23 Stunden

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Vom Flur drangen aufgeregte Stimmen in mein Zimmer. Meine Mutter scheuchte wahrscheinlich gerade wieder die Kleinen herum, weil die beiden sonst niemals rechtzeitig fertig wurden. Gleich würde sie auch in mein Zimmer hereinstürmen und meinen Körper unsanft hin und herrütteln, bis ich aufwachte. Glücklicherweise blieb mir diese regelrechte Tortur diesmal erspart, da ich ja schon wach war. Und tatsächlich hatte ich nicht Unrecht gehabt, schon stand Mum im Raum und setzte zu ihrem grausamen Aufweckritual an.

„Mum, es ist okay, ich bin wach“, grummelte ich und rieb mir die Augen, bevor ich mich träge aufsetzte und streckte. Gestresst fuhr sie sich mit der Hand durch das perfekt frisierte Haar und stieg auf Zehenspitzen über die Klamottenberge und Bücherstapel, die sich auf dem Fußboden türmten, um die Vorhänge aufzureißen. Gleißend helles Licht fiel in mein kleines Zimmer und blendete mich. Draußen lag eine dicke Schneeschicht, die Häuser und Bäume unter sich begrub und alles in ein strahlendes Weiß getaucht hatte. Lediglich die matschigen Schlieren am Straßenrand störten das Bild der perfekten Weißen Weihnacht etwas. Unsere Nachbarn hatten sogar in ganzes Haus mit Lichterketten behängt und ihren Vorgarten mit unzähligen Lichtern und Nikoläusen geschmückt.

„Was glotzt du so, Casey, wenn du jetzt nicht aus den Federn kommst, dann verpasst du noch deinen Flieger!“, schimpfte meine Mutter und eilte dann ins Badezimmer, damit meine kleinen Schwestern keinen Unsinn anstellten. Die beiden waren 4 Jahre alt, Zwillinge, extrem nervig und hießen Maya und Mackenzie. Zu ihren zahlreichen Lieblingsfreizeitbeschäftigungen gehörte eben auch, möglichst viele Dinge in möglichst kurzer Zeit kaputt zu machen. Als die Nachzügler und Nesthäkchen in unserer Familie waren sie außerdem ziemlich verwöhnt, besonders, was Kleidung und Ausstattung anging. So viel Spielzeug wie die beiden in ihrem Zimmer stehen hatte führte nicht einmal ein Spielwarengeschäft – ungelogen.

Seufzend schälte ich mich aus der wärmenden Bettdecke und tigerte zu meinem Kleiderschrank, in der Hoffnung, etwas halbwegs bequemes und gleichzeitig hübsches zu finden. Nachdem ich mich für Leggins und ein weites Tanktop entschieden hatte, rief mich meine Mutter auch schon zum Frühstück und ich beeilte mich, hinunter zu kommen, um sie nicht noch zusätzlich zu verärgern. Im Vorbeigehen warf ich einen schnellen Blick in den Spiegel und musste feststellen, dass ich schrecklich aussah. Mein Haar hing schlapp hinunter und ich war so blass, dass meine Gesichtsfarbe dem Schnee vor der Tür glich.

„Casey, ich schwöre, wenn du nicht in drei Sekunden hier am Tisch sitzt, dann gibt es ein Donnerwetter!“; brüllte Mum und Maya und Mackezie klatschten vergnügt in ihre kleinen Patschehände, für sie war es immer wieder erheiternd, zu sehen, dass ich anstelle von ihnen Ärger bekam. So schnell wie möglich rannte ich die Treppe hinunter und fiel auf meinen Stuhl im Esszimmer. Vor mir hatte meine Mutter ein Schälchen mit weißem Joghurt und Haferflocken serviert, welches ich nur mit Mühe herunterwürgen konnte. Natürlich war es keine Entschuldigung, dass mir Naturjoghurt einfach nicht schmeckte. Wollte man gesund und gutaussehend wie meine Mutter sein (so behauptete sie es zumindest), musste man jeden Morgen dieses Zeug zu sich nehmen. Während ich mir mit zugehaltener Nase einen Löffel nach dem anderen in den Mund schob und versuchte, den regelmäßig einsetzenden Würgereflex zu unterdrücken, redete meine Mutter nachdrücklich auf mich ein.

„Der Flug wird bestimmt nicht so schlimm, wie du jetzt noch denkst, Casey, mach dir keine Sorgen.“ Genervt verdrehte ich die Augen und schluckte. Der Flug würde mit Sicherheit noch viel schlimmer werden, als ich es mir ausgemalt hatte, aber das jetzt laut auszusprechen, würde mein nahendes Ende bedeuten. Leider hatte ich diese riesige, irrationale Angst vor Flugzeugen allgemein und großen Flugzeugen im Besonderen. Und vor Flugzeugen nach Australien erst recht. Irgendwie verstörte mich die Tatsache, dass ich heute in einem riesigen Airbus reisen würde, eingepfercht zwischen Hunderten von anderen Reisenden und Touristen. Hoffentlich nicht allzu viele Japaner, ich verspürte nicht die geringste Lust, in meinem Outfit und mit diesen Haaren von irgendjemandem abgelichtet zu werden. Bei diesem Gedanken musste ich schlussendlich doch lächeln, ganz zur Freude Mums: „Siehst du, Casey, es ist alles halb so wild. Du wirst eine großartige Zeit dort verbringen.“

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt