Kapitel 01

242 11 3
                                    

  "Du weißt gar nicht, wie aufgeregt ich bin, Caprice.", jodelte ich in meine Hände klatschend. Kichernd setzte meine beste Freundin sich auf einen der Stühle auf dem Balkon und zündete sich eine Zigarette an.
"Nein, ich kann es mir wahrlich nicht vorstellen.", immer noch kichernd sah sie mich an und strich mir über meinen Arm. "Aber du kannst stolz auf dich sein, Claire."
"Ich weiß und das bin ich auch.", lächelnd ließ ich mich tiefer in meinen Stuhl rutschen und sah blinzelnd der Sonne entgegen. Einen solchen Juliabend musste man eben mit der besten Freundin und einem Glas Sekt auf dem Balkon genießen. Vor allem, wenn morgen ein solch großer Tag für einen war, wie für mich.
"Hast du dein Kleid schon anprobiert?", interessiert beäugte Caprice mich. Ich nickte. "Ja, und es sitzt wie angegossen. Die Diät hat sich also ausgezahlt.", grinsend und ein wenig schadenfroh streckte ich ihr meine Zunge entgegen. Sie war die ganzen Monate dagegen gewesen, dass ich die paar Funde, die ich meiner Meinung nach zu viel auf den Hüften hatte, abspeckte, und hatte jedes Mal zu meckern, wenn sie deftig zu Mittag aß und ich in meinem Salat rumpickte. Ich wollte einfach gut aussehen, perfekt sein für den morgigen Tag - für die Premiere von Schwanensee; mit mir in der Hauptrolle.
"Die hätten das Kleid auch einfach eine Nummer größer nähen können, dann hätte es auch gepasst und du hättest genau so wunderschön ausgesehen.", sie nippte an ihrem Sekt und drehte sich auf ihrem Stuhl, sodass sie mich besser ansehen konnte. "Wie lief eigentlich die Generalprobe heute?"
"Eigentlich viel zu gut. Man sagt doch immer, dass die Generalprobe in die Hose gehen muss, damit die Premiere gut läuft, oder nicht?", verängstigt verzog ich mein Gesicht.
"Quatsch, du und Joel macht das schon. Ich weiß, dass ihr die besten Tänzer aus dem ganzen Hamburger Ballett seid. Und das wusste Herr Neumeier sicherlich auch, sonst hätte er euch nicht die Hauptrollen gegeben.", versuchte Caprice mich zu beruhigen.
"Ja, vielleicht magst du recht haben...aber aufgeregt bin ich trotzdem.", quiekend rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.
"Jetzt bleib doch mal ruhig sitzen. Hat deine Trainerin nicht gesagt, dass du dich heute ausruhen sollst, damit du morgen fit bist?", ich nickte. "Dann sitz still, das raubt dir doch noch die letzte Kraft.", lachend lehnte Caprice sich zurück und verschränkte ihre Finger ineinander, um sie auf ihren Schoß zu betten.
"Quatschkopf.", erwiderte ich nur und nahm einen großen Schluck von dem süßen Getränk. "Sogar Karsten Raduenz und Darcy Bussell sollen morgen kommen. Die beiden hattenSchwanensee auch in ihrem Repertoire und haben beide beim Royal Ballett in London getanzt. Ich hoffe nicht, dass die von mir erwarten, dass ich genau so tanze, wie Darcy damals; sie war die Beste. Hach, was ich nicht alles dafür geben würde, damit ich einmal Unterricht in der Royal Ballett Upper School in London mitmachen kann...", plapperte ich drauf los und versank letztendlich in einem Tagtraum: Die schönsten Kleider, entworfen von den besten Modedesignern Londons, geschneidert von der besten Schneiderin. Die große Bühne mit dem Holzboden, der frisch gebohnert wurde... - "Erde an Claire, Erde an Claire?!", ich zuckte zurück, als sich Caprice' Hand vor meinen Augen wild herumwedelnd bewegte, und kam langsam aber sicher zurück in die Realität.
"Ich war gerade in London, auf der Bühne, in diesem wunderschönen Kleid...", murmelte ich noch ein wenig niedergetreten und sah sie zerknirscht an. Musste sie mir diesen schönen Traum nehmen?
"Und jetzt bist du bitte wieder in Hamburg- Altona auf dem Balkon unserer Wohnung und widmest dich mir. Träumen kannst du heute Nacht.", grinste sie mich an und legte ihre verschränkten Arme auf den Tisch, der zwischen uns stand. "Welche Promis könnte man denn noch begegnen?"
"Puh.", überfragt musterte ich sie. "Ich habe ehrlich gesagt gar keine Ahnung. Die Ochsenknechts standen mal mit ihrer kleinen Tochter in Diskussion. Die tanzt wohl auch Ballett und ihr Lieblingsstück ist Schwanensee."
"Und sonst gar keine Ahnung? So was spricht sich doch rum.", ihre Augen sprühten nur so vor Neugierde, was mich zum Schmunzeln brachte.
"Du bist wohl auch nur am gaffen, ob du irgendeine Berühmtheit siehst, wenn ich mir jegliche Dinge aus dem Leib tanze, oder?", lachte ich auf und trank meinen letzten Schluck des alkoholischen Getränks aus.
"Das glaubst du ja wohl selber nicht. Aber stell dir mal vor die Kaulitz' Brüder sind da.", als sie den Namen der Jungs aussprach, verschluckte ich mich an der Flüssigkeit, die ich gerade noch in meinem Mund hatte, und klopfte mir hustend auf meine Brust.
"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die beiden sich jemals in ein Theater bewegen. Und dann erst recht nicht, um sich ein Ballettstück anzugucken, Cape.", etwas belustigt sah ich sie an.
"Wer weiß, wie die beiden sich die Jahre über gemacht haben. Ist doch jetzt auch schon fast sieben Jahre her, seitdem sie sich über deinen Sport lustig gemacht haben. Und wenn man sie so im Fernsehen sieht, scheinen sie ziemlich erwachsen geworden zu sein. So wie jeder von uns eigentlich." - "Aber die beiden wohl besonders!", schnitt ich ihr das Wort ab, was sie nur mit einem Grinsen auf den Lippen und nickend hinnahm. Sie kannte die Jungs nicht. Wir hatten uns in der Uni hier in Hamburg kennen gelernt. Zwar hatten wir beide verschiedene Studienrichtungen, Cape studierte Tanzpädagogik im Allgemeinen und ich Ballettpädagogik im Speziellen, doch trotzdem lief man sich immer wieder über den Weg, unterhielt sich und baute eine Freundschaft auf, die so stark wurde, dass man kurzerhand beschloss, zusammenzuziehen.
"Ich weiß nicht, ich kann es mir nicht vorstellen. Und wenn, dann nur, weil sie mitbekommen haben, wer die weibliche Hauptrolle spielt und sie noch mal liebend gerne auf mir rumhacken würden.", in Gedanken versunken an früher sah ich auf die Stadt, die man von unserem Balkon überblicken konnte. Ich hatte noch genau ihre Stimmen in meinen Ohren, ihren Blick und dieses gehässige Lachen vor meinem inneren Auge, als sei es erst gestern gewesen. Es hatte nie aufgehört immer und immer wieder aufzutauchen; viel zu oft musste ich an die damalige Zeit zurückdenken. Oftmals in meinen 40 Trainingsstunden pro Woche, die ich die letzten Wochen vor dem Auftritt morgen absolvieren musste.
"Das würden sie sich gar nicht mehr trauen.", widersprach Cape mir und leerte auch ihr Glas.
"Da wäre ich mir nicht so sicher; jetzt sind sie mir schließlich noch überlegener.", zwinkerte ich ihr zu und stand von meinem Stuhl auf, um die Gläser und die angefangene Flasche Sekt in die Küche zu bringen.  

Things never turn out the way you expect!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt