Kapitel 05

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  Ich seufzte noch einmal tief, während ich die Faust, die den Zettel beinhaltete, immer fester zusammendrückte. Ich konnte mir die Frage nach dem Warum nur immer und immer wieder stellen und trotzdem zu keiner Antwort kommen. Es ließ mich schon fast verzweifeln.
Langsam ging ich Schritt für Schritt durch den großen Wohnbereich, hinaus in den Flur und blieb vor Caprice' Tür stehen. Ich wusste nicht, was ich sagen wollte oder sollte, hatte nicht einmal eine Ahnung, wieso ich, fast schon automatisch und ohne jegliche Kontrolle über meinen Körper zu haben, meinen Arm hob und mit der Faust, in welcher immer noch der Zettel lag, gegen die Holztür klopfte. Das Klopfen hallte laut in dem großen und hellhörigen Flur wider, was mich kurz zusammenschrecken ließ; so laut vermutete ich das Geräusch dann doch nicht.
"Komm rein.", nuschelte meine beste Freundin, was mich die Tür öffnen ließ. Ich trat nicht vollends in den Raum, sondern blieb in der Tür gelehnt stehen und sah sie an, wie sie im Schneidersitz und mit dem Laptop vor der Nase auf ihrem großen Bett saß, welches mitten im Raum stand.
"Was willst du?", ohne von ihrem Laptop aufzublicken, stellte sie mir die Frage und tippte irgendetwas auf der schwarzen Tastatur ein. Völlig versteift verschränkte ich meine Arme vor der Brust und schnaufte einmal so laut, dass es kaum zu überhören war, und ich somit den Blick von Cape auf mich zog. Ihre Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und ihre sonst so glatte Stirn lag in Falten.
"Ich...ähm...", immer noch total ahnungslos bewegte ich meine rechte Hand und spürte das Stück Papier an meiner Haut, was mich zum Reden brachte. "Ich habe den Zettel gelesen, den er dir für mich mitgegeben hat. Ich soll nicht böse auf dich sein.", murmelte ich zurückhaltend und schüchtern, als würde ich vor jemandem stehen, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, oder von dem mein Leben in diesen Minuten abhing.
"Ja, bist du aber anscheinend. Aber wieso solltest du schon etwas machen, was er dir gesagt hat?!", ihre Stimme klang alles andere als freundlich oder willkommen und das Augenzwinkern und das Ausweichen meines Blickes bestätigte diese für mich grässliche Tatsache nur noch umso mehr.
"Ich fand es nicht okay von dir, dass du dich neben ihn gesetzt und ein Gespräch angefangen hast. Du weißt schließlich ganz genau, dass..." - "...dass du ihn hasst und nie wieder was mit ihm zu tun haben willst. Ich weiß, Claire. Aber erinnerst du dich noch daran, als wir unseren Streit hatten?", kurz überlegte ich und fand zurück in die Vergangenheit; an den Tag, wo Cape und ich uns das erste Mal gestritten hatten, weil ich nicht ganz fair zu ihr gewesen war und jegliche Schuld auf ihren Schultern ablegte.
"Ja, weiß ich noch.", gab ich zu und senkte meinen Kopf gen Boden. Ich wusste, dass ich damals Scheiße gebaut hatte und vermied es, über eben dieses zu reden - schließlich war ich mir meiner Schuld bewusst.
"Du hast mich damals behandelt, als wäre ich so was wie eine Fremde für dich. Du hast mich unfair behandelt und hast mir mit jedem Wort, das du zu mir gesagt hast, wehgetan, und trotzdem habe ich dir noch eine zweite Chance gegeben, weil ich genau wusste, dass tief in dir drinnen eine gute Claire steckt. Ich wusste, dass der Stress wegen den Prüfungen und der Stress mit deinen Eltern der Auslöser für deine nicht gerade...Fairness war, und habe gesagt, dass wir das alles vergessen sollen. Meinst du nicht, dass du dir wenigstens anhören solltest, wieso er das damals alles getan hat? Vielleicht gibt es eine genau so plausible Erklärung, wie du sie damals auch hattest.", während sie sprach war sie aufgestanden und hatte sich vor mich gestellt, um mir wild gestikulierend klarzumachen, was sie meinte. Von Wort zu Wort verstand ich, was sie mir sagen wollte. Ich war damals genauso froh darüber, dass Caprice mich hat erklären lassen, wieso ich so überreagiert und sie letztendlich so behandelt habe, und vielleicht war Bill es heute ja genauso, wie ich damals?
"Ich...ich verstehe, was du mir sagen willst. Ich soll-sollte mir die ganze Geschichte mal anhören, bevor ich ihn weiter verurteile.", stotterte ich und blickte vom Boden wieder auf, um meiner besten Freundin ins Gesicht zu sehen.
"Als wir uns vorhin kurz unterhalten haben, haben seine Augen nur so vor Reue gesprüht. Ihm tut es wirklich leid, so kam es mir zumindest vor, und er ist erwachsen geworden. Er ist nicht mehr der dumme Teenager von damals, der seine Leute hinter sich stehen hatte und es allen beweisen musste, wer der geilste und tollste Anführer der Stadt war. Du warst damals sein Opfer, aber lass dir erklären warum, verdammt. Jeder Mensch kann sich über eine so lange Zeit ändern.", sie hatte ihre Hände an meine Schultern gelegt und rüttelte langsam an mir. Ich konnte nicht genau sagen, was in mir vorging, spürte nur, wie ich den Zettel in meine Hosentasche steckte und meine Hand öffnete. Meine Hände zitterten und ich spürte den Blick meiner besten Freundin, der mich fast durchbohrte und nur auf eine Antwort wartete.
"Ich geh zu ihm. Wie spät ist es?", ich löste mich von ihr, konnte es gerade überhaupt nicht ab, dass sie mich so fest an den Schultern hielt und mich mehr unter Kontrolle hatte, als ich mich selbst. Kurz drehte ich mich im Kreis und sah letztendlich auf ihre kleine Digitaluhr, die auf dem kleinen Nachtschränkchen stand und sah, dass die hellen, neongrünen Ziffern bereit 23:45 Uhr anzeigten. Sofort spürte ich die Hektik und Eile in mir hochkommen. Zwar wusste ich, dass ich nicht länger als fünf Minuten bis zum Park brauchen würde, doch trotzdem hatte ich das Gefühl Bill zu verpassen, da ich mich noch einmal kurz umziehen wollte.
"Los, zieh dir was anderes an und auf auf.", rief Caprice und scheuchte mich schon nahezu aus dem Zimmer.  

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