Kapitel 26

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"Aber ich werd dich echt vermissen.", gab er zu. Trotz der Vorahnung brauchte ich einige Sekunden, um diesen Satz aus seinem Mund zu realisieren und überhaupt wahrzunehmen. Doch als genau dieser Vorgang in meinem Kopf von meinen Synapsen abgeschlossen wurde, breitete sich wieder dieses Gefühl in mir aus, welches so neu und schön war. Ein komplett anderes Gefühl des Adrenalins durchfuhr mich und an meinen Armen stellte sich eine Gänsehaut auf. Es tat gut, so etwas aus seinem Mund zu hören.

"Ich dich auch. Aber vier Wochen sind nicht die Welt - das werden wir schon überstehen.", es wunderte mich, dass es mir so leicht fiel, ihm dieses Geständnis zu machen. Außerdem wanderte mein Kopf schon fast wie von allein zur Seite, um ihn anzusehen. Sonst war ich immer viel zurückhaltender in solch einer Situation, doch ich schien mich in Bills Nähe unglaublich wohl zu fühlen.

"Ich hoffe.", flüsterte Bill, während er mich intensiv musterte. Es war eine schöne aber gleichzeitig auch seltsame Situation. Sein Gesicht war mir so nah, dass ich das Gefühl hatte, jeden einzelnen Atemzug von ihm auf meiner Haut zu spüren. Lächelnd und doch fast schon ein wenig eingeschüchtert ließ ich meinen Kopf sinken.

"Bei dem Blick werde ich ja fast schon schwach und überlege es mir womöglich noch anders.", doch anstatt dass Bill irgendetwas darauf erwiderte, spürte ich seine Finger an meinem Kinn. Sie übten Druck aus, weswegen ich fast schon gezwungen war, ihn anzusehen. Ich hatte das Gefühl, als wolle er irgendetwas sagen, ihm jedoch die Worte dazu fehlten. Ich wusste nicht, ob [i]ich[/i] noch irgendetwas sagen sollte oder einfach die Situation, diesen Moment, der sich vom Seltsamen zum wirklich Schönen und Angenehmen verwandelte, genießen sollte. Doch die Entscheidung wurde mir durch Bill abgenommen: Er drückte meinen Kopf noch einen Millimeter weiter hoch, damit ich auf gleicher Höhe mit ihm war, legte seine Hand daraufhin in meinen Nacken und kam mir immer näher. Immer doller und intensiver spürte ich seinen Atem, weswegen der meine mir schon nahezu wegblieb. Ohne darüber nachzudenken, ob das Kommende das Richtige für unsere momentane Situation war, ließ ich es geschehen. Er legte seine Lippen auf meine und fing sie sanft an zu massieren. Sofort ging ich drauf ein und genoss den Moment, der so viel in meinem Körper explodieren ließ, wie kein anderer zuvor. Ich konnte kaum glauben, was gerade mit uns, mit mir passierte.

"Ähm...", nuschelte Bill und drückte verlegen seine mittlerweile abgebrannte Zigarette in der freien Hand aus. Ich hatte kaum mitbekommen, dass er schon längst von mir abgelassen hatte und war noch völlig in Trance, als mich seine Stimme urplötzlich wieder in die Realität zurückholte. Genauso überrascht wie er über das Geschehene, sah ich mich hilfesuchend in dem Hinterhof der Bar um.

"Ja", erwiderte ich nur und fing an zu kichern.

"So ganz unter Freunden.", beteuerte er.

"Klar, so ganz unter Freunden.", stimmte ich ihm zu. So schnell ich die Worte jedoch ausgesprochen hatte, so schnell hätte ich mir auch genau dafür schon in den Arsch beißen können. So ganz unter Freunden saß man sicher nicht auf den Stufen in einem Hinterhof einer Bar, küsste sich, massierte sich gegenseitig die Lippen und beteuerte dem jeweils anderen, dass man ihn vermissen würde - aber sonst hatten wir keine anderen Probleme?

"Na dann lass uns mal reingehen - so ganz unter Freunden.", immer noch ein wenig durcheinander und fast schon überfordert - so kam es mir zumindest vor -, stand Bill auf und strich sich sein Hose glatt. Zwar war ich ein wenig verdutzt und überrascht von Bills Reaktion und der Art wie er mit dem Geschehenen umzugehen wusste, jedoch nahm ich es ihm in keinster Weise übel. Schließlich wusste ich auch nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte.

"Ja, auf, auf.", sagte ich nur lächelnd und folgte ihm in das Innere der Bar. Noch einmal strich ich mir fassungslos und so unauffällig wie möglich über meine Lippen, um es vielleicht doch ein wenig besser zu begreifen. Ich musste ihn einfach weiter wie einen Freund behandeln, sonst würde womöglich noch unsere ganze Freundschaft daran kaputtgehen. Wahrscheinlich hatte er das gerade eben nur gemacht, weil er Verlustängste hatte und sich unbedingt in irgendeiner Weise an mich klammern wollte? Wieso musste das Leben auch nur immer so kompliziert sein.

"Machen wir morgen was Schönes?", ging ich dann doch meinem Vorhaben nach ihn weiter wie einen Freund zu behandeln und hielt ihn an seiner Jacke kurz zurück.

"Ja, ich überleg mir was.", beteuerte er lächelnd und ließ mich vorgehen, damit ich hinter dem Tisch auf der Bank bis an die Wand rutschen konnte. Die anderen bekamen gar nicht mit, dass wir wiederkamen, so sehr waren sie in ihrem Gespräch vertieft. Doch mir kam es ganz recht - so konnte ich erst einmal einen großen Schluck von meinem Cocktail nehmen und noch einmal tief durchatmen.

"Es war ein wirklich lustiger Abend.", kicherte Caprice als sie mit ihrem Fuß die Wohnungstür zutritt und ihre Jacke über den Kleiderständer warf.

"Oh ja, da kann ich dir nur zustimmen.", warf Tom ein und ließ sich wie ein nasser Sack auf die Couch fallen. Es war mittlerweile schon drei Uhr in der Nacht und jedem von uns stand seine Müdigkeit schon nahezu im Gesicht geschrieben. Zwar floss auch der ein oder andere Cocktail, doch nicht in solchen Mengen, dass ich irgendeinen von uns als Betrunken betiteln würde - denn bekanntlicherweise trug dieser Zustand ja oftmals dazu bei, dass man einfach nur noch schlafen wollte.

"Ich denke, ich hau mich auch gleich hin.", seufzte ich und schenkte mir ein Glas Wasser ein. "Noch jemand?", wand ich mich noch schnell an die anderen, die mir alle kopfschüttelnd entgegensahen. Mit den Schultern zuckend trank ich das Glas mit einem Zug leer und wand mich zum Gehen.

"Schlaft gut.", verabschiedete ich mich von den anderen.

"Ich komm gleich nach.", rief Bill als ich schon längst im Flur stand und im Begriff war, meine Zimmertür zu öffnen. [i]Ich komme gleich nach[/i], gingen mir seine Worte ein weiteres Mal durch den Kopf. Es hörte sich ja schon nahezu so an, als wären wir ein Paar. Auf der einen Seite war es komisch, so etwas aus seinem Mund zu hören, doch auf der anderen Seite war es etwas ganz Normales für uns. Auch die letzten Nächte, in denen Bill hier war, schlief er bei mir im Bett. Eventuell war es jetzt eine andere Situation und ich nahm diesen eigentlich total banalen Satz anders auf, weil wir uns geküsst hatten? Aber nein, wir wollten uns behandeln wie gute Freunde - das hatten wir den restlichen Abend doch auch gut hinbekommen.

"Okay.", rief ich noch zurück und schreckte aus meiner Starre hoch, um die Klinke runterzudrücken und in meinem Zimmer zu verschwinden. Schnell zog ich mich um und kuschelte mich in mein Bett, um auf...meinen guten Freund zu warten.

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