannte sie auch kaum, aber sie lag mir trotzdem am Herzen. Mit einer Kopfbewegung bedeutete ich Emilia weiterzugehen.

"Das heißt..." begann sie nach kurzem Schweigen "wir würden in der Zeit eine Fernbeziehung führen?"

"Das ist das was ich mir vorgestellt hatte. Die Frage ist nur, ob du das auch willst?" Wir bogen um die nächste Ecke und begaben uns langsam raus aus der Innenstadt, nur um einen kleinen Park zu betreten. Wieder schwieg Emilia.

"Ich will dich, Yasmin." sagte sie und streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken. "Und für eine begrenzte Zeit wäre ich auch mit einer Fernbeziehung einverstanden, insofern du denn wirklich wieder hier her kommst."

"Ich habe bereits meinen Eltern klar gemacht, dass hier, bei dir, mein zu Hause ist. Ich werde wieder kommen, nur meine Eltern eben nicht."

"Ich könnte dich auch besuchen kommen." schlug sie vor. Ich wusste, dass Emilia ziemlich geizig in dem Umgang mit Geld sein konnte, aber ich wusste nicht, ob sie auch so knapp bei Kasse war, wie sie manchmal tat.

"Das wäre eine schöne Idee." entgegnete ich mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. Emilia blieb stehen und trat ein Stück an mich heran. Unsere Hände waren mit einander verbunden, unsere Gesichter sich nahe.

"Wir schaffen das." hauchte sie und drückte meine Hände liebevoll. Vorsichtig entzog ich meine Hände ihrer und schlang sie um ihren Nacken. Ich streichelte sanft über die kurzen Härchen und drückte mich näher an Emilia. Das laute Knallen des Donners ertönte und ich zuckte kurz zusammen. Die grauen Wolken schlossen sich zusammen und würden eins. Kleine Regentröpfchen tröpfelten vom Himmel hinab zur Erde. Emilia führte ihre Hände unter meinem offenen Mantel entlang und platzierte sie auf meiner Taille, fuhr mit ihren Finger auf und ab. Ihr Blick war starr auf meine Augen gerichtet. Ab und zu wanderte er hinab zu meinen Lippen. Langsam überbrückte ich den letzten Abstand und näherte mein Gesicht dem ihren. Auch Emilia kam mir näher und kurz bevor unsere Lippen aufeinander treffen konnten stoppten wir. Unsere Nasenspitzen berührten sich. Ich spürte ihren unregelmäßigen Atem. Meine Augen waren geschlossen. Meine Haare waren mittlerweile durchnässt von dem immer stärker werdenden Regen. Ein weiterer Donner ertönte, dieses Mal zuckte ich aber nicht deswegen zusammen, sondern wegen den weichen Lippen, die sich sanft auf meine gelegt hatten. Es wirkte ein wenig absurd. Wir standen hier mitten auf dem Weg, pitschnass, und küssten uns, während der Regen wie aus Eimern vom Himmel fiel, wie der Donner über uns lautstark donnerte, die Blitze sich am Himmel erstrecken und die Bäume sich mit dem Wind bewegten, welcher unsere Haare durch die Luft flattern ließ. Ich versank förmlich in dem Kuss und mein Herz raste genauso wie bei unserem ersten Kuss.

Das ganze Szenario erinnerte mich ein wenig an unsere erste Begegnung. Es war ebenfalls ein Gewitter gewesen. Der einzige Unterschied war die fehlende Liebe und Zuneigung. Emilia schien mich für die ersten Sekunden oder Minuten verachtet zu haben. Ich hatte mich an diesem Tag mit meinem Dad gestritten gehabt. Ich war nach einem besonders anstrengendem Tag in der Uni nicht mehr sicher gewesen, ob ich dieses Studium überhaupt gewollte hatte. Ich hatte mit ihm darüber geredet, doch er empfand es als irrelevant wie ich mich bezüglich dessen gefühlt hatte. Er meinte, ich würde es schaffen und letz endlich hatte er Recht damit. Ich war zufrieden, nein, ich war glücklich mit meinem Leben.

Langsam lösten wir uns von einander und starrten uns jeglich gegenseitig in die Augen. Mein Herzschlag war noch immer unnormal schnell. Unsere Brüste hoben sich gleichzeitig, was voraussetzte, dass Emilias Puls genauso schnell sein musste, wie meiner.

"Wir sollten nach Hause gehen. Ich will nicht, dass du krank wirst, Yasmin." sagte Emilia nach ein paar Sekunden. Ich schluckte.

"Ich muss noch ein paar Sachen zusammen packen und einiges organisieren." erklärte ich und sah Emilia bedauernd an. "Ich nehme nicht alles mit nach Amerika und brauche noch einen Ort, wo ich meinen Kram unterbringen kann und das alles."

"Ich kann dir helfen." meinte sie ohne zu zögern. "Natürlich nur, wenn du das willst. Und ich könnte in der Zeit, in der du weg bist deine Sachen in Obhut nehmen." Emilias Worte zauberten ein Lächeln in mein Gesicht. Ich hatte gehofft, dass sie mir ihre Hilfe anbieten würde, nicht, dass ich sie bräuchte, aber ich wollte noch länger Zeit mit ihr verbringen.

"Gerne." entgegnete ich. "Danke, Em."

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Ich bedanke mich schon mal für jegliche Art von Kritik.

The girl from the bus stop I girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt