I'll leave my love between the stars

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Es herrschte völlige Stille an der Lichtung, nachdem Sarah aus der Erinnerung zurückgekehrt war; mittlerweile hatte sie sich an jene geistige Reisen gewöhnt, sodass es ihr leichter fiel, sich danach zu orientieren. Dennoch schwindelte es sie, sie fröstelte und ihr Magen fühlte sich so flau an, dass sie befürchtete, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. So viele Jahre hatte sie sich gefragt, wer – oder was – der König der Kobolde eigentlich war, was seine Absichten waren und nun hatte er ihr Informationen gegeben, die ihren Horizont weit überschritten.

Dämon. Schwarzer Mann. Also war er es gewesen, vor dem ihr Vater sie gewarnt hatte, dass er kommen und sie holen würde, wenn sie nicht artig wäre? Er war das Dunkle, das im Schatten unter dem Bett oder im Kleiderschrank wartete? Sie erschauderte bei dem Gedanken, dass an dieser Warnung Wahrheit stets eine gewisse Wahrheit gehaftet hatte.

Suchend blickte sie sich um und erstarrte. Von der einst wunderschönen, grünen Lichtung war nichts mehr übrig; nur noch tote, braune Ranken, die an ein ineinander verwobenes, großes Skelett erinnerten, der zuvor saftig grüne Boden war trocken und rissig.
Sie hörte ein leises Grollen und entdeckte durch das Gestrüpp hindurch dichte, schwarze Wolken am Himmel, die ein herannahendes Gewitter ankündigten. Ein Unheil nahte.

Entsetzt von dem plötzlichen Wandel der Umgebung, blickte sie sich ängstlich um und entdeckte Jareth, wie er ihr den Rücken zugewandt, entlang des toten Walls strich. Schließlich blieb er stehen und mit einem kurzen, hörbaren Ruck riss er eine der übrig gebliebenen Knospen ab. Danach wandte er sich in Sarahs Richtung und kam auf sie zu, den Blick nachdenklich auf die geschlossene Knospe gesenkt, ehe er sich an ihrer Seite nieder ließ und ihr erneut plötzlich seine Aufmerksamkeit schenkte - mit einem Augenaufschlag, dass Sarahs Finger zu kribbeln begannen und sie hoffte, er würde ihre geröteten Wangen nicht sehen. Was war nur los mit ihr?

Er lächelte, doch es war keins seiner höhnischen, boshaften Lächeln, wie sie es sonst von ihm kannte. Es war ehrlich - und traurig, wie Sarah fand. Sie hatte erwartet, dass er sich mit ihrer Unsicherheit ein Spielchen erlauben würde, wie er es so oft getan hatte, doch er saß nur neben ihr, beobachtete sie still, während er die Knospe zwischen seinen Fingern drehte.
„Es ist an der Zeit", hörte sie ihn flüstern, doch ihre Aufmerksamkeit galt den ersten gleißend hellen Blitzen durchstießen die Wolkendecke, begleitet von dem Grollen, das allmählich lauter wurde, sodass Sarah unwillkürlich zusammenzuckte und sich unruhig umsah.

„Was passiert hier, Jareth? Warum veränderst du alles?" Sie spürte einen dicken, kühlen Regentropfen auf ihrer Wange. Es dauerte nicht lange, bis dessen Brüder und Schwestern folgten, sodass sie in kürzester Zeit völlig durchnässt war und die Kälte fühlte, die in ihre Glieder kroch; sie sprang von der Bank, als ein Blitz, gefolgt von einem Donnern, so laut, dass der Boden bebte, scheinbar ganz nahe einschlug. Sie musste Schutz suchen! – Doch wo war Jareth?
Er war nirgends zu sehen – natürlich. Was hatte sie denn auch anderes von ihm erwartet? Er war ein Meister der Täuschung, wie die Alte es gesagt hatte. Er kam und ging, er nahm, wie er wollte und konnte seine Ansichten innerhalb weniger Augenblicke ändern. Mit einem unheilvollen Knacken brach der erdige Boden unter ihren Füßen, sodass Sarah gerade noch zurück taumeln konnte, bevor sich an der Stelle, an der sie zuvor gestanden hatte, ein tiefschwarzer Abgrund auftat, der sich weitete und die andere Seite der Lichtung von ihr in Entfernung trieb. Schlammiges Regenwasser, das mittlerweile bis an Sarahs Knöcheln reichte, ergoss sich wie ein Wasserfall, der an Kraft zunahm, in den Abgrund. Nun schien er sie endgültig dafür strafen zu wollen, dass sie ihm nicht gehorcht hatte. Für einen kurzen Augenblick sah sie Jareth vor sich, wie er die Alte ihr Schicksal wählen hatte lassen; die schwarze Kugel, die er elegant und mit einem bösen Lächeln balancierte.

Fast schon konnte sie ihn sagen hören, dass sie weise wählen sollte ... so schnell, wie ihr dieses Bild erschienen war, vertrieb sie es auch wieder und machte auf dem Absatz kehrt; sie hatte keinen Plan, doch wusste nur, dass sie unbedingt fortmusste, und das so schnell wie möglich: der Boden brach immer weiter, es würde nicht mehr lange dauern, bis sie hineinfiel.
Sie lief, so schnell sie konnte, zu dem dichten Gestrüpp, warf einen letzten Blick zurück. Kleine, leuchtende Lichter tanzten aus der Dunkelheit und stiegen empor, doch Sarah kümmerte sich nicht weiter um sie.
„Aah." Sie zischte verärgert, zog ihre Hand zurück und erkannte, dass sie sich an den Dornen tief gestochen hatte; Blut sickerte langsam aus der Kuppe ihres Zeigefingers, das sie jedoch achtlos in ihr triefend nasses Hemd wischte. „Ich verfluche dich, Koboldkönig", schrie sie, so laut ihre Stimme es zuließ, in das Unwetter, das mit einem Donnern antwortete.

Überall waren Dornen, so spitz und gefährlich, doch Sarah konnte den Boden hindurch sehen, der hinter ihrem Gefängnis lag. Sie begann, an den Ranken hoch zu klettern und Tränen brannten in ihren Augen, als sich die ersten Dornen in ihr Fleisch gruben.
Doch sie sollte nicht weit kommen: die morschen Ranken brachen unter ihren Füßen, sodass sie den Halt verlor und mit einem schrillen, erschrockenen Schrei hart rücklings auf dem schlammigen Boden landete und kurz meinte, aufgrund des dumpfen Schmerzes ohnmächtig zu werden.
Sie lag da und blickte gen den wolkenverhangenen Himmel, während der Regen gnadenlos in ihr Gesicht peitschte, zugleich auch ihre Tränen fortspülte, nicht jedoch ihre tiefe Verzweiflung. Es war aussichtlos, von hier zu entkommen. Dann sollte diese ewige Dunkelheit wohl ihr Schicksal sein, dem sie sich fügen musste.

„SARAH! Mädchen, komm' in die Gänge, na los doch!"

Hoggles Stimme! Eindeutig. Sarah rappelte sich auf, wischte sich nasse Haarsträhnen aus dem schmutzigen Gesicht und suchte mit gegen den Regen zusammengekniffenen Augen nach dem Zwerg. „Nicht doch! Beeil' dich, Sarah. Du musst hier weg, aber ich – wir – können dir nicht helfen. Du schaffst das, du weißt, was du zu tun hast."
„Hoggle!", schrie Sarah entgegen des Sturms, die Hände zu einem Trichter vorm Mund geformt; doch er antwortete nicht und war nirgends zu sehen. Die Wassermassen schossen mit enormer Kraft auf den Spalt zu, der immer größer wurde und Sarah langsam in die Enge trieb. Sie wandte sich wieder dem Wall aus Gestrüpp zu; die Dornen wirkten mit einem mal extrem lang und in der Finsternis des Sturms bedrohlich. Sarah, das Rauschen des Wassers hörend und wissend, dass sie wortwörtlich langsam den Boden unter den Füßen verlor, überwand ihre Angst.
Mit Bedacht begann sie, sich durch die Ranken zu bewegen, die ihr nicht viel Bewegungsfreiheit ließen und sie zwangen, sich langsam vor zu arbeiten. Es dauerte nicht lange, bis sie einen scharfen, durchdringenden Schmerz wahrnahm, sodass sie leise japste und an sich herabblickte. Das Leinenhemd war oberhalb des Bauchnabels eingerissen und eine lange Spur dunklen Bluts sickerte schnell hervor. Sie kämpfte sich weiter durch das Skelett, verletzte sich dabei immer öfter, sodass sich das Hemd immer mehr verfärbte; ein paar Mal konnte Sarah einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Ein langer, dünner Schnitt entlang ihrer Wange schmerzte besonders.

Sie ignorierte den Schwindel, der allmählich von ihr Besitz ergriff. Sie hatte in diesem Gefängnis jegliches Gefühl für die Zeit verloren und wusste nicht, wie lange sie sich bereits ihren Weg bahnte; waren es bereits Stunden, die vergangen waren, oder spielte ihr Kopf ihr einen Streich und es waren erst wenige Minuten? Sie wusste es nicht, wusste nur, dass sie hier fort musste.
Sarah musste nach Hause. Sie war bereits viel zu lange hier – im Reich des Labyrinths. Kein Schmerz dieser Welt war vergleichbar damit, wie sehr sie ihre Familie vermisste. Ihr kleiner Bruder, ihr Vater und ihre Stiefmutter ... war ihnen ihr Verschwinden bereits aufgefallen? Schlugen sie schon verzweifelt Alarm, dass Sarah verschwunden war? Aus dem Krankenhaus ... ja, richtig. Wie lange mochte sie die Erkrankung ohne Behandlung überstehen, welche Schäden würde sie davongetragen haben, wenn sie zurückkehrte? Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie mit ihrem Leben gespielt hatte.
Ihre Gedanken trieben sie voran, sodass sie erleichtert ein Ende des Rankenmeeres erkannte; es begann, sich zu lichten. Ihre zahlreichen Wunden bluteten stetig, als sie das Labyrinth aus toten Ranken endlich verließ. Der Regen hatte mittlerweile abgenommen und Sarah blinzelte gegen den Sonnenuntergang, der das Schloss, das in einiger Entfernung lag, in sein orangerotes Licht hüllte, ehe die Erschöpfung überhand nahm und sie das Bewusstsein verlor.

Noch bevor Sarah zu Boden stürzen konnte, war der König der Kobolde erschienen; mit einer Bewegung, die für ein menschliches Auge zu schnell war, griff er mit einem Arm unter ihre Kniekehlen, mit dem anderen unter ihre Achsel. Sie regte sich nicht; die Augen waren geschlossen, ihre Lippen leicht geöffnet, so als würde sie ihm etwas sagen wollen. Sie wirkte zerbrechlich und war doch so unglaublich stark.
Er spürte ihren leisen Ruf, sodass er empor blickte und zugleich das unbändige Brennen seines Herzens fühlte, als er die kleinen, vielen hellen Lichter in den Himmel aufsteigen sah; eine noch nie gefühlte Hilflosigkeit ergriff ihn, sodass er zu zittern begann, die Lippen zu einer schmalen Linie geformt. „Nein, bitte ...", hauchte er und beobachtete weiterhin die tanzenden Lichter, von denen immer weitere aufstiegen und ein wunderschönes Bild für jeden geformt hätten, wüsste der König nicht, was sie bedeuteten.

Er musste sie fortbringen, musterte sie jedoch noch einmal; selbst jetzt hatte sie ihr Strahlen, ihre Reinheit und den Kampfgeist nicht verloren, obwohl sie solche Schmerzen und Kummer erleiden hatte müssen. Sie hatte jene Schönheit, die Jareth so sehr bewunderte, nicht verloren. Ihr Blut hatte Spuren auf seinem weißen, hochgeschlossenen Hemd und Jackett hinterlassen; bevor er mit der jungen Frau in seinen Armen verschwand, drückte er sie fester an sich. Mit geschlossenen Augen formte er einen ehrlichen, sanften Kuss auf ihre Stirn. „Ich konnte nichts tun ... vergib mir, Sarah."

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt