[17]

3.6K 416 100
                                    

Gelangweilt saß ich nun auf dem Gang der Krankenstation und wartete darauf, dass Doktor Weidel endlich Zeit für mich hatte. Momentan war noch jemand bei ihm, weshalb mich eine Schwester bat, hier zu warten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich endlich die Türe des Behandlungszimmers. Ein knochendürrers Mädchen trat heraus. »Deine Werte werden besser, weiter so«, munterte Doktor Weidel das Mädchen auf. Sie nickte nur knapp und verschwand direkt.

»Ah, hallo Ardian«, begrüßte er mich, als er mich entdeckte. Ich stand auf und reichte ihm die Hand, die er kurz schüttelte und mich dann mit einer Handbewegung hereinbat.

Im Inneren des Raumes setzte ich mich auf die Liege, während Doktor Weidel auf dem typischen Drehstuhl Platz nahm.

»Hattest du Schmerzen die letzten Tage?«, fragte er mich, worauf ich mit dem Kopf schüttelte. »Das ist ein gutes Zeichen«, meinte mein Arzt lächelnd, während er zu mir kam.

Vorsichtig tastete er meinen Kiefer ab, was ein unangenehmes Gefühl verursachte. »Also, wir können die Drähte ein Stück weiter öffnen, sodass es dir wieder möglich sein wird, Suppen und Brei zu essen. Sprechen musst du selbst schauen, wie weit es für dich funktioniert«, erklärt er mir, doch seine Worten stimmten mich ziemlich glücklich. Endlich keine Smoothies zu allen Tageszeiten mehr, sondern wieder Essen. Und dass ich eventuell sogar wieder reden kann, machte den Tag beinahe perfekt.

Doch kaum tauchte das hübsche Gesicht von Thaddeus wieder in meinen Gedanken auf, wurde diese Laune auch wieder zunichte gemacht. Aus einem mir unbekannten Grund störte es mich ziemlich, dass eine normale Freundschaft zu Thaddeus nie möglich war.

Seufzend verließ ich die Krankenstation wieder und steuerte direkt den Wald an. Ich wollte einfach für eine gewisse Zeit meine Ruhe haben. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Ich fühlte mich einsam, wollte aber trotzdem allein sein? Das war ein Widerspruch, der wirklich nur in mir herrschen konnte. Jeder, der davon wusste, würde mich doch für dumm verkaufen.

Vielleicht hatte ich eine gespaltene Persönlichkeitsstörung oder litt wie Faust darunter, zwei Seelen in der Brust zu haben? Ich wusste es einfach nicht.

Als ich weit genug von unserem kleinen Dorf entfernt war, setzte ich mich unter einen Baum und legte das Notizbuch auf meinen Schoß.

Wie sollte ich denn anfangen, zu schreiben. Liebes Tagebuch erschien mir dann ein klein wenig zu klischeehaft.

Ich klappte das Büchlein auf und starrte die erste Seite an. Wie sollte ich denn beginnen? Es gab in meinem Kopf so vieles, was auf das Papier sollte, aber irgendwie wollte mir nicht einfallen, wie ich anfangen sollte und womit.

Nach einigem Überlegen schrieb ich das Datum in die oberste linke Ecke. So wusste ich wenigstens, wann ich meine Einträge verfasst hatte.

23.09.2017

Vor einigen Wochen sind wir in dieses Camp gekommen. Mir ist bis jetzt nicht klar, ob das gut oder schlecht ist.
Auf der einen Seite ist es etwas Gutes, denn ich musste endlich nicht mehr diese falschen und hinterlistigen Menschen ertragen.
Doch auf der anderen Seite gab es hier genug Menschen, die genauso oberflächlich hinterlistig und falsch sein konnten.

Außerdem fühle ich mich hier total einsam. Mit wem sollte ich auch etwas machen. Mein Kaninchen Cookie ist nicht hier, ebenso mein Kater Findus nicht. Beide vermisse ich unheimlich, denn die beiden sind die einzigen, die mich nicht sofort stehen lassen, wenn es mir schlecht geht.

Hier gibt es nur Thaddeus, der mir in der ersten Woche direkt den Kiefer gebrochen hat. Wir haben zwar gestern Abend geredet und wollen es mit einer Freundschaft versuchen, aber das scheint wegen seiner aggressiven Art fast unmöglich. Ich bin zwar nicht der Schwächste, aber gegen Thaddeus habe ich keine Chance. Vor allem nicht, wenn er wieder einen Wutanfall hat.

Irgendwie will ich wieder nach Hause. Dort wartet zwar nur mein langweiliger Alltag, bestehend aus Schule und Streit mit meiner Mutter, aber trotzdem würde mich dort keiner verprügeln.

Ich will mal nicht vorschnell urteilen. Vielleicht wird es noch ganz gut und vielleicht kann man mir hier mit meinem Zwang zur Perfektion helfen. Zumindest hoffe ich das.

Überlegend sah ich auf die geschriebenen Zeilen. Irgendwie kam dir das wie wirres Zeug vor, das ich querbeet auf das Papier geschrieben hatte. So war es auch irgendwie, aber irgendwie wollte ich trotzdem Ordnung in meinem Büchlein haben.

Mühsam kämpfte ich das Bedürfnis herunter, alles durchzustreichen und erneut zu schreiben. Stattdessen schlug ich das Buch zu und steckte den Stift in meine Hosentasche, bevor ich mich auf den Weg zurück in unser Dorf machte.

Boot camp | TardyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt