Kapitel 24

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"Bill, ich hab's geschafft. Ich habe es wirklich geschafft!", mit Freudentränen in den Augen kam ich in das Foyer gelaufen, wo Bill, mit den Händen in seinen Hosentaschen, stand. Durch mein Geschrei wurde er auf mich aufmerksam, befreite sich aus seiner starren Position und breitete seine Arme aus, um mich kurz darauf in Empfang zu nehmen. Quiekend lag ich in seinen Armen, während er sich, mitsamt meinem Körper, einmal um die eigene Achse drehte. Ich umfasste seinen Hals mit meinen Armen, klammerte mich schon nahezu an ihn, und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Ich war voller Adrenalin, voller Glücksgefühl und zudem auch noch völlig außer mir. Ich hatte wochenlang für diesen Moment gekämpft, brach zusammen, weil ich so viel für diesen Traum geben wollte und jetzt? Jetzt hatte ich es tatsächlich geschafft, mir eben diesen zu erfüllen. Ich würde nach London fliegen, um mit dem Royal Ballett zu tanzen. Ich würde tatsächlich auf dem gleichen Parkett tanzen, wie die ganz Großen.

"Ich freu mich für dich.", lächelte Bill mich an, als er mich runtergelassen hatte und ich mittlerweile wieder vor ihm stand. "Ich wusste doch, dass du das schaffen wirst!", ein weiteres Mal zog er mich in seine Arme und drückte unsere Körper so eng aneinander, dass kaum Chance bestand, einen tiefen Atemzug zu nehmen.

"Oh Gott, ich kann es kaum glauben, das ist einfach...unglaublich.", lachte ich und zog Bill hinter mir her an die frische Luft. "Lass uns zu mir fahren, ich mache mich fertig und heute Abend gehen wir feiern, ja?", euphorisch sprang ich in seinen mittlerweile geöffneten Audi und klatschte noch immer freudig in meine Hände. Wahrscheinlich bekam ich aufgrund meiner Euphorie gar nicht mit, dass Bill nach der Beglückwünschung seltsamerweise still war. Doch völlig gefangen in meinem Körper, in dem Adrenalin, was alle paar Sekunden neu durch meinen Körper schoss, wurde mir das Erkennen seiner mehr oder minder guten Laune verwehrt.

"Cape, Cape, Cape!", kreischte ich, als ich die Wohnungstür aufgerissen und meine Sporttasche in die Ecke gefetzt hatte. "Ich fliege nach London!"

"Oh mein Gott.", antwortete sie mir auch schon mit einem Schrei aus dem Wohnzimmer und kam mir entgegen gerannt. Sofort strahlten mich ihre weißen Zähne an, die aufgrund des Lächeln hervorblitzten. "Du bist mein Star!", rief sie und schon drückte auch sie mich fest an sich. "Das muss gefeiert werden. Ich ruf Joel an und dann geht's auf zu Carlos ins [i]Cabana[/i] - abgemacht?"

"Abgemacht. Bill, wa-", kurz stoppte ich und drehte mich um meine eigene Achse. "Wo ist Bill?", suchend blickte ich mich um und quetschte mich an meiner besten Freundin vorbei, um einen Blick in den geräumigen Wohnraum mit der angrenzenden Küche zu erhaschen. Mir bot sich ein seltsames Bild, welches ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Wenn ich ehrlich war, wusste ich gar nicht, dass Bill jemals so traurig geschaut hatte - beziehungsweise es überhaupt konnte.

"Bill?", fragte ich in einer ruhigeren Tonlage als zuvor und ging vor zur Couch, um meine Hände von hinten auf seine Schultern zu legen. "Alles okay?"

"Klar.", er blickte hoch und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Ein wenig verdattert von diesem Sinneswandel, nahm ich das Ganze mit einem Lächeln hin und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

"Ich geh mich kurz fertigmachen, okay?"

"Klar, Cape ist ja auch noch da.", zwar schenkte er mir wieder ein Lächeln, doch überzeugte es mich nicht so wie das, was er mir zuvor im Foyer zugeworfen hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Trotzdem beließ ich es dabei und schluckte aufkommende Worte, die ich noch hätte zu ihm sagen können, herunter. Ich wollte das Ganze auf sich beruhen lassen und den bevorstehenden Abend abwarten. Würde sich nichts ändern, würde ich mit ihm reden, das versprach ich mir.

Mit endlosen Gedanken aufgrund Bills Stimmung, duschte und richtete ich mich her. Die Freude wegen den guten Nachrichten und des Grundes, weswegen dieser Abend heute überhaupt stattfand und eben diesen Lauf nahm, vergaß ich doch trotz allem nicht. Es schwebte mir immer wieder in meinem Kopf herum und jedes Mal aufs Neue durchfuhr mich ein Schauer, der mir eine Gänsehaut über meinen Körper zog und das Adrenalin durch meine Venen schießen ließ.

Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel steuerte ich die Küche an, um zu den anderen beiden zu gehen. Doch kurz bevor ich den Wohnbereich betrat, erhaschte ich, während ich meine Handtasche an dem großen Kleiderständer im Flur suchte, die ein oder anderen Gesprächsfetzen von Bill und Cape.

"Ich freu mich für sie, aber ich bin traurig." - Bill.

"Wieso? Ich meine, sie kommt doch wieder.", erwiderte meine beste Freundin. Glasgeklimper und das Öffnen einer Flasche war zu hören.

"Und wenn nicht?", seufzte der Schwarzhaarige. Lächelnd schüttelte ich meinen Kopf, während sich anstatt des Adrenalins, ein anderes, mir befremdliches Gefühl durch den Körper schoss. Es schmeichelte mich, dass er traurig war und sich Gedanken um mich machte, doch ich wollte nicht, dass er so etwas dachte, geschweige denn wegen mir traurig war. Herr Gott, was dachte ich in diesem Moment nur? Wenn ich an diesen Jungen und an seine Worte dachte, machte sich ein komplett anderes Gefühl in mir breit - ein Gefühl, was ich nie mit ihm in Verbindung gebracht hätte.

Kopfschüttelnd, um irgendwie diese Gedanken, die mir so fremd und neu vorkamen, zu vertreiben, ging ich mit der gefundenen Handtasche in den Wohnbereich und platzte somit völlig unangemeldet in das nicht beendete Gespräch der beiden. Sofort verstummten sie.

"Stör ich?", grinste ich und versuchte die Tatsache, dass ich wusste um was es ging, zu verdrängen.

"Nein.", wank Bill jedoch sofort ab. "Wollen wir los? Tom hat sich auch auf den Weg gemacht, der müsste gleich hier sein. Ist es okay, wenn er seinen Wagen hier stehen lässt?", fragend blickte er mich an. Daran, dass ein teures Auto, ein Audi, hier in dieser mittelmäßigen Gegend Ansehen erregen würde, dachte ich nicht. Für mich gab es in dem Moment schließlich andere Dinge, die an erster Stelle standen. Und vor allem ein Drang, den ich unbedingt befriedigen musste.

"Ich hol eben meine Jacke.", meldete Cape sich zu Wort und flitzte an Bill, der mittlerweile aufgestanden und in meine Richtung gekommen war, vorbei.

"Ja, ist kein Problem. Bleibst du heute Nacht hier? Und Tom auch? Dann können wir morgen früh ja alle gemeinsam frühstücken.", lächelte ich ihn an.

"Gern.", ich sah, dass sich Bills Wangen leicht rot färbten. Überrascht und irgendwie angetan von dem Anblick, welcher mir geboten wurde, bewegten sich meine Mundwinkel in die Höhe und verwandelten meinen Mund zu einem Grinsen. Mein Drang, ihn in den Arm zu nehmen, welcher sich mit diesem schüchternen und fast schon zurückhaltenden Verhalten um Längen verstärkte, platzte schon nahezu aus mir heraus, weswegen ich die Distanz, die nur wenige Meter zwischen uns darstellte, überbrückte. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und drückte seinen Körper unglaublich nah an meinen. Ich wollte, dass er wusste, dass ich da war - gerade nach dem, was er Cape anvertraut hatte.

"Ich komm wieder, auch wenn ich für längere Zeit weg bin, ja?", flüsterte ich kaum hörbar, weswegen ich schon die Angst hatte, er hätte es nicht gehört. Doch der Druck, den er in die Umarmung steckte, verstärkte sich. Zwar waren es keine Worte, doch immerhin ein Zeichen, dass er verstanden, was ich gesagt hatte. Ein unglaubliches Gefühl.

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