Kapitel 16

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"Sehen wir uns dann morgen, Claire?", rief Joel mir noch hinterher, als ich gerade aus dem Umkleideraum gehen und mich endlich, nach einem viel zu langen Tag, auf den Heimweg machen wollte.

"Ja, klar. Ich hol dich wieder ab.", antwortete ich ihm und schickte ihm noch einen Handkuss, gefolgt von einem Lächeln, herüber. Es waren mittlerweile drei Wochen vergangen, nachdem ich meine Absage bekommen hatte. Ich war nicht mehr traurig darüber, eher verstand ich, dass ich noch an mir arbeiten musste und die zweite Chance nur zu meinem Besten war. Auch Joel hatte sich wieder beruhigt und kommentierte seine Absage mit einem einfachen "Vielleicht sollte es einfach nicht sein." Ich war froh, dass er jedes Mal so reagierte, wenn er damit konfrontiert wurde. Anfangs redete er fast gar nicht mit mir, doch jetzt war er jeden Tag bei meinen Proben dabei, um meine Haltung zu korrigieren und mir Verbesserungsvorschläge zu geben. Uns konnte eben nichts so schnell auseinanderbringen - vor allem nicht das, was uns zusammengebracht und zu besten Freunden gemacht hat.

"Liebes.", ich blieb stehen und stoppte meinen Gedankengang, als ich im Foyer auf meine Trainerin traf. "Ich wollte mich noch mal eben mit dir unterhalten.", meine Ohren wurden spitz - worüber wollte sie plötzlich mit mir reden?

"Ja, was denn?"

"Ich habe gesehen, dass du dich wirklich ins Zeug legst und deinem Trainingsplan gut nachgehst. Ich bin auch wirklich stolz auf dich, dass du deine zweite Chance so sehr nutzt und das Ganze nicht auf die leichte Schulter nimmst, sondern etwas für deinen Traum tust. Aber meinst du nicht, dass du vielleicht ein wenig zurückschrauben solltest? Du trainierst von morgens bis abends, oftmals ohne genügend Pause zu machen. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Du hast Fortschritte gemacht und könntest mit deinem jetzigen Stand auf jeden Fall das Vortanzen meistern und dir deinen Traum erfüllen. Vielleicht wäre es besser, wenn du den Rest der Woche zu Haus bleibst, dich ausruhst und dir die Sachen anschaust, die du von Unikollegen bekommen hast? Dann hinkst du nicht mehr allzu doll nach und du hast wieder neue Energie.", als sie aufhörte zu reden, holte sie erst einmal tief Luft und sah mich erwartungsvoll an. Auch ich musste das Ganze erst einmal verdauen, bevor ich das antworten konnte, was ich - meiner Meinung nach - eben zu antworten hatte.

"Ich denke nicht, dass das eine allzu gute Idee wäre. Ich will das nächste Vortanzen nicht noch einmal in den Sand setzen. Und auch wenn ich jetzt schon den Stand habe, kann es trotzdem noch zu Fehlern kommen. Genau deswegen will ich wenigstens so etwas wie Routine rein bekommen, damit es mir an dem großen Tag wenigstens nicht passiert.", ich wusste, dass es für meinen Körper eine nicht gerade gute Erfüllung war, dass ich ihn so maßlos trainierte und mir keine Auszeit für ihn nahm, aber dieser Ehrgeiz in mir war viel zu groß, als dass ich damit hätte aufhören können. Es war wie eine Sucht, der ich so verfallen war, dass mir alles andere um mich herum, mit inbegriffen von meinem eigenen Körper, egal wurde.

"Es wird dir auf die Dauer nicht gut tun. Dein Kreislauf macht da nicht lange mit. Glaub mir, ich habe damit Erfahrungen gemacht.", sie stoppte kurz und sah mich durchdringlich an. Sprach weiter, als ich nicht antwortete. "Was ist, wenn du auf Grund von Kraftmangel nicht vortanzen kannst? Mach dir bitte Gedanken darüber und gib mir bescheid.", bevor ich überhaupt schalten und mir noch eine Antwort zurecht legen konnte, war meine Trainerin hinter der nächsten Ecke verschwunden.

Ich wusste, dass sich alle ja nur Sorgen machten - das hatte mir Caprice in den letzten Tagen nun auch schon oft genug ans Herz gelegt -, aber trotzdem wollte ich nicht, dass sich jeder in mein Leben einmischte und mir in gewisser Art und Weise dazwischenfunkte. Eigentlich war ich doch diejenige, die am besten wusste, wie es ihrem Körper und sich selbst gerade ging. Wenn ich mich überfordert fühlte, dann würde ich schon aufhören.

Hastig und fast schon mit zittrigen Händen steckte ich mir die Stöpsel meines iPods in die Ohren und lief Richtung Park. Ich musste unbedingt weiter an meiner Kondition arbeiten, weswegen ich mich für das Joggen entschied, um genau die zu erlangen. Zwar war es schon kurz vor Mitternacht, doch trotzdem kannte ich in diesem Sinne kein Halten mehr. Ich musste etwas verbessern und genau das wollte ich durch viel Training eben tun.

Ich spürte, wie mir langsam die Luft wegblieb, als ich den Umweg durch den Park, der bei Caprice und mir um die Ecke lag, nahm. Doch stehen bleiben wollte ich trotzdem nicht. Ich wollte es durchziehen, ich wollte noch mehr Kondition bekommen und ich wollte es endlich schaffen. Ich war soweit gekommen, dann musste ich dieses kleine Reststück doch auch noch schaffen.

Die Außenwelt interessierte mich nicht, als ich über die Kieswege durch die Dunkelheit lief. Einzig und allein mein Ehrgeiz und die Musik in meinen Ohren zählte. Doch das gerade mein Ehrgeiz mir einen Strich durch die Rechnung machte, merkte ich erst, als meine Musik von einem Rauschen in meinen Ohren übertönt wurde. Nach und nach wurde die Restmusik noch leiser, hörte sich an, als wären die Ohrstöpsel rausgefallen und ich hörte nur noch die leise Melodie, die aus den herunterhängenden Kopfhörern dröhnte. Doch auch das Bild vor mir verschwamm, meine Hände und auch der Rest meines Körpers fing an zu schwitzen. Meine Beine trugen mich trotzdem noch weiter, da ich alles dagegen tat, um das Stehenbleiben zu verhindern.

Hechelnd strich ich mir den Schweiß von der Stirn, da es sich schon nahezu so anfühlte, als wäre er kurz davor herunterzutropfen. Heiß und kalt, das Rauschen, gefolgt von einer Atmung, die ich nicht mehr regulieren konnte und mich letztendlich zum Stehenbleiben zwangen. Doch lange stand ich auf meinen Füßen nicht. Ehe ich meine Hände auf meinen Knien abstützen konnte, um meine Atmung eventuell in irgendeiner Weise unter Kontrolle zu bekommen, spürte ich nur noch, wie ich hin und her taumelte und versuchte, mein Gleichgewicht zu halten. Doch dass das nicht klappte, merkte ich, als ich zu Boden sank und nur noch von weit her den Schrei nach meinem Namen vernehmen konnte.

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