Kapitel 11

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„Ich möchte da nicht hin“, flüsterte ich und spürte Tränen in meinen Augen aufwallen. Normalerweise weinte ich nicht, nur äußerst selten. Doch jetzt schienen in mir alle dämme zu brechen und Wasser lief mir in kleinen Sturzbächen die Wangen hinunter.

Was, wenn mein Dad mich vergessen hatte? Wass, wenn er mich gar nicht mehr liebte? Zayn zog mich fürsorglich an sich und wir umarmten uns ungelenk. Währenddessen tätschelte er mir in regelmäßigen Abständen den Rücken. Doch ich konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Unbeholfen wand sich Zayn in seinem Sitz, sah mich gequält an und wünschte sich wahrscheinlich nichts sehnlicher, als dass die kleine Nervensäge neben ihm endlich still war und ihm nicht mehr zur Last fiel. Vielleicht sollte ich wirklich aufhören zu weinen, doch der Gedanke, dass mein Vater sich verändert hatte, eine neue Familie hatte, mich gar nicht mehr brauchte, schnürte mir die Kehle zu.Eigentlich hasste ich es, wenn andere mich weinen sahen, doch gerade war mir alles egal.

Ich wollte nur nicht dort hin, ich hatte die Idee von Anfang an abgelehnt. Dann hatte Mum mich nach einem Monat ewigen Diskutierens schließlich dazu überzeugt (oder eher überredet) und Dad hatte mir ein Päckchen mit dem Kleid und einem Brief geschickt, in dem er sich bedankte, dass ich mich dazu herabließ, ihm einen Besuch abzustatten und so weiter. Mir war schon damals der Gedanke gekommen, dass wir uns entfremdet haben könnten, doch niemals war er so real geworden wie hier in diesem Flugzeug.

Ich atmete tief und meine lauten, schluckaufähnlichen Schluchzer wurden leiser und leiser, bis sie vollends verstummten. Inzwischen waren meine Tränen versiegt, dieses Loch in meinem Herzen war aber immer noch da. Zayn zerrte ein Taschentuch aus seinem Rucksack und reichte es mir, zusammen mit einem mitfühlenden Lächeln.

„Tut mir leid“, sagte er und ich wusste, dass es ihm wirklich aufrichtig leid tat. Er sprach leise, um niemanden der schlafenden Fluggäste zu wecken. Seine Miene war undeutbar, aber er wirkte nachdenklich und ein bisschen abwesende.

„Dein Vater... hat der auch eine neue Frau?“, fragte ich, denn ich konnte meine Neugier kaum in Zaum halten.

Zayn schüttelte heftig den Kopf: „Nein, Dad hat immer nur Mum geliebt. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie seine erste und einzige große Liebe war. Manchmal hat er andere Frauen mitgebracht... aber es hat nie länger als ein paar Monate, allenfalls ein, zwei Jahre, gehalten.“

Mir gefiel diese Geschichte, sie hatte etwas dramatisches, wie in einem alten Theaterstück, gleichzeitig breitete sich ein Anflug von Sentimentalität in mir aus. Warum konnte nicht mein Vater noch in meine Mutter verliebt sein? Es würde vieles so viel einfacher machen. Vielleicht würde ich dann nicht dieses leere, flaue Gefühl im Magen bekommen, wenn ich an Australien dachte. „Mir gefällt das. Also, dass dein Vater nie jemand anderen geliebt hat. Das ist ein tröstlicher Gedanke. Was ich darum geben würde, dass mein Dad Mum noch liebt.“

„Er liebt sie bestimmt noch. Auf eine andere Art. Wenn etwas in die Brüche geht, sind immer noch die Scherben da. Und vielleicht ist er nach Australien gegangen, um deine Mum zu vergessen? Vielleicht fiel es ihm auf die Weise leichter?“, Zayns Worte waren wie Butter, weich und zart und goldgelb, er wollte es nicht riskieren, mich anzugreifen oder zu verletzen.

Aber ich schüttelte den Kopf. „Als wäre es viel einfacher, ganz neu anzufangen, als die Scherben wieder zusammenzukleben. Sie hätten es geschafft. Besonders, wenn er sie noch geliebt hat, so wie dein Dad deine Mum“, widersprach ich, wohlwissend, dass sie verschieden waren wie Tag und Nacht und es vielleicht nicht geschafft hätten.

„Ich finde es traurig. Sein Leben lang liebte er sie. Er hat sein ganzes Dasein darauf verschwendet, sie zu lieben.“

Ich schluckte. „Aber er ist doch trotzdem glücklich, oder? Es ist einfach seine Art zu leben“, beharrte ich trotzig, obwohl es albern war und ein bisschen kindisch, weil ich Zayns Vater nicht kannte und weil das alles so verwirrend für mich war.

Still sagte Zayn: „Offen gestanden weiß ich nicht, ob er glücklich war. Ich hoffe, er ist es zumindest jetzt.“

„Bestimmt, wenn sein Sohn mit dem guten Musikgeschmack ihn besuchen kommt“, zwinkerte ich, nur um ihn aufzuheitern.

Er lächelte und blickte an seinem Joy Division T-Shirt hinunter. „Dann müsste dein Vater ja Freudensprünge machen“, er zwinkerte ebenfalls, doch bei ihm sah es wahrscheinlich zwanzig Mal heißer aus als bei mir, wo ich mein Gesicht dabei immer so seltsam verziehen musste.

Er wurde wieder ernst. „Nur, um das nochmal klarzustellen, Casey, ich bin mir ganz sicher, du wirst eine tolle Zeit dort haben. Wenn du dich mit Evie und dem Baby nicht verstehst, dann wird dir Australien an Weihnachten noch umso mehr gefallen. Es ist wunderschön.“

Evie und John. Schon seit Wochen dachte ich darüber nach, wie Evie wohl war. War sie streng und hektisch wie meine Mutter? Oder war sie eine langweilige Hausfrau? War sie dick oder dünn, groß oder klein, hübsch oder hässlich? Und wie würde sie auf mich reagieren? Wieso hatte sie mir ein mehrere hundert Pfund teures Kleid gekauft, wenn sie mich noch nicht einmal kannte? In meinem Kopf begann es zu rattern. Fragen über Fragen. Bald würde ich Antworten darauf erhalten. Doch ich fühlte mich nicht bereit.

"Tut mir leid wegen des kleinen Heulkrampfes eben", meinte ich und errötete.

Zayn lächelte und winkte ab: "Kein Problem. Dir steht schließlich einiges bevor."

Dann schwiegen wir wieder.

Schweigend saßen wir nebeneinander, jeder hing seinen Gedanken nach.

Zu gerne wüsste ich, was in seinem hübschen Kopf vorging, was hinter den dunklen Augen lag. Seine Worte hatten mich berührt. Sein Vater hatte wahrlich sein ganzes Dasein damit verschwendet, eine Frau zu lieben, von der er wusste, dass sie ihn niemals genauso sehr lieben konnte. Vielleicht war es das, was mir so daran gefiel. Es verband mich mit ihm.

Zayn könnte mich niemals genauso lieben wie ich ihn. Und dennoch war dieser winzige Funke Hoffnung in meiner Brust, klein, aber präsent, immer da. Machte auf sich aufmerksam, wenn Zayns ruhiger, tiefer Blick auf mir lag, flüsterte mir seine süßen Worte ins Ohr, dass eventuell doch die kleinste Möglichkeit bestand, dass Zayn mich auch … mochte.

Es lag an der Art, wie er mich ansah, wie seine Augen ein sauberes kleines Loch in mein Herz bohrten. Ich wusste, das war Einbildung, nur eine Illusion von Nähe, der Flüsterton und das verdunkelte Flugzeug gaukelten mir die stille Vertrautheit nur vor, aber das war mir egal. Im Augenblick fühlte es sich echt an. Zwei Liebende, verloren in ihren Gedanken, so weit weg, und doch so nah.

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt