Kapitel 02

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  Hätte mich jemand gefragt, ob ich gut geschlafen habe, wäre die Antwort wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund gekommen.
Nachdem ich noch zwei Stunden mit Cape vor dem Fernseher in unserem gemeinsamen Wohnzimmer verbracht hatte, beschloss ich, schlafen zu gehen. Meine Augen fielen alle paar Sekunden zu und ich konnte es nur noch als reinen Kampf gegen meine Müdigkeit betiteln. Sobald ich mich Bettfertig gemacht und das Licht auf meinem kleinen Nachtschränkchen ausgeknipst hatte, war ich wacher denn je. Ich wälzte mich hin und her und dachte an den morgigen Tag. Ich ging jede Position, jeden Sprung und jeden noch so kleinen Schritt meiner Choreographie durch und wurde schlussendlich fast verrückt, als ich das ein oder andere noch so kleine Detail jedes Mal aufs Neue vergessen hatte. Seufzend drückte ich meinen Kopf in mein Kissen und schrie einmal hinein. Zwar kam nur ein gedämpfter Ton bei raus, doch trotzdem beruhigte es mich. Genauso wie die Zigarette, die ich im Anschluss, aus meinem Fenster gelehnt, rauchte. Dass es fast so etwas wie eine Straftat für einen Sportler war, an einem Glimmstängel zu ziehen, war für mich keine Neuigkeit, jedoch ignorierte diese Tatsache trotzdem gekonnt. Alle, die es für wichtig hielten, dass ich mich gesund ernährte und ebenso gesund lebte, dachten - seitdem feststand, dass ich die Hauptrolle tanzen sollte -, dass ich aufgehört hatte zu rauchen und Alkohol nur in den geringsten Mengen trank. Ich wusste, wo diesbezüglich meine Grenzen waren und überschritt sie auch nicht; ich war nach wie vor fit für den Auftritt am nächsten Tag.
Ich wusste nicht wie, aber irgendwie hatte ich es geschafft, einzuschlafen und befand mich derweil schon längst in der Maske des Hamburger Theaters und ließ mich schminken. Meine Haare waren zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden und mit massig Haarspray befestigt; schließlich durfte nicht eine Haarsträhne in mein Gesicht fallen und mich beim Tanzen stören.
Ich war aufgeregt, machte mir Gedanken, die nicht nötig gewesen wären, weswegen sich Ängste aufbauten, die ich noch nie vor einem Auftritt hatte. Ich hatte noch nie einen Auftritt, wofür sich zwei der besten Balletttänzer angemeldet hatten, aber trotzdem wusste ich, dass ich tanzen konnte, dass ich nicht umsonst ausgewählt wurde, und eine Glanzleistung hinlegen würde. Ich verstand mich in dem Moment selber nicht. Wieso hatte ich so wenig Vertrauen zu mir selbst?
"Super siehst du aus Joel, steht dir wirklich bezaubernd.", ertönte Cape's Stimme hinter mir, kurz darauf ein Kussgeräusch, sie musste ihn mit einem Wangenkuss begrüßt haben, und weitere Schritte, die sich mir näherten.
"Liebes, ich bin so aufgeregt.", jaulte sie auch schon, die Visagistin nahm Abstand von mir, damit Cape mich begrüßen konnte, und fuchtelte hysterisch mit ihren Armen in der Luft rum.
"Gestern meintest du noch zu mir, dass ich still sitzen bleiben soll - trotz meiner Nervosität - und jetzt hibbelst du schon so rum, als hättest du den Auftritt.", lachte ich und schloss wieder meine Augen, damit ich fertig geschminkt werden konnte.
"Ja, nein...ach man, Claire, du wirst mir den Kopf abreißen, dass ich dir das jetzt sage, weil dir dein Herz vermutlich in deiner Strumpfhose bis zum kleinen Zehn hinunter rutschen wird, aber...", sie seufzte einmal laut, was mich wieder zum Lachen brachte.
"Jetzt sag schon.", ich hob mein rechtes Augenlid einen Millimeter an, um sie angucken zu können. Erst jetzt fiel mir ihr blasses Gesicht auf - sie hätte einer Raufasertapete konkurrieren können.
"Bill Kaulitz steht auf der Gästeliste - mit einer weiblichen Begleitung.", sprach sie das Desaster aus, was mich in weniger als fünf Minuten noch durchdrehen lassen sollte.
Ich brauchte einige Zeit, bis ich überhaupt verstand, war kurz davor loszulachen, doch plötzlich wichen mir jegliche Gesichtszüge, die sich zuvor in meinem Gesicht befanden - das Lächeln, das Hochziehen der Augenbrauen und das Geschlossenhalten meiner Augen. Sofort wedelte ich mit meinen Armen, schickte Luna - meine Visagistin für diesen Abend - in eine kurze Pause, und sah Cape geschockt an. Ich brachte kein Wort raus.
"Ich weiß, ich hätte es dir nicht erzählen sollen, aber ich konnte es nicht für mich behalten.", plapperte sie euphorisch drauf los, bis sie ihre Schultern hängen ließ und traurig dreinblickte. "Die Ochsenknechts sind leider nicht dabei. Nur irgendwelche Leute, die ich eh nicht kenne. Und der Bürgermeister."
"Wieso bist du dir da so sicher, woher weißt du das?", ein wenig gefasst, meine Hände trotzdem vor Aufregung knetend, sah ich sie an und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.
"Eben beim Reinkommen stand keiner an dem kleinen Tisch mit der Gästeliste und da dachte ich mir, werfe ich einen kurzen Blick drauf. Und dann sprangen mir schon förmlich die Buchstaben seines Namens entgegen.", wild gestikulierend schilderte sie mir die Situation. "Meinst du, es ist seine Freundin, die ihn begleitet? Er muss doch sicher wegen ihr zur Aufführung, der hat doch da hundertprozentig keinen Bock drauf. Vielleicht ist sie ja auch eine Tänzerin." - "Cape, bitte. Mein Problem ist nicht, ob es seine Freundin ist und ob er wegen ihr hier ist, sondern, dass er hier ist!", zischte ich.
"Ja, ich weiß doch.", ihre Stimme besänftigte mich ein wenig, gerade, weil sie mir zuvor regelrecht euphorisch und aufgeregt entgegen sprang. "Aber trotzdem. Ihr seht euch nach fast sieben Jahren wieder, Claire. Da wart ihr beide noch Teenager, und jetzt...oh Gott, ich bin so aufgeregt.", mein Hoffnungsschimmer, dass sie mich vielleicht für einen Moment beruhigen konnte, da ich innerlich doch aufgeregter war, als ich es nach außen zugeben wollte, verblasste. Manchmal könnte ich ihr nur noch an die Gurgel springen, und genau jetzt war auch wieder so ein Moment, wo ich kein anderes Bedürfnis hatte, als genau das zu tun!
"Cape, verdammt. Jetzt ist gut. Er ist hier, er wird mich sehen, mir zugucken, und er wird sicher auch wissen, dass ich die kleine Tanzmaus von früher bin, da mein Name auf jedem beschissenen Plakat steht, aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns heute Abend über den Weg laufen werden. Ich will ihn nicht sehen!", kurz holte ich Luft und bestaunte mich selbst nicht schlecht auf Grund meiner Rede, kam dann mit einem Kopfschütteln doch wieder zu mir, und wank Luna ran, damit sie mich weiter schminken konnte. "Und jetzt will ich davon nichts mehr hören.", ermahnte ich meine beste Freundin noch, ehe wir uns in schweigenden Minuten verloren und jeder seinen Gedanken nachhing. Mit einem Blick in den Spiegel vor mir, sah ich meine grübelnde Freundin, die ihr Kinn auf ihrer Handfläche abgestützt hatte. Ich wusste, dass sie über Bill nachdachte, darüber, wie es wohl wäre, wenn wir uns wiedersahen und welche Rolle die unbekannte weibliche Begleitung machen würde. Doch genau diese Gedanken sollte sie sich aus dem Kopf schlagen. Ich wollte diesen Jungen nie wieder sehen. Er hat mir mein Leben, seit ich zum Tanzen in die Ballettschule in Magdeburg ging, zur Hölle gemacht und mich jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbei gehen musste, schikaniert und vor den anderen bloß gestellt. Würde ich ihn wiedersehen, dann nur über meine Leiche. Doch hieß es nicht immer man sieht sich immer zweimal im Leben und dass alles anders kommt, als gedacht?  

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