Kapitel 22

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"Kann ich mich irgendwie bei dir entschuldigen?", sah Bill mich mitfühlend an, als ich aus dem Badezimmer in den unteren Bereich des Apartments kam. Bill hatte mich zum Bleiben überredet, weswegen ich die Dusche bei ihnen benutzte und nun sogar seine Klamotten trug. Meine Haaren fielen mir nass über meine Schulter und meine Lippen bebten, während meine Zähne, auf Grund der Kälte, die sich noch immer in meinem Körper breitgemacht hatte, heftig aufeinanderschlugen.

"Nein, das kann man nicht entschuldigen.", trotzig ließ ich mich auf die Couch fallen und zog meine Beine an den Körper, um meine Arme schützend um eben jene zu schlingen.

"Ich mach dir einen Tee, einen Kakao. Ich gehe Kekse kaufen, deine Lieblingsschokolade - alles, was du willst.", er setzte sich neben mich und sah mich fast schon flehend an.

"Nein, ich will wirklich nichts, Bill. Das ist echt lieb von dir, aber du weißt, dass ich drauf achten muss, was ich esse. Sonst kann ich beim Vortanzen übers Parkett rollen.", grinste ich und lehnte meinen Kopf an die Lehne des Sofas.

"Es tut mir aber wirklich leid. Auch wenn du es eigentlich verdient hast. Ich meine, du setzt hier jedem den Wurm ins Ohr, dass Joel irgendwas von mir will. Früher oder später denken dann womöglich auch noch alle, dass [i]ich[/i] was von ihm will. Was ja - wie du eigentlich wissen müsstest - völlig absurd ist, da ich durch und durch Hetero bin.", beteuerte er mir noch einmal.

Ich fing an zu lachen. "Ja, Bill, ich weiß, aber manchmal muss man den Menschen halt so seine Späße lassen. Vor allem hat es vorhin einfach wunderbar gepasst, um die verklemmte Situation zwischen deinem Bruder und mir zu lockern.", beruhigte ich ihn lächelnd. "Aber ich denke, ich sollte jetzt vielleicht wirklich mal gehen. Es ist schon spät, Cape macht sich sicher auch schon Sorgen."

Ich war schon im Begriff mich zu erheben und mir meine Jacke über meine Schultern zu werfen, da hielt Bill mich am Arm zurück und sah mich durchdringlich an.

"Ich würde mich freuen, wenn...wenn du hier bleiben würdest. Also ich meine...wir könnten dann morgen früh zusammen zum Training fahren. Dich jetzt alleine durch die Stadt gehen zu lassen, wäre verantwortungslos. Und fahren kann ich wegen dem Wein auch nicht mehr, und...", er stoppte kurz, entschied wohl, seinen Teil des Dialoges zu beenden, und sah mich einfach nur mit schief gelegtem Kopf an.

Lachend gab ich mich geschlagen und willigte ein. Diesem Blick konnte man einfach nicht widerstehen.

"Ich gebe dir morgen früh auch Klamotten. Also ich meine eine Trainingshose zum Überziehen, da lässt sich sicher was finden. Den Rest hast du ja noch dabei.", lächelte Bill und plapperte schon wieder drauf los. Man hätte meinen können, er sei aufgeregt, doch irgendwie schien mir der Fakt ein wenig zu absurd, als dass es wirklich so hätte sein können.

"Geht klar, keinen Stress.", versuchte ich ihn von seinem euphorischen Trip herunterzuholen. "Was machen wir mit dem restlichen Abend?"

"Puh, ich weiß nicht.", fast schon überfordert und dazu noch seufzend, strich Bill sich durch seine Haare. "Wie wäre es mit einer DVD? Ich meine, das ist so typisch, aber mir fällt ehrlich gesagt nichts Anderes ein."

"Ja, können wir gerne machen. DVD und nebenbei einschlafen - perfekt.", grinste ich.

Es war seltsam wie wir hier lagen. Es war komisch, seitdem Bill mich gefragt hatte, ob ich nicht bei ihm bleiben würde. Zuvor waren wir so locker miteinander umgegangen und hatten fast vergessen, dass unser Gegenüber das andere Geschlecht war, doch jetzt, hier in Bills Zimmer, in Bills Bett, war die Situation so komisch angespannt und verklemmt. So, wie sie nicht sein sollte und wie ich sie nicht haben wollte.

Bill hatte irgendeinen Film in den DVD-Player geschoben, doch um was es ging, geschweige denn wie er hieß, wusste ich nicht. Ich hatte mich einfach in sein Bett gelegt, mir die Decke bis zum Anschlag unter mein Kinn gezogen und wusste nicht, wie ich mich weiter verhalten sollte. Wo die Stimmung zuvor noch so locker war, war sie jetzt umso verklemmter.

Schweigend lagen wir nebeneinander. Beide lagen wir auf der Seite, hatten uns zu dem jeweils anderen umgedreht und erhaschten immer wieder einen Blick auf unseren Gegenüber, wenn dieser gerade mal nicht hersah - zumindest tat ich genau das. Meine eine Hand umklammerte den Zipfel der Decke unterhalb meines Kinns, die andere lag zwischen Bill und mir. Ich wusste nicht, wohin mit ihr und traute mich schon fast gar nicht mehr, mich zu bewegen und sie irgendwo anders hinzulegen. Ich wusste nicht, was es war, was hier zwischen uns in der Luft lag, doch irgendwie war es etwas, was mich riesig störte. Ich wollte das nicht, ich wollte ganz normal mit ihm umgehen, doch anscheinend war das Bett ein Gegenstand, der mich, uns, davon abhielt. Ich wollte so Vieles und ebenso Vieles wusste ich in diesem Moment nicht. Es kam mir vor, als sei mein Kopf wie leergefegt. Wieso konnte nicht irgendetwas passieren, dass die Situation auflockern würde? So etwas wie das Thema Joel, welches ich nach dem verklemmten Small-Talk mit Tom angewendet hatte, um die Situation aufzulockern. Vielleicht sollte ich es einfach mal versuchen.

"Morgen siehst du Joel.", platzte es aus mir heraus, ohne, dass ich noch weiter darüber nachdenken konnte. Wahrscheinlich war es das Beste, was mir hätte passieren können. Bill wäre wahrscheinlich eher eingeschlafen, als dass ich mir den richtigen Satz im Kopf parat gelegt hätte - frei raus hatte halt immer so seine Vorteile, egal in welcher Lebenslage.

Seufzend hob er seinen Kopf und schielte mich an. "Claire, möchtest du eine ruhige Nacht haben, oder nicht?"

"Na ja, eigentlich schon, aber deine Reaktion ist einfach viel zu lustig, als dass ich mit dem Ärgern aufhören kann.", grinste ich ihn an. Unsere Gesichter waren sich unglaublich nahe, doch die auf einmal viel lockere Stimmung ließ es mich gar nicht bemerken, dass ich eigentlich schon seinen Atem auf meiner Nasenspitze spüren konnte. Es war seltsam, wie schnell sich etwas ändern konnte. "Soll ich ihn morgen mal fragen, ob er nicht doch Lust hätte, am Wochenende mit dir wegzugehen?"

"Claire!", rief er panisch auf und schob eine Hand unter die Decke, um mich kurz darauf in die Seite zu pieksen. "Hör sofort auf damit!"

"Ja, ja, schon gut.", mein Kopf war rot, die Luft blieb mir weg, weshalb ich freiwillig aufgab und ihm ein Zeichen gab, dass ich mit dem Thema aufhören würde.

"Und jetzt sei artig.", lächelte Bill zufrieden und tätschelte meinen Arm. Wieder machte das Schweigen sich zwischen uns breit, jedoch hatte ich das Gefühl, endlich wieder atmen zu können, ohne Angst zu haben, die Stille zu stören. Es war nicht mehr diese verklemmte Stille, sondern eine, die auszuhalten war. Es war also genau das Richtige, dieses Thema ein hoffentlich letztes Mal anzuschneiden.

Ich konzentrierte mich also auf den Film und versuchte in die Handlung zu gelangen, als ich spürte, wie sich die Decke hob und eine warme Hand nach meiner, die zwischen Bills und meinem Körper lag, griff. Mein Blick wanderte zuerst zu meiner, mit Bills verschränkten Hand, und sofort darauf zu ihm. Er sah mich lächelnd an und streckte seinen Arm, auf dem er eigentlich lag, aus, um mir das Zeichen zu geben, dass ich mich auf seine Brust legen sollte. Ich konnte mir nicht erklären, wieso ich es tat, aber ich dachte nicht einmal drüber nach - ich tat es einfach. Es hätte daran liegen können, dass ich die Stimmung mit einem [i]Nein[/i] nicht sofort wieder kaputtmachen wollte, doch wenn ich im Nachhinein drüber nachdachte, wusste ich, dass mich etwas Anderes dazu trieb, seiner Geste nachzugehen. Es fühlte sich einfach genauso gut an wie die Umarmung, die ich auf dem großen Balkon von ihm bekommen hatte.

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