Kapitel 14

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Natürlich wusste ich schon die perfekte Frage, um unser kleines Spiel bestens weiterzuführen. „Wieso hast du mich vorhin fast geküsst“, fragte ich ruhig, doch es klang mehr wie eine Feststellung. Erstaunt öffnete er seinen Mund und klappte ihn kurz darauf wieder zu. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte, während er um Worte rang und vor sich hin stammelte.

„Ä...Äh...“, machte er und sah hilflos zur Decke. Jetzt bestätigten sich nur meine Zweifel von vorhin. Er hatte nicht versucht, mich zu küssen, weil er es gerne getan hätte, sondern aus einer Laune heraus, völlig unbedacht. Ein wenig schmerzte mich das schon, zugegebenermaßen. Und ob ich seine Antwort nun wirklich noch hören wollte, da war ich mir auch nicht mehr so hundertprozentig sicher.

Zayn räusperte sich und seine Zungenspitze fuhr über seine Mundwinkel, bevor er sprach: „Du bist sehr hübsch, es verwirrt mich ziemlich, weil ich selten so schöne Menschen antreffe, zumal sie sich dann auch nie als so witzig und geistreich entpuppen wie du. Und dann kam es einfach so über mich. Ich musste einfach.“

Mein Herzschlag ging schnell, zu schnell, doch ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren und eine adäquate Antwort darauf zu finden. Zayn kam mir zuvor. „Warte. Ich will nicht verletzend sein, aber ich bin durchaus froh, dass diese Stewardess mich gestoppt hat. Aus verschiedenen Gründen“, gab er schließlich zu, doch das war ja nichts Neues für mich, „Also, beantwortet das die Frage ausreichend?“

Hastig nickte ich und senkte den Blick, ich konnte jetzt unmöglich seinen forschenden, goldenen Augen begegnen. „Was hättest du getan, wenn ich dich geküsst hätte?“, hakte er nach, „Wie hättest du reagiert? Oder was hättest du gedacht?“ Überrumpelt starrte ich ihn an. Mit so etwas hatte ich kaum gerechnet, obwohl es die absehbare Konsequenz auf meine Frage zuvor gewesen war. Ich war bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen, um eine halbwegs akzetable Antwort zu finden, doch nichts schien mir angemessen. Ich hätte es mehr als nur gewollt, dass er mich küsste, seine Lippen sahen verlockend aus, sogar auf die Entfernung, rosa und weich.

„Wenn du mich geküsst hättest“, begann ich und zögerte, bevor der zweite Teil mehr oder weniger aus mir herausbrach, als müsste er unvermeidlich ausgesprochen werden, „Hätte ich dich ohne eine Sekunde zu überlegen zurückgeküsst.“

Zayn stieß überrascht Luft aus und wischte sich mit der Handfläche über das Gesicht. „Oh“, stellte er leise fest und biss sich auf die Lippe, um seine zuckenden Mundwinkel daran zu hindern, weiter und weiter nach oben zu wandern. Schlussendlich lächelte er mich doch idiotisch an.

„Oh“, widerholte er dann und machte eine bedeutungsschwangere Pause, „Vielleicht hätte ich es dann tun sollen, oder?“

Nach außen hin gab ich mich nun gelassen und tat so, als sei seine Frage rein rhetorisch gewesen und hätte keiner Antwort bedurft. Gedanklich stimmte ich ihm vollkommen zu, doch die Tatsache, dass er höchstwahrscheinlich eine Freundin hatte, machte mich misstrauisch. Wieso sagte er denn solche Dinge?

Aber auf einmal war mir die Lust auf unser Frage-Antwort-Spiel vergangen und ich fühlte mich nur noch müde und schlapp. „Meinst du, wir könnten noch einmal eine Weile schlafen?“, setzte ich an, die drückende Luft und permanente Dunkelheit hier drin machten mich schläfrig, obwohl es in England erst spät am Nachmittag gewesen, vielleicht vier oder fünf. Aber inzischen hatte ich den Überblick sowieso verloren und machte mir gar nicht mehr die Mühe, es auszurechnen. Mathe hatte noch nie zu meinen Stärken gezählt.

Zayn willigte sofort ein und gähnte herzhaft, was ich nur als Bestätigung sah. Schweigend setzte ich die Kopfhörer meines iPods auf und drehte die Musik auf eine angenehme Lautstärke. Entschieden hatte ich mich für ein Album von Brand New, weil es die perfekte Einschlafmusik darstellte: Ruhig und melodisch, und mit Sicherheit nicht zu aufregend.

Die Sitze allerdings waren ziemlich unbequem und ich drehte mich mehrere Male, bis ich eine halbwegs komfortable Pose eingenommen hatte.

Schon fühlte ich eine Hand die geschickt einen Kopfhörer aus meinem Ohr entfernte und blinzelte durch meine Wimpern hindurch Zayn an, der ihn sich mit einem kessen Grinsen selbst aufsetzte und so automatisch mithören konnte. Er brauchte eine Weile, bis er, mehr zu sich selbst, als zu mir „Brand New“ murmelte, und somit die Band erkannt hatte.

Anerkennend nickte er und schloss dann die Augen, um auch ein bisschen zu schlafen, oder sich voll und ganz auf die Musik konzentrieren zu können, die uns beide leise beschallte.

Da das Kabel meiner Kopfhörer nur recht kurz war, lagen wir gezwungenermaßen nahe aneinander und wenn ich meinen Kopf ein wenig anhob, konnte ich sogar seine regelmäßigen Atemzüge auf meiner Haut fühlen, warm und stoßweise, mit jeweils kleinen Pausen, als hielt er die Luft dazwischen immer wieder aufs Neue an. Verzweifelt versuchte ich, mich zum Einschlafen zu bringen, doch ich konnte das unablässig rotierende Gedankenkarussel kaum stoppen.

Was wäre, wenn wir uns geküsst hätten, wenn sich unsere Lippen auch nur für eine winzige Sekunde berührt hätten, wohin hätte das alles geführt? Ich konnte nicht anders, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, viele Alternativen gab es auch nicht, außer meinen Vater und Evie und Weihnachten, doch ich spürte nicht die geringste Lust, nur eine Sekunde daran zu verschwenden. Viel lieber dachte ich an seine vollen Lippen und wie samtig sie sich wohl auf meinen spröden anfühlten und wie seine Bartstoppeln mir wohl über das Gesicht kratzten und mich kitzelten, wie sein Atem sich in jede einzelne Pore meiner Haut einbrannte, oder wie seine lüsternen Augen mich verschlangen, während ein schiefen Lächeln seine Lippen umspielte...

Irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen wieder aufschlug, herrschte draußen absolute Dunkelheit, außerdem saß Zayn nicht wie gewohnt neben mir, sondern war spurlos verschwunden. Wahrscheinlich auf der Toilette. Gelegentlich murmelten einige Leute leise etwas oder man hörte ein quengelndes kleines Kind, sonst war es relativ ruhig.

Ich räkelte mich in meinem Sitz und entsperrte meinen iPod, um die Uhrzeit in Erfahrung zu bringen. Er zeigte 1 Uhr morgens an, was mich verstörte, denn das bedeutete, dass mir (nur?) noch 8 Stunden in dieser Höllenmaschine bevorstanden. Hin und wieder gab sie noch immer beängstigend lautes Knacken oder Rauschen von sich und ich schrak jedes einzelne Mal hoch und vergewisserte mich mit panischen Blicken, dass kein Flügel jetzt Feuer gefangen hatte oder wir unvermeidlich tiefer und tiefer sanken, bis wir schließlich im Sturzflug senkrecht herunter auf den Ozean schossen.

Zum Glück unterbrach Zayn meine Gedankengänge, als er schöner denn je vor mir stand und mich anlächelte und stumm bat, ihm etwas Platz zu machen, damit er seinen Sitz einnehmen konnte.

„Hi“, lächelte ich matt und unterdrückte ein Gähnen, „Wie lange hast du geschlafen?“

„Nur sechs oder sieben Stunden“, gab er zur Antwort und ich versuchte zu ermitteln, vor wie viel Stunden er dann wieder aufgewacht war. Zayn schien es zu bemerken und kam mir zu Hilfe: „Vor gut zwei Stunden bin ich aufgewacht. Ich habe das Nachtprogramm an diesen Bildschirmen durchgeschaut und weiß nun auswendig, was sie hier alles zum Verkauf anbieten. Bis hin zu einer Kaffeemaaschine und einer tausend Pfund teuren Uhr eigentlich so gut wie alles.“

Sein verwuscheltes Haar fiel ihm in die Stirn und nur zu gerne hätte ich es ihm aus dem Gesicht gestrichen. Wieso sah er denn auch so wahnsinnig toll aus? Weil ich nichts erwiderte, machte er den Vorschlag, dass ir gemeinsam den Film ansehen könnten, der vor zwanzig Minuten begonnen hatte, und weil ich ohnehin nichts besseres zu tun hatte, stimmte ich begeistert zu.

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt