Kapitel 4

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Mit pochendem Herzen bahnte ich mir einen Weg durch die Menschen, die in den Fächern und unter den Sitzen ihr Handgepäck verstauten und natürlich alles versperrten. Endlich hatte ich meinen Sitz gefunden. Glücklicherweise saß ich nicht am Fenster, sondern am Gang, was mich irgendwie erleichterte. Wenn ich schon in so einem riesigen, gruseligen Flugzeug sitzen musste, brauchte ich mir nicht auch nicht das wahrlich angsteinflößende Bild ansehen, das sich mir bieten würde, sobald wir abgehoben waren. Wolken und winzig kleine, tausende von Metern entfernte Länder. Und das Meer. Ich erschauderte. Daran wollte ich gar nicht denken. Mehr und mehr Menschen nahmen Platz und das Flugzeug füllte sich langsam aber sicher.

Wo dieser Junge jetzt wohl saß? Er hatte wirklich gut ausgesehen, ich bekam seinen warmen, freundlichen Blick aus diesen braunen Augen gar nicht mehr aus dem Kopf. Seine Wangenknochen! Er war bestimmt ein Model oder sowas, so sexy wie er war.... Schnell rief ich mir in Erinnerung, dass er eine Freundin hatte und es deshalb nicht angebracht war, auch nur ansatzweise solche Gedanken zu haben. Aber so richtig wollten diese nicht verschwinden.

Um mich ein wenig abzulenken, blätterte ich gelangweilt einmal durch die aktuelle Ausgabe der Teen Vogue und konnte mir ein genervtes Augenrollen nicht verkneifen. All diese Semi-Berühmtheiten mit ihren Liebesproblemen und Beziehungskrisen, ein paar Klasse-Z-Stars im Drogenrausch und abgemagerte, teilweise ziemlich hässliche Models, die die sogenannten „Trends“ präsentierten.

Bloß nicht daran denken, dass du bald schon im heißen Australien deinen Dad triffst, trichterte ich mir ein und konzentrierte mich auf die stumpfsinnigen Zitate, die neben die Köpfe der Models gedruckt waren. „Casey“, sagte eine dunkle Stimme neben mir und ich fuhr zusammen, dann sah ich auf.

Das konnte doch nicht wahr sein. Der mysteriöse, schöne Junge verzog seinen Mund zu einem feinen Lächeln und vergewisserte sich mit einem kurzen Blick auf sein Ticket, dass er auch tatsächlich dort -neben mir- sitzen würde. Mein Herz flatterte seltsam und mir verschlug es für einen Moment die Sprache. Zumal kannte ich noch nicht einmal seinen Namen. Während er sich an mir vorbei in seinen Sitz zwängte und seinen kleinen Rucksack unter den Sitz des Vordermanns schob, rollte ich hastig die teen Vogue zusammen und drückte sie irgendwo hinter mich, dass er sie nicht entdeckte und fuhr mir noch einmal mit der fachen Hand durchs Haar.

„H-Hiiiiii...“, wisperte ich und Hitze kroch meinen Hals und meine Wangen hoch. Höchstwahrscheinlich hatte ich bereits die Farbe einer überreifen Tomate angenommen. Verwundert betrachtete er mich eine Sekunde, dann grüßte er mich zurück: „Hey. Was für ein Zufall, hm?“ Zaghaft nickte ich und pulte ein kleines Stückchen Nagelhaut von meinem Daumennagel ab. Ebenfalls eine lästige Angewohnheit von mir, reine Nervositätsverarbeitung, so meinte mein Hausarzt. Zufall. Bestimmt kein Zufall. Das hier war Schicksal. Wir waren füreinander bestimmt oder so. Mit übernatürlichen Dingen kannte ich mich nicht so genau aus, doch dass das hier nicht nur 'Zufall' war, bemerkte sogar ich. „Bist du sehr aufgeregt?“, erkundigte er sich mitfühlend und starrte mir so durchdringend in die Augen, dass mich das Gefühl beschlich, dass er bis in die Tiefen meiner Seele gucken könnte. „Ja“, gestand ich, „Ich übergebe mich gleich in eine dieser niedlichen Tüten, mit denen sie die Sitze hier dekorieren.“ Ein leises, kehliges Lachen schlüpfte aus seinem Mund und sein ganzes Gesicht schien mitzulachen. Wie kriegte er es hin, so wunderschön auszusehen, sogar, wenn er lachte?

Bedauerlicherweise klingelte gerade in dem Augenblick sein Handy und das Lachen verstummte so schnell, wie es gekommen war. Seufzend drückte er auf 'Annehmen', ohne zu zögern. „Heeey, Süße“, seine Stimme klang verändert, viel weicher und so sanft und liebevoll, „Ja, ich bin auf dem Weg. Gleich hebt der Flieger ab. … … Süße, es wird alles gut. Ja. … Ich bin ja bald da. … Ich liebe dich.“ Als sein ausgesprochen kurzes Telefonat zu Ende war, schaltete er sein Handy dann ab und steckte es in die Tasche seiner engen, schwarzen Jeans. Mich überkam ein Anflug von Eifersucht. Anschließend schlüpfte er aus seiner ebenfalls schwarzen Lederjacke und das Joy Division Logo auf seinem T-Shirt sprang einem förmlich entgegen.

„Du magst Joy Division?“, fragte ich leise. Meine Zunge fühlte sich taub und trocken an und ich war überrascht, dass er es überhaupt gehört hatte. Knapp antwortete er: „Nein. Ich liebe Joy Division.“ Wieder unternahm mein Herz ein paar höchst merkwürdige Dinge, bevor ich strahlend entgegnete: „Echt? Das ist wirklich cool, ich liebe die auch total! Endlich jemand mit Musikgeschmack... Welches ist dein Lieblingslied?“ „Disorder“, entfuhr es ihm schlagartig und ich kicherte, „Und deins?“ „Love Will Tear Us Apart“, meinte ich mit einem schüchternen Lächeln, „Aber Disorder mag ich auch ziemlich gerne.“ Ein paar Minuten diskutierten wir, welches Lied denn nun das bessere war und kamen dann zu dem Schluss, dass alle Joy Division Songs gleich perfekt waren und wir nicht berechtigt wären, sie zu beurteilen. „Love Will Tear Us Apart ist trotzdem besser“, grinste ich und er schüttelte belustigt den Kopf und verdrehte die Augen.

Auf den winzigen Bildschirmen, die alle paar Reihen über den Köpfen der Passagiere montiert waren, erschien nun eine kleine Comicfigur, die eine Stewardess darstellen sollte, die uns in einem kleinen Film nun die Sicherheitsanweisungen in diesem dämlichen Flugzeug erklärte.

Die Notausgänge befinden sich hier, hier, hier und hier. Unmittelbar nach Verlassen des Flugzeuges ziehen Sie an den roten Griffen, um die Weste aufzublasen.Sollte der Druck in der Kabine sinken, fallen automatisch Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke. In diesem Fall ziehen Sie eine der Masken ganz zu sich heran und drücken Sie die Öffnung fest auf Mund und Nase.

Panisch beobachtete ich, wie die Comicfigur die ganzen Vorkehrungen detailliert elaborierte und krallte mich in die Armlehnen meines Sitzes. Oh mein Gott. Hier drin könnte ja alles mögliche geschehen. In meinem Kopf spielten sich bereits zahlreiche Horrorszenarien ab, die mich nur noch mehr in Angst versetzten. Brennende Flugzeugteile und kaputte Sicherheitswesten geisterten mir im Kopf herum und mir wurde ein wenig übel. Was, wenn ich das hier nicht überleben würde? Fliegen war höchst gefährlich!

„Casey, beruhige dich“, redete der Junge sanft auf mich ein, „Sollte hier etwas passieren, bist du sowieso sofort tot. Keine Panik.“ Hysterisch quiekte ich auf: „Keine Panik?! KEINE PANIK?! Wir befinden uns in einer Todesmaschine und du sagst noch 'Keine Panik'?“ Unbeholfen tätschelte er meinen Arm: „Hast du eine Stewardess nach Beruhigungsmitteln gefragt?“ Mir fielen die Baldrianpillen ein und ich nickte verstört. Vorsichtig reichte er mir zwei kleine, stinkende Tabletten und zwang mich, beide in den Mund zu nehmen. „Gleich fährt das Flugzeug los, dann hebt es ab. Zum Druckausgleich kannst du ja auf denen herumkauen und sie danach schlucken. Und jetzt ganz ruhig, Casey. Fliegen ist halb so wild.“ Dankbar nickte ich wieder und krallte mich wieder in den Sitz.

Das Flugzeug setzte sich gemächlich in Bewegung und rollte dann immer schneller. Fuck.

 

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt