Kapitel 18

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...

An Dad zu denken half also nicht, um dieses Loch in meinem Inneren zu helfen. Das Zählen der winzigen Quadrate, in dem Muster der Sitze langweilte mich schnell und außerdem vergaß ich andauernd, welche ich schon mitgezählt hatte, und der Akku meines iPods war leer. Zayn anstarren konnte ich auch nicht, einen gewissen Stolz hatte ich schon.

Jetzt las ich wieder Tolstoi, Anna Karenina, obwohl ich kaum etwas von dem verstand, was ich Zeile um Zeile mit den Augen erfasste, die Handlung drang nicht zu mir durch. Doch immerhin war die Methode wirksam: Ich schenkte Zayn keinerlei Aufmerksamkeit mehr.

Seine bloße Anwesenheit macht mich schrecklich nervös und ich betete, dass diese noch bevorstehenden vier Stunden schneller vergingen als die vorherigen. Keine Zeitstillstände mehr.

Wir hatten kaum miteinander gesprochen, wirklich nur das nötigste und das auch nicht zu viel. Und meine Gedanken kreisten um Dad und Evie. Für eine Weile hatte ich sie ganz vergessen, doch nun waren sie wieder omnipräsent, überall verfolgten sie mich. Mir wurde speiübel. Ich war nur noch lächerliche vier Stunden entfernt von dem Übel, das mich dort erwarten würde.

Ein schweinebackiges Baby, eine nervige Verlobte und ein verliebter Dad, was wünschte man sich mehr?

Und dann war da noch das Kleid, ein echtes wahrhaftiges Kleid für mich, das Mädchen, das in seinem Leben nie einen Rock anziehen würde, nicht einmal, wenn ihr Leben davon abhinge. Nicht einmal, wenn das Leben seiner gesamten Familie davon abhinge. Bitter lachte ich auf. Da mussten sie sich schon etwas einfallen lassen, um mich in ein Kleid aus hellrosa Seide stecken zu können. Am Ende war ich noch genauso schweinchenrosa wie ihr Baby.

John. Der mit dem kreativen Namen.

Den hasste ich jetzt schon. Es fühlte sich an, als hätte er mein ganzes Leben ruiniert, dabei hatte seines noch gar nicht richtig angefangen. Er bekam die unumschränkte Liebe meines Vaters, jeden Tag, vierundzwanzig Stunden. Wohingegen ich mich mit einer Weihnachtskarte und einem Anruf pro Jahr abfinden musste. Unfair.

Sogar, wenn ich meinen Vater jetzt besuchen kam, würde ich ihn teilen müssen mit diesem John.

Ich war nicht mehr Daddy's Nummer Eins.

Vielleicht war ich seine Nummer Drei, was mir bei jedem anderen Menschen auf dem Planeten vollkommen ausgereicht hätte. Aber nicht bei meinem Dad. Dem Mann, der mich zum Eislaufen mitnahm und in Pubs. Dem Mann, der mich auf dem Jahrmarkt Ponyreiten ließ und mir anschließend Zuckerwatte kaufte.

Auf einmal sehnte ich diese Zeiten mehr herbei als alles andere, zu gerne wollte ich noch einmal klein sein. Ohne verboten gutaussehende Jungen mit extremen Stimmungsschwankungen und ohne Väter, die einfach so ihre Töchter im Stich ließen.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Zayn und ich zusammen hierher gekommen wären, wie er mich vor den Flugzeugtoiletten küsste und dem Mann hinter mir in der Schlange warnende Blicke zuwarf, damit er auch nicht auf meinen Hintern guckte. Wie er nervös seine Kleidung zurechtzupfte, sich räusperte, meinem Dad die Hand reichte und sich vorstellte.

Aber das alles war nicht real.

Zayn saß demonstrativ von mir abgeneigt auf seinem Sitz, lehnte sich gegen das Fenster und spielte Doodle Jump auf seinem Handy. Seine Augen waren konzentriert zusammengekniffen und seine Zungenspitze klemmte zwischen seinen Zähnen. Er würdigte mich keines Blickes.

Das war real.

Real war auch die Anzeige am kleinen Bildschirm über uns, der ich entnahm, dass wir Australien in drei Stunden und achtunddreißig Minuten erreichen würden. Drei Stunden und achtunddreißig Minuten, dann ist das alles vorbei.

Völlig instinktiv nahm ich nun wieder Zayn, die strahlende Schönheit ins Visier, wie er dieses elend langweilige Spiel spielte und darin so versunken schien.

Als wäre es das faszinierendste der Welt, ein kleines Männchen dabei zu beobachten, wie es in den Himmel hüpfte.

So hatte er mich auch angesehen. Als wäre ich wahnsinnig faszinierend.

Missbilligend schüttelte ich den Kopf. Zayns Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. "Das Spiel macht nun mal echt süchtig, starr mich nicht so an, Casey", grummelte er und ich fühlte mich ertappt und senkte sofort den Blick. Er lachte und hielt mir das Handy unter die Nase.

"Ich bin sowieso heruntergefallen, willst du auch mal?", bot er an und ehe ich mich versah, hatte ich schon genickt und ein neues Spiel Doodle Jump gestartet. Zayn sah mir über die Schulter und feuerte mich aufgeregt an, warnte mich jedes Mal, wenn ich kurz vorm Fallen war und ich konnte seinen Atem auf meiner Haut fühlen.

Aber diesmal war es anders. Diesmal fühlte es sich anders an, nicht so aufregend und flatterig. Diesmal war es in Ordnung. Diesmal war es freundschaftlich. Wir hatten das so ausgemacht. Er hatte es so gewollt. Es war wirklich in Ordnung.

23 Stunden - {zayn malik a.u.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt