Kapitel 09

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"Dass du jung warst wissen wir beide. Dass du dumm warst, weißt du jetzt auch.", stellte ich fest und nuschelte noch "Ein wahrer Fortschritt" hinterher. Zu meiner Verwunderung verzog sich seine Miene um keinen Zentimeter, nicht vom Guten zum Böse, sondern seine einfache Reaktion war ein Nicken. Irgendwie machte es mich stutzig, ließ mich meine Nase rümpfen und sprachlos werden.
"Ich habe mich geändert. Die ganze Zeit, die ganzen Jahre haben mich ziemlich geprägt. Klar, irgendwo bin ich innerlich immer noch ein Kind, aber ei-"
"Bill, ist schon okay. Ich will deine Lebensgeschichten- und Weisheiten nun wirklich nicht wissen.", unterbrach ich ihn und hob meine Hände beschwichtigend in die Luft. Wieso um Himmels Willen holte er so weit aus und wollte mir so tiefgründig irgendwelche Geschichten aufdecken? Würde ein Es tut mir leid reichen?
"Tut mir leid.", als könne er meine Gedanken lesen, antwortete er mir sofort und senkte seinen Blick erneut. "Das war eigentlich alles, was ich sagen wollte."
Nickend träumte ich vor mir hin und suchte nach den passenden Worten, die mir nach dem Satz eigentlich kaum noch einfielen. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er sich bei mir entschuldigte. Er war immer so ein stolzer Mensch und keiner seiner Mitmenschen hatte es je geschafft, an seinem Ego zu kratzen. Konnten Menschen sich ändern, oder nur ihre wirkliche Seite verstecken? Schließlich war die Menschheit im Täuschen und Trügen Weltmeister.
"Ich weiß nicht, ob ich dir das glauben soll, Bill. Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, warst du ein komplett anderer Mensch. Weißt du, hier könnte sich jeder hinsetzen und mir das auftischen, was du mir hier auftischst.", versuchte ich ihm zu erklären, was in meinem Kopf vorging. Wieder nickte er nur und sah stur gerade aus in die Dunkelheit. Jetzt weiß ich, wie er sich vorhin gefühlt hat, als ich kein Ton von mir gab, sondern nur nickte und vor mich hin starrte. "Ich muss einfach drüber nachdenken.", sagte ich, ehe ich mich erhob und Schritt für Schritt von Bill wegging, um den Weg nach Hause auf mich zu nehmen. Ja, auf mich nehmen, schließlich war es mitten in der Nacht, es war stockdunkel und nicht gerade ein schönes Gefühl alleine durch die Straßen einer Großstadt zu wandern. Wer tat das, und vor allem als Mädchen, schon gerne?
"Claire, warte.", rief er plötzlich so laut durch den stillen und hellhörigen Park, dass ich mich erschreckte und schon fast ein leisen Aufschrei unterdrücken musste. Abrupt blieb ich stehen und sah leicht über meine Schulter hinweg. Ich sah, wie er näher kam und in einer bedächtigen Entfernung stehen blieb. Ich traute mich kaum mich umzudrehen, da sich diese Ungewissheit, was wohl in den nächsten Sekunden aus seinem Mund kommen würde, so sehr in meinen Kopf brannte, dass ich schon gar keine Ahnung mehr hatte, was ich denken sollte.
"Ich bin jeden Abend um Mitternacht hier. Wenn du dir genug Gedanken gemacht hast, dann...dann komm doch bitte her und lass es mich wissen.", seine Stimme hörte sich so anders, so sanft an, sodass ich mich einfach umdrehen musste und ihn für einen Moment lang musterte. Zwar war es dunkel und er stand immer noch verhältnismäßig weit von mir entfernt, aber das Lächeln, welches sich auf seine Lippen schlich, war kaum zu übersehen. Es kam mir vor, als würde sein Gesicht strahlen. Und es kam mir so vor, als hätte ich gehörig einen an der Klatsche. Was dachte ich denn hier bitte gerade? Das war nicht mein Kopf, nicht meine Gedanken.
"Mache ich.", antwortete ich, als ich mich selbst aus meinen Gedanken geweckt hatte, so schnell wie eben möglich und drehte mich wieder um. Ich wollte endlich hier weg. Ich hätte mich am liebsten sofort in mein Bett gelegt und einen Knopf angeschaltet, der mich vom Nachdenken abhielt.
Augen schließen und durchatmen, sprach ich mir selber Mut zu und setzte einen Fuß vor den anderen, um endlich aus dieser irgendwie doch unangenehmen Situation zu entkommen.
"Soll...soll ich dich vielleicht noch nach Hause bringen?", rief er und wurde von Wort zu Wort immer leiser. Fast schon so unbemerkbar, dass es kaum einer hätte sehen können - gerade bei der Dunkelheit -, schüttelte ich meinen Kopf. Dennoch war ich mir sicher, dass - wenn er mein Kopfschütteln nicht gesehen haben sollte - er sich meine Antwort hätte denken können.

Seufzend ließ ich mich an meiner Zimmertür auf den Boden gleiten und zog meine Beine an meinen kalten Körper. Der Weg nach Hause verlief schnell und ohne irgendwelche Zwischenfälle, worüber ich nach der Aktion im Park und dem raschelnden Gebüsch mehr als froh war. Noch so einen Schrecken hätte ich wahrscheinlich nach dem ganzen Aufenthalt im Park nicht auch noch überstanden.
Den Knopf zum Ausschalten meiner Gedanken hatte ich bis jetzt noch nicht gefunden. Ich hätte heulen können, wenn ich an das Gespräch mit Bill zurückdachte. Warum? Ich wusste es nicht. Wie ich so vieles nicht wusste. Egal, welche Frage, die mit Bill zu tun hatte und die ich mir stellte, ich wusste keine Antwort. Ich hatte das Gefühl, dass er mich derart aus der Bahn warf, dass ich absolut null Ahnung mehr hatte, was ich denken, oder fühlen sollte. Auf der einen Seite wusste ich nicht, ob ich ihm glauben sollte, und auf der anderen Seite kam es mir so vor, als habe er sich um 180° gedreht. Aber irgendetwas musste ich doch glauben, oder nicht? Sollte ich irgendwann um Mitternacht noch einmal zur Bank im Park gehen, oder das ganze einfach vergessen? Wenn ich mich dafür entscheiden sollte, was sollte ich ihm dann sagen? Dass ich ihm verzeihen würde?
Laut seufzte ich auf und raufte mir meine Haare. Es war zum Verzweifeln.

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