Kapitel 12

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  "Was willst du?", fauchte ich übermütig, was mir sekundenspäter schon wieder leid tat. Trotzdem sah ich abwertend an meinem Gegenüber herunter und musterte ihn, als sei er ein Insekt, vor welchem ich mich ekelte, als gäbe es nichts Widerlicheres auf der ganzen Welt.
"Ich wolle hier eigentlich nur meinen Cocktail trinken und einen schönen Abend mit meinem Bruder verbringen.", lächelte er und ließ sich kein Stück von mir aus der Bahn werfen und behielt die Kontrolle über sich selbst. Ich wusste, dass es ihm nicht leicht fiel und ihn keinesfalls kalt ließ, einzig und allein sein Bruder, der ihn begleitete und den Rücken stärkte, ließ ihn so viel mehr selbstbewusster auftreten, als bei unserem letzten Treffen - so war der Kaulitz eben. Dass mir jetzt gerade jedoch wieder ein völlig anderer Mensch gegenüberstand als zuvor im Park, brachte mich - im Gegensatz zu ihm selbst - total aus der Bahn.
"Ach so, der ist auch wieder mit im Schlepptau.", lachte ich gereizt und schielte über Bills Schulter hinweg zu seinem Bruder, der mir grinsend zuwinkte. Nicht darauf achtend, wie er auf meine fehlende Reaktion reagieren würde, nahm ich den Blick von Tom und richtete ihn wieder zu Bill, um auf eine Antwort zu warten, die eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen wäre.
"Wie du siehst schon. Und du feierst deinen Erfolg?", grinste er mich mit schief gelegtem Kopf an. Was war bitte in ihn gefahren? Hatte er sich bei seinem Bruder, dem Brecher jedes weiblichen Herzens, einer Gehirnwäsche unterzogen und nannte den Satz Was du kannst, kann ich schon lange! ab sofort sein Motto?
"Wie du siehst schon.", grinste ich nur gehässig zurück. "Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich möchte mich gern meinen Freunden widmen - danke.", lächelnd richtete ich meinen Kopf in Richtung Tisch und nahm einen Schluck von meinem Strohhalm.
"Aber bitte doch.", zischte seine Stimme ganz nah an meinem Ohr, was mein Lächeln sofort erblassen ließ. "Das nächste Mal stellst du mich aber bitte deinen Freunden vor. So gehört sich das doch nicht für eine Dame.", ich konnte meinen feinen Härchen am Arm dabei zusehen, wie sie sich langsam in die Senkrechte stellten. Ein Schauer fuhr mir über meinen Rücken und ich hatte das Gefühl, mein Blick, den ich auf den Tisch vor mir warf, sprach Bände.
"Was war das denn?", prustete Joel los, der sofort seine Hände entschuldigend vor seinen Mund hielt und auf meine Reaktion wartete.
"Ein abgehobener und hochnäsiger Sänger einer Teenieband namens Bill Kaulitz.", verdrehte ich die Augen und zog den Rest meines Getränks durch meinen Strohhalm und leerte das Glas. "Ich hol mir noch was zum Trinken. Wollt ihr auch noch was?", fragte ich in die Runde durch welche sich ein Kopfschütteln zog, woraufhin ich aufstand und mich auf einen Barhocker an der Theke niederließ.
"Hey Kleines.", holte mich mein Barkeeper des Vertrauens zurück in die Realität, als ich für einen Moment dabei war in meinen Gedanken zu versinken.
"Na.", nuschelte ich und deutete auf mein Glas, um Carlos verständlich zu machen, dass er mir noch einen Cocktail mixen sollte.
"Sag mal, was war denn das gerade für eine Aktion?", grinste er mich an und stellte meinem Nebenmann ein Glas Cola vor die Nase, ehe er sich völlig mir widmete.
"Ach, abgehobenes Arschloch.", kommentierte ich das ganze Geschehen von vor wenigen Sekunden nur und konzentrierte mich auf das Mixen meines Cocktails, was er nebenbei erledigte.
"Oh, du bist aber nicht gerade gut auf ihn zu sprechen.", lachte er auf und schüttete die Flüssigkeit in mein Glas.
"Die Melone und so kannst du weglassen.", sagte ich frustriert und nahm schon wieder den nächsten Schluck von meinem neuen Getränk, ehe es überhaupt richtig vor meiner Nase stand. Überrascht zog Carlos seine Augenbrauen in die Höhe. "Bist du etwa gut auf ihn zu sprechen? Oder nur so eine Aussage, weil er dein Kunde und dein Kunde eben König ist?"
"Nee, ich finde ihn und den Rest der Truppe eigentlich recht nett. Seit sie in Hamburg leben sind sie jede freie Minute hier und da lernt man sich schon kennen und kommt ins Gespräch.", wank Carlos ab und kam um die Theke herum zu mir, um sich auf dem freien Platz niederzulassen. "Aber jetzt mach mir nichts vor; was ist los bei euch beiden?"
"Ach, ich kenne ihn und seinen Bruder von früher.", ich brauchte nicht lange überlegen, ob ich es ihm anvertrauen sollte oder nicht, da ich ihm vertraute und die Sache somit klar war. "Wir kommen beide aus Magdeburg und er war früher der Anführer von einer Clique, die mich ziemlich oft schikaniert haben."
"Und jetzt habt ihr euch nach etlichen Jahren wiedergesehen oder wie kann ich das verstehen?", harkte Carlos nach und sah mich interessiert an.
"Ja, genau. Als ich die Premiere hatte war er da und saß neben Cape. Sie hat einen Zettel mit einer Nachricht für mich von ihm bekommen, auf der stand, dass ich um Mitternacht in den Park bei mir um die Ecke kommen soll. Eigentlich wollte ich erst gar nicht hin, aber Cape hat mich dann doch überreden können.", ich schnaufte kurz und holte genug Luft, um den nächsten Teil dieser absurden Geschichte zu erzählen. "Er war so anders, war total schüchtern und hat um den heißen Brei geredet. Aber im Endeffekt hat er mir alles erklärt und sich bei mir entschuldigt. Das rechne ich ihm schon hoch an, weil ich ganz genau weiß, dass er eigentlich gar nicht so ist."
"Und wo liegt dann das Problem?", fragend blickte mein Gegenüber mich an und legte seine Stirn in Falten. Klar, zwischen Männern wird die Beendigung eines Streites mit einem Schlag in die Fresse geklärt, aber das würde glaube ich ein wenig seltsam kommen und wäre auch nicht ganz meine Art. Wobei...dann könnte ich meine ganze aufgestaute Wut in einen Schlag setzen. Oder in zwei, wenn der eine nicht gereicht hat...
"Erde an Claire?", lachte Carlos und wedelte mit seiner Hand vor meiner Nase herum. "Träumst du jetzt schon von ihm oder wie?"
"Man, nein.", lachte ich und gab ihm einen leichten Schlag auf seinen Oberschenkel. "Das Problem liegt darin, dass ich einfach nicht weiß, ob ich ihm eine zweite Chance geben kann. Er hat mich so verletzt und mich so geprägt. Und außerdem...er war gestern im Park so anders, so lieb, und gerade eben hat er die Masche á la Was du kannst, kann ich schon lange gespielt. Er widerspricht sich so sehr, verdammt.", ich raufte meine Haare und ließ meinen Blick zu dem Tisch schweifen, an dem er mit seinem Bruder Platz gefunden hatte. Ich verstand mich noch immer nicht, wie mich ein Mensch so sehr aus der Fassung bringen konnte. Und dann auch noch ein Mann. Was war hier los? Ich hätte vor Verzweiflung auf die Knie fallen und losweinen können, so sehr brachte er mich um den Verstand.
"Das sind Männer, Claire. Nimm es ihm nicht übel. Meinst du nicht, dass jeder eine zweite Chance verdient hat? Stell dir vor, du hast dich total mit Cape gezofft und du hast einen riesen Fehler begangen, dann würdest du dir doch auch wünschen, dass sie dir eine zweite Chance gibt, oder nicht?", sanft legte Carlos seine Hand auf meine Schulter und stupste mit seinem Finger gegen meine Nasenspitze, ehe er aufstand, eine Bestellung entgegennahm und den nächste Cocktail mixte.
"Aber Cape und ich sind beste Freundinnen und er...er war nie ein Freund von mir.", widersprach ich.
"Dann versetz dich in seine Position von dem Ganzen. Ihm sagen, dass du doch keinen Kontakt mehr haben willst, wenn ihr einen Neuanfang versucht habt, kannst du immer noch."
"Ach man, Carlos, du hast recht.", seufzend sah ich noch einmal zu Bill herüber, der genau in diesem Moment anscheinend den gleichen Einfall hatte und zu mir sah. Schnell huschte ein sanftes Lächeln über meine Lippen.  

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