Kapitel 28

63 3 0
                                    

Meine Oma hat immer gesagt, dass Abschiedsworte genauso kurz sein müssen, wie Liebeserklärungen. Kurz und knapp, höchstens drei Worte, aber am besten gar keins, sondern einzig und allein eine Geste, die dich den Atem anhalten und alles um dich herum vergessen lässt. Du weißt nicht, wo du dich befindest, weißt nicht, in welch einer schrecklichen Situation du eigentlich gerade steckst und wie viel Schmerz du über dich ergehen lassen musst, wenn es dir doch wie Schuppen von den Augen fällt, dass du so viel hinter dir lässt. In dem Moment spürst du einzig und allein diese Liebe, die Zuneigung und das Gefühl, vermisst zu werden, sobald die Umarmung gelockert und letzten Endes komplett gelöst wird. Finger krallen sich in deinen Rücken, Tränen fließen womöglich deine Wangen hinunter und deine Schminke, die du vorsorglich aufgetragen hast, hinterlässt schwarze Spuren auf deinen sonst so blassen Wangen. Die Schritte, die du gehst und mit denen du dich von den Menschen entfernst, die du liebst und am meisten vermissen wirst, gehst du wie in Trance, total paralysiert und gegen deinen Willen; doch trotzdem gehst du sie. Ich habe meine Großmutter nie verstanden, doch heute, an dem Tag, an dem es mir selbst passiert, habe ich sie noch nie besser verstanden, als je zuvor:Tom, Bill, Caprice und Joel standen am Flughafen, hatten entweder ihre Arme vor der Brust verschränkt oder versuchten sich so gut es eben ging, im Falle der Zwillinge, unter den Kapuzen und Mützen zu verstecken, um die letzten Sekunden mit mir unentdeckt zu verbringen. Ich hasste Abschiede schon immer und war immer diejenige, die die Krokodilstränen weinte, wenn ein solcher wieder vor der Tür stand, doch seltsamerweise überkam mich in dem Moment, in dem mich die Arme meiner Freunde umschlangen, ein Gefühl, das mir sagte, nicht weinen zu dürfen. Die Geschichte meiner Oma, die sie mir immer wieder erzählt hatte, wenn meine Eltern auf eine Geschäftsreise fuhren und ich bei ihr zurückblieb, lief in einer unentwegten Dauerschleife durch meinen Kopf. Zwar hatte ich die Stimme meiner geliebten Großmutter, auf Grund ihres Todes, seit ungefähr fünf Jahren nicht mehr wahrnehmen können, doch trotzdem kam es mir vor, als würde sie mir die Worte in genau diesem Moment in mein Ohr flüstern. Ebenso wie die Tränen, die bei Caprice über die Wange liefen, krallten sich die Finger eines Menschen besonders tief in meinen Rücken - Bills. Mich störte es nicht, spürte nur diese beschriebene Wärme, die mir immer wieder vorhergesagt wurde, und war irgendwo zwischen Realität und Traumwelt - die Realität, dass ich nun wirklich in den Flieger einsteigen musste und die Traumwelt, doch im Land und somit bei den Menschen zu bleiben, die ich liebte. Caprice und auch Bill waren den ganzen Morgen über schon still gewesen, doch desto näher das pompöse Flughafengebäude kam, desto ruhiger und ruhiger wurden sie. Letzten Endes sagten sie nichts. Nicht einmal ein "Tschüss" zum Abschied purzelte ihnen über die Lippen - einzig und allein ein Kuss und kein Wort kam von ihren Lippen. Wie Oma gesagt hatte: Abschiedsworte müssen genauso kurz sein, wie Liebeserklärungen - und Liebeserklärungen waren in meinen Augen nun mal Küsse, Umarmungen und kleine Gesten; von den drei magischen Worten hielt ich noch nie wirklich viel, da ich schon immer der Meinung war, dass sie viel zu oft unergründlich genutzt und von Menschen, die diese Worte nicht ernst nahmen, [i]benutzt[/i] wurden. Ich hatte einen wunderschönen Abschied und genau das spürte ich auch jetzt, als ich mit dem kleinen Geschenk von Bill auf dem tristen Hotelbett saß und vor mich hinwimmerte. Ich fühlte mich so hilflos und allein und hätte mich am liebsten ab sofort mit Arbeit zuschütten lassen, damit ich nicht noch eine Sekunde an die Entfernung, die zwischen meinen Liebsten und mir lag, denken musste. Doch der Flug, der ganze Trubel und die Tränen, die ich nun geweint hatte, ließen es gar nicht zu, dass ich noch einen Fuß vor die Tür setzen konnte. Meine Beine waren schwach, fast wie Wackelpudding, und mein Kopf fing langsam aber sicher an zu dröhnen. Auch eine nette Trainerin vom [i]Royal Ballett[/i] hatte mir dazu geraten, mich für den Rest des Tages hinzulegen und die Ruhe vor dem Sturm zu genießen - sie versichte mir, dass ich in den kommenden Wochen genug Arbeit vor mir haben würde und mir das ein oder andere Mal solch einen Tag herbeisehnte. Immer noch schluchzend drückte ich meine linke Hand zu, um die Musiknote, die sich eigentlich an meinem Handy befestigt befinden sollte, noch mehr in meinen kalten Handinnenflächen zu spüren. Wenn sie schon nicht hier sein konnten, wollte ich wenigstens ein kleines Stück Material spüren, dass von einem meiner Freunde, und somit von Herzen kam. "...[i]lets put it one step closer into that, my fear has come to an end[/i].", ich schreckte hoch, hielt mit dem Weinen und Schluchzen inne und blickte um mich. Mein Handy klingelte und machte sich durch die Vibration auf dem Holzschränkchen neben dem Bett lästig bemerkbar. Mit den Fäusten vor meinen Augen, um die Tränen, die sich auf meinen Wangen breit gemacht hatten, wegzuwischen, rutschte ich auf dem Bett hin und her, um mit meiner rechten Hand nach meinem Smartphone zu fischen. Der Blick auf das Display verriet mir, dass ich einen Anruf von Bill erhielt. Sofort bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen und der Schmerz, der zuvor noch in jeder einzelnen Ader in meinem Körper war, wich von Sekunde zu Sekunde immer mehr. "Ja?", ging ich flüsternd dran und legte mich zurück in die Kissen. "Claire, wie gehts dir? Bist du gut angekommen?", fing Bill wie gewohnt ziemlich redselig an. "Ja...ja, es ist alles okay. Ich bin schon im Hotel.", ein Schluchzen, dieses Mal vor Freude seine Stimme zu hören, überkam mich. "Was ist los? Du weinst! Und jetzt sag nicht, dass das nicht stimmt!", drohte er mir schon fast."Ich...ich vermisse euch jetzt schon. Und der Trubel, die Müdigkeit und die Aufregung haben sich ziemlich angesammelt.", antwortete ich ihm wahrheitsgemäß, da ich sowieso wusste, dass jedes Rausreden aus eben jener Situation, nutzlos gewesen wäre - er hätte eh nicht locker gelassen. "Bereust du es?", ich spürte, wie seine Stimmung sich schlagartig änderte und die Sorgen, die er sich um mich machte, durch seinen Körper schossen. Das Bild, welches sich in seinen eigenen vier Wänden bot, bildetet sich vor meinen Augen ab: Er stand, ging euphorisch durch sein Zimmer und ließ sich gerade in diesem Moment fast schon gelähmt vor Sorge auf seinem Bett nieder."Nein, ich bin froh, dass ich die Chance bekommen habe, aber ich kenne noch niemanden und fühl mich gerade noch allein. Es wird sich wahrscheinlich so schnell ändern, dass ich mich gar nicht mehr dran erinnern kann, dass ich jetzt gerade hier sitze, weine und verdammtes Heimweh habe.", seufzte ich. "Und bis dahin telefonieren wir halt jede Sekunde, in der du nicht alleine sein möchtest.", versprach Bill, was mein Herz für einen Moment um Längen schneller schlagen ließ, als zuvor."Gern.", gähnte ich. "Du bist müde?""Ja, aber ich kann nicht wirklich schlafen.", ich betrachtete die Musiknote in meiner Hand und merkte, dass meine Augen immer schwerer wurden. "Leg dich hin, kuschel dich in die Decke und ich erzähle dir was, okay?", schlug er vor. Ich wusste ganz genau, dass auch er sich mittlerweile wieder entkrampft hatte und relaxter auf dem Bett oder der Couch saß als zuvor. Und auch ich spürte, dass meine Knochen lockerer wurden und das befremdliche Gefühl mittlerweile komplett von mir gewichen ist. "Aber die Rechnung vom Handy...", nuschelte ich in mein Kissen und schloss vorübergehend die Augen. "Hey, ich bin nicht umsonst Rockstar.", lachte er abwinkend und ließ mir somit schon gar keine andere Wahl. "Oh ja, mein Held, mein Rockstar...", war das Letzte, was ich noch mit allen Sinnen mitbekam, bevor ich langsam aber sicher, und zudem noch mit der Stimme von Bill in meinen Ohren, in das Land der Träume wich.

Things never turn out the way you expect!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt