Within you II

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//Musik-Tipp: https://www.youtube.com/watch?v=YMkbbyTGap0&app=desktop//


  „RAUS HIER!" Die Flügeltür schloss sich krachend hinter dem besorgten Kobold, der soeben unsanft vom König am Kragen gepackt worden und mit einem Wurf aus den Gemächern desselben befördert worden war. Seine Majestät hatte nicht gut ausgesehen, als er zurückkehrte, das war sogar dem kleinen Wesen aufgefallen. Also watschelte er ihm hinterher und wollte immer wieder wissen, ob er den Heiler holen sollte – und wiederholte dabei an die hundert Mal, dass seine Majestät ja wirklich nicht gut, gar nicht gut aussehe – woraufhin er nun hinaus geworfen wurde. Der Kobold beschloss, dass es besser war, den restlichen Hof über diesen neuen, unbekannten Zustand zu informieren und lief mit seinen kurzen Beinchen, so schnell er konnte, den Korridor entlang.

Mit einem Schnippen verriegelte Jareth sämtliche Zugänge zu seinem Gemach und ließ die schweren, samtenen Vorhänge sich schließen, sodass das Tageslicht beinahe völlig abgeschirmt wurde; nur das Feuer im Kamin ließ er brennen.
Er fühlte sich wahrlich nicht gut. Diese kleine, lächerlichen Anwendungen seiner Magie, die sonst keiner Erwähnung wert waren und zu seinem Alltag gehörten, hatten ihm nun tatsächlich die letzte Kraft geraubt, sodass er es gerade noch zu seinem gewaltigen Bett schaffte, sich hier aber am hölzernen Pfeiler festklammern musste, um nicht zu stürzen.

Seine spitzen Fingernägel groben sich energisch in das Holz, an das er seinen Kopf lehnte. Sein Atem beschleunigte sich, als er erneut dieses schneidende Gefühl wahrnahm, als durchbohrten ihn tausende Klingen; er keuchte auf, schloss die Augen und wartete darauf, dass es aufhörte ... so fühlte sich also Schmerz an. Als die Welle abklang, bewegte er sich langsamen Schrittes auf den gepolsterten Stuhl vor dem Kamin zu und ließ sich leise ächzend hinein fallen. Was hatte er nur getan? Dieses Mädchen würde es tatsächlich noch schaffen, dass er sich ihretwegen selbst vernichtete.

„Diener!", keifte er lauthals, wohl wissend, dass diese irrwitzigen kleinen Wesen sich bereits vor der Tür versammelt haben mussten, „bringt mir die Müllsammlerin. Sofort."
Tatsächlich hörte er sodann Gemurmel, dann etliches Getrappel von Füßchen, die sich eilten, um seinem Wunsch nachzukommen.
Zwischenzeitlich schloss er die Augen und legte die Hand noch davor, um sich auszuruhen. Was war es nur, dass diese Sterbliche ihn derart faszinierte? Er sah ihr bleiches Gesicht vor sich aufsteigen; dunkle Ringe unter den geschlossenen Augen, die von dichten Wimpern geziert wurden, die vollen Lippen bläulich verfärbt, während das braune, lange Haar in sanften Wellen über ihre Brust fiel ...

„Eure Majestät, die Alt- ich meine, die Sammlerin ist hier", drang es dumpf durch die Tür hindurch.
Jareth blinzelte müde, schnippte, und war froh, dass seine Magie ihn noch nicht gänzlich verlassen hatte. Ein Augenblick der Ruhe hatte ihm wohl gut getan. „Sie soll rein kommen. Ihr bleibt aber draußen!", fuhr er seine Diener an, als er sah, wie einer von ihnen seinen Kopf neugierig durch die Tür streckte, nachdem die Sammlerin herein gehumpelt war; sie trug weniger Erinnerungsstücke mit sich herum als sonst, aber der Buckel blieb ihr.

Ihre großen Glupschaugen huschten neugierig umher, ehe sie ihren König erblickte. „Ah, seine Majestät, wünschen vielleicht ein paar hübsche Stücke zu sehen? Wie wäre es hiermit?" Sie kam auf ihn zu und fuchtelte mit einem Plastikding, das Hogbart sicher gefallen hätte, vor seiner Nase herum, „oder das hier?" Sie klimperte mit einer Rassel für Babys herum.
„Schluss damit", herrschte der König so scharf an, dass sie die Rassel glatt fallen ließ. „Ich weiß, dass du an Verstand eingebüßt hast, seit du hier bist, aber eswäre jetzt besser für dich, deinen Grips zusammen zu sammeln und mir ein paar Fragen zu beantworten."

Die Alte verfiel in einen Hustenanfall, der sich jedoch allmählich in ein krächzendes Lachen umwandelte. Sie schniefte und wischte sich mit dem vor Schmutz starren Ärmel über den schiefen Mund, während sie vor ihm auf die Knie sank und ihn mit ihren großen, hässlichen Augen anstarrte. Beinahe hätte es der König schon wieder bereut, dass er ihr das Augenlicht wieder geschenkt hatte; die graublauen Augen durchdrangen ihn.
„Aber was kann ich altes Weib denn schon für Euch tun, mein Herr?", fragte sie unterwürfig, und dennoch hörte der König den Schalk in ihrer Stimme; sie forderte ihn bloß heraus, weil sie wusste, dass er nicht ganz bei Kräften war.

„Ich wusste von Anfang an, dass du anders warst, Weib. Hör auf, dich unwissend zu stellen, sonst lasse ich dich in das Moor hängen", fauchte Jareth, dessen Geduld ein Ende nahm. „Du warst in deiner Welt, zu jener Zeit, eine Ausgestoßene - oder Hellseherin, wie auch immer die Menschenwelt das nennen mochte, es ist mir gleich. Das Mädchen, das schon einmal im Labyrinth war - es ist wieder hier."
„Ahh ..." Die Alte tippte sich mit dem Finger gegen die Lippe. „Jaja, ich weiß ... die Kleine mit den vielen schönen Spielsachen, jaja. Aber sie wollte ja nicht bleiben, nein, musste ja unbedingt ihren Bruder retten." Sie wedelte theatralisch mit den Armen, „was ist mit ihr?"

Jareth rollte genervt mit den Augen. „Sie ist wieder hier, aber das weißt du ganz genau", zischte er, „und sie ist sehr krank - ich habe ... ach, sieh doch selbst." Hastig zog er einen Handschuh aus und schleuderte ihn achtlos fort, legte die Hand dann so auf die Armlehne, dass die Sammlerin die tiefschwarzen Symbole deutlich sehen konnte.
Sie antwortete nicht, sondern griff ungefragt nach seiner Hand und starrte die Zeichen darauf an; Jareth hasste es, berührt zu werden, ließ die Alte jedoch gewähren, weil er auf Antworten ihrerseits hoffte. Mit einem ihrer kurzen Finger fuhr sie die Kreise und dunklen Punkte darin ab, die sich deutlich von der restlichen Haut abhoben.

Völlig unerwartet für den König, stieß die Alte einen zischenden Laut aus und wich vor ihm zurück, den Arm schützend vor das Gesicht haltend. Jareth setzte alarmiert dazu an, sich zu erheben, doch die Sammlerin nahm den Arm von ihrem Gesicht und er konnte die Tränen sehen, die in ihren Augen funkelten; auf allen Vieren kam sie zu ihm zurück gekrochen, legte ihm ihre kleinen Hände auf seine Knie und musterte ihn kurz, bevor sie zu sprechen begann. „Mein König ... wisst ihr wirklich, wie krank sie ist?", flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme und ihre Augen huschten unruhig umher.
Er nickte als Antwort.
„Ihr ... wisst also, dass..." Er spürte, wie sich ihre Finger um sein Knie krallten, „das Mädchen dem Tod geweiht ist?"

Der Tod. Etwas, das die Menschen und ihre Welt betraf; alles war begrenzt, nichts von ewiger Dauer. Er konnte mit keiner Faser seines Körpers und Verstandes nachvollziehen, was es bedeuten mochte, zu sterben. Es war ein Phänomen, das ihn jedoch seit jeher am meisten fasziniert hatte, weil es so viele verschiedene Gründe und Arten gab, um zu sterben. Er hatte beinahe jedes Buch darüber verschlungen, aber nie eine Antwort darauf gefunden, wie es sich anfühlte, was danach geschah ... er würde wohl niemals sterben, sondern einfach aufhören, zu existieren, wenn die Zeit gekommen war - vielleicht war es auch eine Facette des Todes, wer wusste das schon.

Aber das junge Mädchen, das ihn einst sowie heute, in den Wahnsinn trieb, das ihn reizte und herausforderte mit kecken Sprüchen, das jedes Hindernis mutig und klug überwunden hatte, weil es so loyal war und ihren Bruder retten hatte wollen ... jenes Mädchen, dasin seiner Illusion des Balls zu einer wahrhaft schönen, würdigen Gegnerin - einer Königin - geworden war, sollte nun sterben, für immer verschwinden, als hätte es sie niemals gegeben? Wieder sah er Sarah vor sich; sie lag auf weißen, seidenen Laken, die Hände waren vor der Brust verschränkt und das bleiche Gesicht vom dunklen Haar umrahmt, doch diesmal hatte sich etwas verändert; es wirkte wächsern und kühl. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass sie nicht schlief.

Er stolperte aus dem Sessel, eine Hand an die Brust gepresst, mit der anderen klammerte er sich an den Kaminsims, spürte die kriechende Hitze des Feuers.
„Sarah ..." Er rang nach Luft, fühlte, dass etwas seine Wangen benetzte.
„Seine Majestät ...", hörte er die Alte hinter ihm flüstern, „Ihr konntet sie nicht heilen, weil ihr ihr Schicksal schon lange vorbestimmt war, anders als meines. Aber ... Ihr habt einen Teil ihres Schicksals in Euch aufgenommen. Ich kann nicht sagen, was das für das Mädchen bedeutet, aber es hätte Euch beinahe getö- ..."

Sie erstarrte, verstummte, als der König der Kobolde sich zu ihr umwandte und vor ihr auf die Knie fiel; es waren Tränen blauen Bluts, die er weinte, und der Sammlerin kalte Schauder über den Rücken jagen ließen. „Ihr hattet stets recht. Meine Macht ist nicht grenzenlos, meine Einsamkeit wird es aber bleiben", flüsterte er. „Wenn der Preis, sie zu heilen, meinen Tod erfordert, bezahle ich ihn." Er schluckte, kämpfte gegen weitere Tränen an.
„Ihr könnt sie nicht retten ..." Die Sammlerin kniete sich ihm gegenüber, nahm seine Hand und drückte sie, ehe sie ihren eigenen Tränen keinen Halt mehr gebieten konnte, „Ihr habt das Schicksal des Mädchens verändert, aber ... letzten Endes muss sie sich selbst retten, und eine Entscheidung treffen."

Es schmerzte die Sammlerin, dass sie ihm nicht weiter zu helfen vermochte.
Ihr schöner Gebieter, ihr Herrscher und gütiger Erlöser ihres erdlichen Lebens, schien gebrochen zu sein.

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt