Der Alptraum beginnt

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//Nach zehn Jahren Schreibpause habe ich mich erneut ans Schreiben gewagt. Einer der Gründe war wohl der Tod der Person, die mich mein ganzes Leben lang inspiriert hat und 'Jareth' wunderbar verkörperte: David Bowie.
Tut mir Leid, falls meine Schreibkünste eingerostet wirken und das Kapitel kurz und nicht über-spannend gehalten ist - ich hoffe trotzdem, dass es gefällt. Viel Spaß - ich freue mich auf (kritische) Rückmeldung eurerseits!//

***

Die junge Frau saß wie versteinert auf dem unbequemen Plastikstuhl. Ihr Blick war starr auf das Fenster hinter dem Arzt gerichtet, der mit wenigen Worten gerade ihre gesamte Welt, ihre Pläne und Ideen, zerstört hatte.

Draußen begann es gerade zu regen. ‚Wie passend', dachte Sarah, und fühlte, wie Tränen in ihren Augen brannten, doch sie wollte ihre Beherrschung nicht endgültig verlieren.
Der Mann blickte sie über seinen Brillenrand an und verzog keine Miene. Nach wenigen Sekunden, die Sarah allerdings wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, meldete sich der Arzt erneut zu Wort.
„Haben Sie verstanden, was ich Ihnen gesagt habe?", erkundigte er sich, „es ist von enormer Wichtigkeit, dass wir sobald wie möglich mit der Therapie beginnen, dazu benötige ich jedoch ihre Zustimmung, Miss Williams."

Sarah nickte nur abwesend. Sie war gerade achtzehn Jahre alt geworden und wollte im nächsten Jahr mit ihrer Schauspiel-Ausbildung beginnen, ein neues Leben in einer neuen Stadt. „Ja, ich stimme zu", antwortete sie schließlich heiser. Was sollte ihr denn anderes übrigbleiben?„Gut", meinte der Arzt und erhob sich langsam, um Sarah nach diesem kurz gehaltenen Gespräch zu verabschieden, „ich werde alles in die Wege leiten, damit wir bereits morgen mit der Chemotherapie beginnen können. Fahren Sie erstmal zu ihrer Familie nach Hause und packen ein paar Sachen. Die Schwester bei der Terminvergabe wird sich heute noch bei Ihnen melden. Wir sehen uns dann morgen." Mit diesen Worten reichte er ihr die Hand für einen schwachen Händedruck, lächelte ihr kurz zu, dann setzte er sich wieder und widmete sich anderen Tätigkeiten.

Sarah stand langsam auf; sie hatte das Gefühl, alles tanzte um sie herum und der Boden könnte jeden Augenblick unter ihren Füßen nachgeben. Zu ihrer Familie, die noch nichts von dieser Hiobsbotschaft wusste. Dennoch war ihr Vater voller Sorgen, da er bemerkt hatte, dass Sarah sich in den letzten Monaten verändert hatte und immer wieder über Schwindel und Übelkeit geklagt hatte. Er hatte sie zu diesem Termin unbedingt begleiten wollen, doch Sarah hatte verneint und gemeint, dass wohl alles halb so schlimm sein würde.Jetzt wusste sie nicht, wie sie ihren Eltern davon erzählen sollte und es zerriss ihr das Herz bei dem Gedanken, dass sie damit auch deren bisheriges glückliches Leben abrupt beenden würde.
Sie wandte dem Arzt den Rücken zu und verließ den Raum. Sobald sie das Krankenhaus verlassen und sich vergewissert hatte, dass niemand in ihrer Nähe war, schossen die Tränen heiß über ihre Wangen.

Sarah lag in ihrem Bett und starrte den roten, samtenen Himmel darüber an. Sie hatte sich möglichst rasch in ihr Zimmer zurückgezogen, nachdem sie ihrer Familie davon berichtet hatte, dass sie ab sofort regelmäßig zur Chemo müsste.
Anders als erwartet, blieben ihr Vater und ihre Stiefmutter ruhig und wirkten gefasst. Sie trösteten Sarah, die wieder ihre Tränen zurückhielt, und redeten auf sie ein, dass alles wieder gut werden würde, solange sie nur brav zur Therapie gehen würde und sich an die Verordnungen des Arztes hielte. Sarah konnte sich kaum konzentrieren, sah nur vertraute Gesichter, hörte ihre Stimmen und nickte immer wieder.
Sie verabschiedete sich mit den Worten, dass sie nun müde wäre und dringend etwas Schlaf gebrauchen könnte – als hätte sie in diesem Zustand schlafen können.
Nun lag sie da und lauschte dem Regen, der sich intensiviert hatte. Sie konnte auch die Stimmen ihrer Eltern hören, gelegentlich ein Schluchzen ihrer Stiefmutter, die sie über die Jahre doch lieb gewinnen konnte.
Sarah dachte angestrengt nach. Sie hatte über die Jahre, die bereits seit ihrem Besuch im Labyrinth vergangen waren, immer wieder Kontakt zu ihren alten Freunden gehalten. Hoggle hatte ihr zum Abschied gesagt, dass sie sich nur vor den Spiegel ihrer Frisierkommode zu setzen brauche und den Namen zu nennen, um mit ihnen zu kommunizieren.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Es war klar, dass sie ihnen eines Tages von der Krankheit erzählen musste; Sarah blickte auf ihre Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht.
Mittlerweile war es still im Haus geworden und so stand Sarah auf und setzte sich vor den Spiegel. Ihr Haar war länger geworden und reichte ihr nun bis zur Hüfte; das Gesicht wirkte schmäler und aparter, doch ihre grünen und wachen Augen hatten sich nicht verändert.
„Hoggle", sagte sie leise. „Hoggle, bitte melde dich."
Es dauerte nicht lange, da flackerte das Spiegelbild und Hoggles faltiges Gesicht mit der großen Nase erschien. „Sarah!", freute er sich, „wie lange wir schon nichts mehr von dir gehört haben. Wie geht es dir? Erzähl schon, und nutze den Spiegel öfter. Wir vermissen dich."
Sarah konnte nicht anders. Sie schluchzte auf und berichtete Hoggle von all dem, was sie heute erfahren hatte und dass sie spürte, wie ihr die Zeit davonlief. Während sie berichtete, immer wieder schluchzend, sagte Hoggle kein Wort. Er starrte sie nur ungläubig an, doch in seinem Innersten tobte ein Krieg. Sarah würde sterben müssen, das wusste er, und er fühlte es genauso wie sie – es sei denn, er wüsste einen Ausweg ...

„Sarah, wir werden einen Weg finden", sagte er entschlossen. „Wir werden dir helfen. Du bist nicht allein. Ich ... ich melde mich bei dir."
Sarah nickte bloß und ging zurück zu ihrem Bett. Sie vergrub sich in ihren Decken, in der Hoffnung, dass am nächsten Tag alles besser sein würde und dieser Alptraum ein Ende hätte.
Doch dem sollte nicht so sein.

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt