Kapitel 15

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"...deswegen denken wir, dass es besser wäre, wenn wir uns in zwei Monaten noch einmal wiedersehen.", die Worte der Tänzerin Darcy bekam ich schon seit Minuten nicht mehr aus meinem Kopf heraus. Eine halbe Stunde saß ich nun schon mit Joel in der Umkleidekabine und sagte kein Wort. Viel mehr zerbrach ich mir den Kopf darüber, wieso ich das Vortanzen so sehr in den Sand gesetzt hatte. Ich war schon immer eine gute Tänzerin und ich hatte in meinem Leben noch nie so schlecht getanzt wie an dem heutigen Tag. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich verlor vollkommen den Glauben an mich selbst, doch auf der anderen Seite gewann ich Motivation für die zweite Chance dazu.

Seufzend strich ich mir durch meine mittlerweile wieder offenen Haare und stand auf, um mir meine Trainingshose überzuziehen.

"Hast du vielleicht Lust diesen Flop heute Abend im Alkohol zu ertränken?", genauso enttäuscht, wie ich von mir, war Joel von sich. Auch er hatte keine Zusage bekommen. Nicht mal die zweite Chance wurde ihm geboten, was mir schon nahezu das Herz brach, da ich - seitdem ich hier in Hamburg lebte - mit Joel tanzte und noch kein Projekt ohne ihn angetreten bin.

"Nein, ich werde nach Hause gehen und mir einen Trainingsplan schreiben. Ich meine, die beiden kommen in zwei Monaten wieder und dann muss ich wenigstens so weit sein, dass ich das Ganze schaffe. Schließlich habe ich einen Traum und den will ich nicht beim zweiten Versuch und bei der zweiten Chance ein weiteres Mal in den Sand setzen, verstehst du?", versuchte ich ihm zu erklären und packte nebenbei meine Klamotten in meine Sporttasche. "Ich muss jetzt los, Cape wartet sicher schon auf mich."

Als ich die Tür aufziehen und mich auf den Weg ins Foyer machen wollte, stoppte Joels Stimme mich schlagartig. "Nein, verstehe ich nicht Claire. Und weißt du warum? Weil ich diese Chance nämlich nie bekommen werde.", er redete laut und mir kam es so vor, als würde ein Hauch von Vorwurf in seiner Stimme legen - als wolle er mich dafür verantwortlich machen, dass er die Chance nicht bekommen hatte. Dabei konnte ich doch nichts dazu, schließlich hatte ich die Entscheidung nicht getroffen. Und selbst wenn ich seinen Auftritt als Partnerin verpatzt hätte, wussten die beiden Profitänzer noch immer, auf was man - trotz eines Paarauftrittes - bei den einzelnen Personen zu beachten hatte.

"Es tut mir leid.", hauchte ich einfach nur und sah Joel noch einmal an. Wie er da stand, die Arme schlaff am Körper herunterhängend. Seine Mundwinkel hingen ebenso nach unten und sein Blick war leer. Er tat mir leid, weswegen ich meine Füße letztendlich noch einmal voreinander setzte und auf ihn zu ging, um ihn zu umarmen. "Melde dich, wenn was ist.", bot ich ihm an, da ich genau wusste, wie sehr es ihn verletzte, dass er diese Chance eben nicht bekommen hatte. Aber was sollte ich tun? Gerade fühlte ich mich nicht in der Lage dazu, mich mit ihm hinzusetzen und ihn zu trösten. Und um einen trinken zu gehen erst recht nicht - schließlich hatte ich meinen Abend schon verplant: Trainingsplan schreiben. Es mochte egoistisch klingen, dass ich mich vorerst um meinen weiteren Weg in Sachen Ballett kümmern wollte, statt meinem besten Freund und Tanzpartner beiseite zu stehen, doch er musste es verstehen. Ich war mir nämlich sicher, dass er in meiner Situation genauso gehandelt hätte.

Als ich im Foyer ankam, kam Caprice auch schon mit schnellen Schritten auf mich zugelaufen.

"Es tut mir so leid, dass es nicht geklappt hat, Claire.", nahm sie mich in den Arm und drückte unsere Körper zusammen. "Aber du hast ja noch die zweite Chance und ich bin mir sicher, dass es da wirklich klappen wird."

"Ach, das hast du dieses Mal auch schon gesagt, Cape. Ich will jetzt einfach nur nach Hause, okay?", matt lächelte ich sie an, ehe ich mich in Bewegung setzte und durch die große Flügeltür an die frische Luft tritt. Es war mittlerweile dunkel geworden und auch die Kälte, die durch die Nachrichten vorhergesagt wurde, war deutlich spürbar. Schnell zog ich meine Trainingsjacke bis zum Kinn zu und wickelte meinen Schal, den ich zuvor noch in meinen Händen trug, um meinen Hals, um mich kurz darauf in ihn einzumummeln.

"Claire, warte mal.", ich hatte gar nicht realisiert, dass ich Cape hatte stehen lassen, weswegen ich umso erschreckter war, als sie mich an der Schulter zurückhielt, bis sie mit mir Schritt halten konnte.

"Meinst du nicht, dass es eine einfache Erklärung dafür gibt, warum du das alles nicht geschafft hast?", fragte sie mich, doch alles, was ich verstand war Bahnhof. Ich wusste nicht, was sie von mir wollte und konnte eins und eins nicht zusammenzählen.

"Ich bin einfach noch nicht gut genug.", skeptisch musterte ich sie und legte meine Stirn in Falten.

"Na ja.", fing sie an und legte ihren Arm um meine Schultern, woraufhin ich meine Augenbrauen in die Höhe zog und darauf wartete, dass sie endlich mit ihrem Erklärungsversuch rausrückte. Doch anscheinend fand sie nicht die richtigen Worte.

"Caprice, wenn ich dich endlich bitten würde, mit der Sprache rauszurücken.", hakte ich nach und richtete meinen Blick gen Boden, um meinen Füßen beim Laufen zuzusehen.

"Mensch, lass mir doch ein paar Minuten Bedenkzeit. Schließlich muss ich die richten Worte finden, damit du mir nicht Sekunden später, oder beim Erklären selbst, noch den Kopf abreißt.", versuchte sie mich zu beruhigen, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte und ihr die Minuten Bedenkzeit gab, die sie brauchte.

Und genauso war es dann auch: Es mussten mindestens zehn Minuten gewesen sein, bis sie mit der Sprache rausrückte, denn wir waren bereits in unserer Wohnung und zogen uns die Jacken aus. Vielleicht war es ja wirklich so schlimm und ich würde ausrasten, weswegen sie ihr Zimmer brauchte, in das sie sich einsperren und sich somit vor mir schützen konnte.

"Vielleicht liegt es ja an Bill.", platzte es schon förmlich aus ihr heraus.

"Bitte was?", reagierte ich sofort. Selbst mir fiel mein fauchiger Ton auf, der meinen Mund verließ - wie es dann wohl bei Cape ankam? Doch das war mir egal. Wieso fing sie plötzlich mit dieser Plage an? Ich hatte die ganze Zeit nicht an ihn gedacht...und jetzt? Jetzt schwirrte er wieder unentwegt in meinem Kopf umher, sodass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Aber war es nicht schon traurig, dass erst etwas für mich Schlimmes passieren musste, damit ich nicht mehr an ihn denken musste?

"Deine Gedanken waren bestimmt bei ihm. Auch wenn er nicht direkt in deinem Kopf präsent war, war er sicherlich in deinem Unterbewusstsein da. Ich meine, du versuchst die ganze Zeit ihn zu verdrängen, schaffst es teilweise auch, doch trotzdem quält er dich im Unterbewusstsein damit, dass du noch nicht mit ihm gesprochen, oder mit der Sache noch immer nicht abgeschlossen hast.", versuchte sie ihre Erklärung deutlich rüberzubringen.

"Egal, was du hier für Erklärungsansätze hast - ich werde sicherlich nicht vor dem nächsten Vortanzen zu ihm gehen. Schlimmer kann es nämlich immer kommen und darauf habe ich keine Lust.", mit einem Bitten im Unterton versuchte ich sie endlich davon zu überzeugen, dass sie mich mit dem Thema Bill endlich und ein für alle Male in Ruhe lassen sollte.

"Es kann aber auch immer nur noch besser werden, Claire.", und genau diese Worte klangen so Ernst, wie schon lange kein Wort mehr von Caprice.

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