Kapitel 2

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Nervös kaute ich an meinen Fingernägeln und spuckte die kleinen Stückchen in meine Handfläche zurück. Es war eine lästige Angewohnheit, aber es half mir manchmal wirklich, Stress abzubauen. Die Zeit lief uns davon, eigentlich wollten wir schon längst am Flughafen sein und mein Gepäck abgeben, doch daran war jetzt gar nicht mehr zu denken. Hoffentlich fand ich noch die Zeit vor dem Flug auf die Toilette zu gehen, sonst bestand höchste Gefahr, dass ich einfach auf meinen Sitz pinkelte.Mums Fahrstil ließ mein Frühstück fast wieder hoch kommen, sie war viel zu schnell unterwegs und ließ jegliche Verkehrsregel völlig außer Acht. „Wir sind spät dran“, jammerte sie alle hundert Meter und schlug mit der Handfläche auf das Lenkrad. Sogar die Zwillinge merkten, dass es jetzt ein ungünstiger Moment war, etwas anzustellen und popelten schweigend in ihren kleinen Stupsnasen.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass das Flugzeug bereits in zwei Stunden ging und ein kleiner Funken Hoffnung, dass ich meinen Flug einfach verpassen würde, kam in mir auf. Mum räusperte sich leise und sah mich warnend von der Seite an: „Junge Dame, ich weiß schon, was da gerade in deinem Kopf vorgeht und ich würde dir raten, diesen Gedanken so schnell wie möglich aus deinem Hirn zu verbannen.“ Dann stieß sie eine Reihe von Schimpfwörtern aus und riss das Lenkrad herum, um in eine Seitenstraße einzubiegen, wahrscheinlich, weil sie einen Umweg fahren wollte. Inzwischen musste sie nur noch den Schildern mit der Aufschrift „Gatwick Airport“ folgen und der Verkehr wurde zunehmend dichter. Aggressiv vor sich hin fluchend bog sie auf das Fluhafengelände ab und löste ein Parkticket.

„Verdammte Scheiße, du bist so spät dran, Casey! Das ist mal wieder typisch! Nur, weil du dich nicht beeilen konntest!“, brüllte sie und raste durch das riesige Parkhaus. Verstohlen rollte ich mit den Augen und widmete mich wieder meinen Fingernägeln. Vom Rücksitz konnte ich leises Kichern von Maya und Mackenzie hören und schmiedete schon Mordpläne in meinen Gedanken. Leider blieb mir für die Ausführung keine Zeit, denn der Wagen kam zum Stehen und meine Mutter war herausgesprungen, bevor ich überhaupt realisiert hatte, dass wir jetzt da waren. Sofort setzte leichte Übelkeit bei mir ein. Ich wollte niemals nicht unter keinen Umständen in dieses Flugzeug einsteigen. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, mich davor zu drücken, ich würde wirklich alles dafür tun. Hektisch lud meine Mutter die Koffer aus dem Auto und keifte mich an, sofort meinen „fetten Hintern aus dem Scheiß-Auto zu erheben“, dann riss sie Mackenzie und Maya aus ihren Sitzen.

Mir drückte sie meinen Koffer in die Hand, hängte sich selbst meine Tasche um und zerrte die Zwillinge hinter sich her in Richtung von einer der wahllosen Türen des Parkhauses. Schnaubend folgte ich ihr, meinen schweren Trolly hinter mir her ziehend und bemühte mich, möglichst ruhig zu bleiben und möglichst keinen weiteren Gedanken an Dad und Evie und ihr kleines Kind und das mir bevorstehende Fest und das Kleid zu verschwenden. „Mum, renn nicht so, ich glaub, ich muss kotzen“, stöhnte ich und rieb mir demonstrativ mit der flachen Hand über den Bauch. Natürlich hielt sie nicht an oder sah sich auch nur nach mir um, anders hätte ich es offen gestanden aber auch nicht erwartet.

Ich wollte dieses dämliche Flugzeug nicht betreten, ich wollte nicht nach Australien, ich wollte Dad nicht sehen, oder diese Evie und ihr Kind. Ich bekam Schwierigkeiten, mit Mum Schritt zu halten, da sie inzwischen fast rannte, quer durch die berfüllte Halle, zu den Schaltern am anderen Ende. Dagegen musste ich mich mit meinem schweren Koffer herumplagen und mich durch die Menschenmassen kämpfen, was sich als nicht so leicht herausstellte. Nachdem ich geschätzten zwanzig Leuten die Zehen platt gerollt hatte, drosselte ich mein Tempo und atmete erleichtert auf, als Mum an einem Schalter Halt machte und mich zu ihr herüberwinkte. Sofort nahm sie mir – in heller Panik – den Koffer ab und ließ ihn wiegen und mit lauter wichtig aussehenden Stickern bekleben. Dann verschwand mein Gepäck in einem Raum hinter einem Laufband und die Stewardess erklärte uns, wohin wir jetzt gehen mussten, wahrscheinlich wirkten wir auf sie ziemlich planlos. Anscheinend stand mir jetzt eine Sicherheitskontrolle bevor, danach war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt.

„Mummy, wohin geht der Koffer denn jetzt?“, fragte Mackenzie schüchtern und spielte mit ihren albernen Zöpfchen. Als ob das eine dumme Frage wäre schlug sich Mum gegen die Stirn. „Na, in den Flieger, wohin denn sonst?“, fragte sie schnippisch und Maya kicherte laut. Zu gerne hätte ich einer von ihnen gerne eine heruntergehauen, einfach, weil sie eine schrecklich anstrengende Familie waren.

Endlich lotste mich meine Mutter zu einem Gang, an dem nur wenige Menschen anstanden und drückte mir alles Wichtige in die Hand. Kurz und gefasst umarmte sie mich: „So, Casey, da können wir nicht mit hinein. Du findest den Weg schon, wir haben das vorhin noch besprochen, da ist aber auch alles bestens ausgeschildert. Ja? Mach dir in Australien eine schöne Zeit, mit Dad. Und vergiss nicht, ihm schöne Grüße auszurichten.“ Nervös lächelte ich und nickte bloß. „Tschüss, Casey, bring uns was mit“, grinste Maya frech und ich verdrehte die Augen, wohlwissend, dass ich ihr absolut und rein gar nichts mitbringen würde. Nach einem peinlichen Moment der Stille verabschiedete sich Mum noch einmal und verschwand dann mit jeweils einem Kind an jeder Hand irgendwo im Getümmel.

Seufzend betrachtete ich die Informationsschilder, die überall hingen und fand heraus, dass ich mein Handgepäck und meine Jacke auf das Band legen musste und anschließend durch diesen … Türrahmen gehen, der immer auf unerklärliche Weise laut und durchdringend piepste, wenn man metallische Gegenstände bei sich trug. Etwas aufgeregt passierte ich den Detektor und wurde dann noch von einer Frau mit einem seltsamen Lupendings gecheckt. Nun konnte ich meine Sachen wieder mitnehmen und stand in einer riesigen Halle. Voll von Menschen. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich hinmusste. Alles, was ich wusste, war, dass mein Flugzeug in ungefähr 35 Minuten abhob und ich gnadenlos spät war. Eine Weile irrte ich hilflos umher, überall waren Läden und nirgends waren die von Mum erwähnten Schilder, die mich zu meinem Gate führen sollten. Ich war hoffnungslos verloren an einem Flughafen, den ich bis jetzt ein Mal besucht hatte. Wow.

Die Chancen, gleich in Tränen auszubrechen wuchsen sekündlich und ich fühlte mich winzig und verloren. Verzweifelt lief ich die einzelnen Läden ab. Was sollte ich denn jetzt tun? Meinen Flieger durfte ich auf keinen Fall verpassen! Mum würde mich umbringen. Und zwar wrtwörtlich. Jetzt spürte ich schon, wie es hinter meinen Augen verräterrisch zu jucken anfing und kurz darauf verschwamm alles um mich herum unter meinen Tränen. Inmitten von all den Menschen, die auf wundersame Art genau zu wissen schienen, wo sie hingehen mussten, stand ich und begann, bitterlich zu weinen.

Unter keinen Umständen durfte ich meinen Flieger verpassen, Dad würde mehr als nur enttäuscht sein und Mum würde wahnsinnig wütend werden und mich als dumm und unfähig titulieren und beides würde ich nur zu gerne vermeiden. Am besten ich fragte einfach jemanden. Aber wen? Tiefe Verzweiflung machte sich in mir breit und ich spürte ein Stechen in meinem Herzen. Mal wieder hatte ich alles ruiniert, nur, weil ich zu dämlich war, um ein Schild zu finden. Mitten in London Gatwick in irgendeiner Halle stand ich, ein kleines, schwarzhaariges Mädchen, das wie ein Baby flennte. Einfach großartig. „Alles okay?“, fragte eine dunkle Stimme hinter mir und ließ mich zusammenzucken. Ich wirbelte herum und blickte einem Jungen ins Gesicht.

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt