Kapitel 07

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  Langsam ließ ich mich seufzend auf die Holzbank fallen und überschlug meine Beine, während ich in meiner Jackentasche nach meiner Zigarettenpackung kramte. Ich wollte aufhören, aber gerade solch eine Situation nagte so an meinen Nerven, dass ich es wohl kaum ohne einen Glimmstängel und seine beruhigende Wirkung aushalten würde.
"Es tut mir wirklich leid wegen der Sache eben.", durchbrach Bill neben mir die Stille als ich genüsslich an meiner Zigarette zog und den blauen Qualm in die kühle Nachtluft blies. Noch immer fühlte ich mich komisch und total fehl am Platz in seiner Gegenwart, was durch seine Worte nicht gerade verbessert wurde; eher wurde dieses Gefühl des Unwohlseins immer schlimmer.
"Ich denke nicht, dass du mich herbestellt hast, um mir dreimal zu sagen, wie leid es dir tut, dass du mich mit deiner Aktion vorhin erschreckt hast.", erwiderte ich auf seine Entschuldigung und hielt kurz inne, bevor ich mich aus meinem letzten Teil des Satzes retten wollte. "Auch wenn du mich nicht erschreckt hast. Wovon du dich anscheinend aber nicht überzeugen lassen willst.", ich rümpfte meine Nase und legte meine Stirn in Falten. Ich hätte selber über meine eigene, doch ziemlich dumme Ausrede lachen können, doch vielleicht nahm er es mir ja ab. Ich hoffte es, denn ich wollte in kleinster Weise und unmöglich Schwäche vor ihm zeigen. Ich war nicht mehr die kleine, verletzbare und schreckhafte Claire von früher. Ich war erwachsen, stark und selbstbewusst und so ein kleiner 'Streich' oder Schreck konnte mich schon lange nicht mehr aus der Bahn werfen. Dachte ich.
"Du hast einen, wenn auch leisen, Schrei von dir gegeben und deine Hände in die Höhe gerissen, als würde dein Mörder gleich aus dem Gebüsch gesprungen kommen.", ich konnte ein leichtes Lachen in seiner Stimme vernehmen, was mich innerlich aufbrodeln ließ.
"Du bist immer noch so von dir überzeugt, wie früher, oder Kaulitz?", zischte ich zu ihm herüber, ohne auch nur ein einziges Mal meinen Kopf zu drehen und ihm ins Gesicht zu sehen.
"Das hat nichts damit zu tun, dass ich von mir überzeugt bin, Claire. Du machst es mir nur total einfach, dich und deine Bewegungen beziehungsweise Handlungen zu deuten.", wieder machte er mich mit seiner Aussage aggressiv - er war eindeutig von sich selbst überzeugt.
"Du tust so, als wären wir jahrelang die besten Freunde gewesen.", motzte ich und sah ihn das erste Mal an diesem Abend richtig an. Seine Augen waren - kaum zu glauben, aber wahr - ungeschminkt und seine Wangenknochen stachen sofort hervor. Sein Gesicht sah so dünn und fast schon eingefallen aus, was mich ein wenig erschreckte. Bill war schon immer dünn, aber so dünn? Da wurde die ein oder andere Frau ja noch neidischer auf ihn, als ohnehin schon.
"Das vielleicht nicht gerade.", grinste er mich schief an.
"Man, Kaulitz, ich hab keine Lust auf die Kinderkacke. Bin wohl schon wieder auf eins deiner Spielchen reingefallen? Weißt du, Cape hat echt lange gebraucht, um mich davon zu überzeugen, dass jeder eine zweite Chance verdient hat und man sich Erklärungen anhören sollte, weswegen ich jetzt hier bin. Aber auf so einen Müll habe ich keine Lust; such dir eine andere Blöde.", wutentbrannt warf ich meinen Zigarettenstummel vor mir auf den Kieselweg und stand auf, um nach Hause zu gehen. Was bildete er sich denn bitte ein? Aber vielleicht war es auch meine Schuld. Schließlich hätte ich nicht herkommen brauchen. Hätte ich einfach nur auf meinen Kopf gehört, der mir schon die ganze Zeit gesagt hat, was für eine bescheuerte Idee es war, hier her zu kommen.
"Claire, warte.", seine Stimme immer näher kommend und seine Hand, die mein Handgelenk umfasste und mich am Weitergehen hinderte.
"Lass mich los.", zischte ich und drehte meinen Kopf leicht, damit ich über meine Schulter zu Bill schielen konnte. "Verstehst du kein Deutsch, verdammt?", entriss ich mich ihm und drehte mich ganz zu ihm.
"Doch, verstehe ich, aber bitte...lass es mich jetzt erklären.", bettelte er schon fast und wollte wieder nach meinem Arm greifen, den ich ihm jedoch sofort wieder entzog. Es brannte schon fast auf meiner Haut, wenn er mich berührte. Es stach in meinem Herzen, wenn ich durch solchen Handlungen von ihm an die Vergangenheit erinnert wurde.
"Ich versteh mich selbst nicht. Wieso lass ich mich auf dich ein? Wieso bin ich überhaupt hier her gekommen? Wieso hör ich mir deine scheiß Erklärung nach Jahren und vor allem nach der Aktion eben überhaupt noch an, verdammt?", brüllte ich ihn schon fast an, als er auf der Bank saß und ich mich vor ihn gestellt hatte. Meine Hände flogen wild gestikulierend durch die Luft und hätte ich sie nicht unter Kontrolle gehabt, wären sie das ein oder andere Mal sicherlich in Bills Gesicht gelandet.
"Vielleicht weil du trotzdem das Gute in einem Menschen siehst. Auch wenn er Scheiße gebaut hat...", hauchte er so leise, dass ein weiterer Passant, der an uns vorbei gelaufen wäre, nicht verstanden hätte.
"Wahrscheinlich...", murmelte ich und steckte mir meine zweite Zigarette in der kurzen Zeit an. Ich hasste mich jetzt schon dafür, aber trotzdem brauchte ich es gerade mehr als alles andere mögliche, was es auf der Welt gab. Wobei...so viel Alkohol, bis ich ihn mir nett gesoffen hätte, würde wahrscheinlich noch mehr helfen. Zumindest für den Moment, denn am nächsten Tag hätte der Abend sicherlich fatale Folgen - ob der vorhergesehene Kater oder aber das Problem, das sich Bill nannte.
"Jetzt schnack nicht um den heißen Brei rum, sondern erklär mir endlich das, was du meinst mir erklären zu müssen.", sagte ich mit einem gewissen Druck in der Stimme. Schließlich wollte ich nicht den ganzen Abend damit verbringen, mit Bill Kaulitz, meinem Erzfeind, auf einer Parkbank mitten in Hamburg zu sitzen.  

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