Kapitel 08

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  "Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll...", nuschelte er, als er verlegen die dünnen Ärmel seiner Jacke über seine Hände zog. Genervt verdrehte ich die Augen.
"Man, Kaulitz. Wenn du dich mit mir treffen und mir irgendwas erklären willst, solltest du auch wissen, was.", fauchte ich ihn, passend zu meinem Gesichtsausdruck und dem dazugehörigen Befinden, schroff an.
"Wenn du mich vielleicht mal ausreden lassen würdest, hätte ich jetzt vielleicht schon einen Anfang gefunden, aber nein...die Dame hat ein ziemlich vorlautes Mundwerk bekommen.", konterte er und sah mich triumphiert lächelnd an. Meine Wut, die ich vor seinem misslungenen Anfangssatz eigentlich schon wieder soweit zurückgesteckt hatte, dass ich wirklich bereit war ihm zuzuhören, brodelte schon wieder ununterbrochen in den tiefen meiner Magengegend.
"Ich unterbreche dich doch gar nicht.", gab ich gespielt desinteressiert preis.
"Wenn du es nicht direkt unterbrechen nennen willst, dann...dann lässt du mich eben nicht zu Wort kommen.", kurz sah er mich an und musterte meinen Gesichtsausdruck. Es kam mir vor, als würden seine Augen schon nahezu starr auf meine Lippen gerichtet sein. "Besser, Madame?"
Ein einziges Nicken war meine Antwort; schließlich würde es nur wieder heißen, ich würde ihn nicht zu Wort kommen lassen, wenn ich widersprochen oder irgendetwas anderes getan hätte. Sollte er doch in dem Glauben bleiben - solange ich wusste, was richtig und was falsch war, war doch eigentlich alles okay, oder nicht?
"Okay, ähm...wahrscheinlich hast du dich gefragt, wer meine Begleitung im Theater war.", abwartend sah er mich an, jedoch gab ich noch immer keine Reaktion von mir. Ich spürte seinen Blick auf der Seite meines Gesichtes, was mich eher wütend werden, als lächeln ließ.
"Auf was wartest du? Dass ich dir wieder ins Wort falle?", fauchte ich und ließ meinen Kopf zu meinem Banknachbarn schnellen.
"Nein, das vielleicht nicht, aber wenigstens irgendeine Reaktion wie ein Kopfnicken oder ähnliches. Falls du verstehst.", zwinkerte er und verkniff sich zum hundertsten Male in diesem Gespräch das Grinsen. Folgen tat meine Reaktion - ein Schulterzucken.
"Achso, alles klar.", lachte er, beäugte mich und wurde sofort wieder ernst, als er meinen warnend Blick sah. Überleg dir ganz genau, was du sagst. Schließlich willst du mit mir reden und nicht anders herum, dachte ich mir und verzog meine Augen zu kleinen Schlitzen. "Es war nicht meine Freundin, falls du das dachtest. Wäre sie meine Freundin gewesen, dann...dann wäre ich jetzt vielleicht nicht hier.", kurz blickte er auf seine Finger, die er nervös zu kneten begann. Wie sollte ich den Satz denn jetzt bitte verstehen? Wäre es ihm dann egal, was mit mir war und wie es mir jetzt, nach Jahren, ging? Sollte ich eine Art Lückenbüßer sein? Dann hätte er auch gleich zu Hause bleiben können - ob Freundin oder nicht. Doch statt die Frage auszusprechen, geschweige denn mit dem Gedanken zu spielen, ihn überhaupt zu fragen, brannte ich sie mir immer weiter ins Gedächtnis, sodass ich schon Schwierigkeiten hatte, ihm wieder richtig zuzuhören. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, nach Hause gegangen und den Abend mit meinen eigenen Gedanken und einer Flasche Wein ausklingen lassen. Aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, weswegen ich unbewegt auf der Bank sitzen blieb und meine Jackenärmel noch weiter über meine Hände zog.
"Sie ist meine Visagistin, die mich dazu überredet hat, sie zu begleiten. Am Anfang hab ich mich ziemlich dagegen gesträubt und war auch gar nicht begeistert von ihrem Vorhaben, aber als dein Name gefallen ist, da...da war ich sofort Feuer und Flamme.", er wurde zum Ende hin immer leiser und irgendwie hatte ich das Gefühl, es sei ihm ein wenig unangenehm so ehrlich zu mir zu sein. Sollte er es wirklich sein, dann würde ich es ihm hoch anrechnen. Denn sein wir mal ehrlich: Welcher Junge würde sein Ego und Stolz schon so sehr zurückstecken und offen mit der Wahrheit umgehen? Kaum einer.
"Bill, warum?", es war das erste Mal seit Jahren, seit dem ersten Vorfall von den Schikanen damals, dass ich meinen Gegenüber mit seinem Vornamen ansprach. Wieso? Das wusste ich selber nicht.
"Ich habe die letzten Jahre ziemlich oft an die Zeit damals gedacht. Wenn wir auf Tour oder allgemein im Ausland waren, wenn ich an meine Kindheit in Magdeburg gedacht habe, habe ich automatisch an dich gedacht; und natürlich an die ganze Scheiße, die ich damals fabriziert habe.", er stoppte kurz und sah zu Boden, wo er mit den Spitzen seiner Stiefel einen Stein nach dem anderen von sich wegschoss.
"Ich wollte das damals alles nicht, Claire, das musst du mir glauben.", hauchte er und drehte seinen Kopf so zu mir, dass sich unsere Blicke für eine Zehntelsekunde trafen, ehe ich meinen Kopf schneller drehte, als es eigentlich möglich war. Trotz dem wirklich nur kleinen Augenblick, konnte ich seine Augen funkeln sehen. Er hatte schon immer schöne Augen und genau das hatte sich bis heute wohl nicht geändert.
"Wieso hast du es dann getan?", versuchte ich zum Verständnis meinerseits noch einmal nachzufragen. Wieso tun Menschen Dinge, die sie eigentlich nicht tun wollen? Für mich blieb da nur eine Erklärung: Wenn sie gezwungen wurden. Jedoch konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gab, der Bill damals zwang, mich fertig zu machen. Schließlich war Bill mit seinem Bruder doch der Anführer der angesagtesten Clique Magdeburgs.
"Ich...ich weiß nicht. Vielleicht wollte ich mich beweisen, vor den anderen noch cooler dastehen, als ich es damals schon tat. Ich kann es mir nicht erklären, Claire.", seufzend stieß er Luft aus seinem leicht geöffneten Mund, woraufhin sich weiße Wolken in der Luft bildeten. "Menschen tun Dinge, die sie eigentlich gar nicht tun wollen. Manchmal wird man so sehr von irgendetwas im eigenen Körper gelenkt, dass man Jahre später selbst nicht versteht und erklären kann, wieso man etwas getan hat. Ich war einfach verdammt jung und dumm."
Ja, er war verdammt dumm. Als es damals das erste Mal passierte, dachte ich, dass es eine einmalige Sache war. Doch es wiederholte sich immer und immer wieder und wurde von Mal zu Mal schlimmer. Trotzdem hatte ich immer versucht, durch irgendwelche Ausreden, die ich mir selbst in meinem Kopf zusammengesponnen hatte, Bill vor mir selbst herauszureden und das Gute in diesem Menschen zu finden. Damals bestand ich darauf, dass Leute mir glaubten, wenn ich sagte, dass auch er eine gute Seite hatte, doch als die Schikanen immer schlimmer wurden, legte ich auch das ab. Ab da an hasste ich ihn einfach nur.  

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