Dunkle Pfade

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Beständiges Plätschern verriet ihr, dass sie wieder zurück war. Sie fand sich bäuchlings auf dem kalten Boden liegend wieder. Benommen rappelte sie sich auf und musste feststellen, dass die Kerze ziemlich weit herunter gebrannt war. Bald würde ihre Lichtquelle versiegen.
Sie ging an dem Brunnen vorbei und glaubte schon, dass sie wieder in einer Sackgasse gelandet war, erkannte aber bei näherem Betrachten, dass in der Erdwand vor ihr ein kleiner Stollen war, gerade groß genug, um hindurch zu robben.
Sarah seufzte genervt. „Das ist nicht fair."
Sie leuchtete den Stollen so gut aus, wie das flackernde Kerzenlicht es zuließ. Bis auf ein paar wenige Meter weit konnte sie nichts sehen, der Rest des Tunnels wurde von der Dunkelheit verschlungen. „Wunderbar. Vielleicht sterbe ich in einem Erdloch", fauchte Sarah lauter als gewollt und verfluchte Jareth, der für all das verantwortlich sein musste.
„Ach wasssssss", zischte jemand hinter ihr. Erschrocken fuhr Sarah herum, die Kerze schwenkend. Wachs tropfte auf ihre Hände, doch sie kümmerte sich nicht darum. Die Flamme flackerte gefährlich. Auf dem erdigen Boden wand sich eine Schlange, deren schwarze Schuppen bläulich schimmerten. „Der Weg ist ssssicher, solange ich dich begleite; ich bin der Wächter des Tunnels."
Unsicher trat Sarah von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Einen anderen Weg gab es nicht, aufzugeben und zurückzugehen kam für sie nicht in Frage; wenn sie sich recht erinnerte, veränderte sich das Labyrinth unwillkürlich. Was blieb ihr also anderes übrig als den Worten der Schlange zu glauben und ihr zu folgen?
„Hast du einen Namen?", wollte sie wenigstens wissen, bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzte.
Die Schlange wackelte rhytmisch mit dem Kopf. „Nenn mich Schlange oder Wächter, wie es dir beliebt. Nun folge mir." Leise raschelnd glitt das Tier in den Tunnel.
Sarah zuckte mit den Schultern, legte sich auf den Boden und begann vorwärts zu robben. Sie nutzte ihre Ellenbogen als Antrieb und verdrängte den Schmerz, wenn sie über spitze Steinchen kroch. Sie hielt dabei immer noch die Kerze mit einer Hand fest, wodurch sie langsamer und mühsamer voran kam als die Schlange. Immer wieder atmete sie Staub ein, der furchtbar in ihren Lungen kratzte; als sie hustete, geschah schließlich, was Sarah die ganze Zeit befürchtet hatte: die Kerze erlosch. „Nein, nein ... bitte nicht. Das kann doch nicht wahr sein!" Sie fühlte die Panik in sich aufsteigen, die sie bisher erfolgreich unterdrückt hatte. Pure Finsternis umgab sie und machte sie blind; zu allem Übel stieß sie sich noch den Kopf.
„Ich bin noch hier. Folge meiner Sssstimme." Die Schlange war noch hier, hatte sie also nicht im Stich gelassen!
Okay, beruhig dich, Sarah – du schaffst das, sprach sie sich im Gedanken Mut zu, du musst einfach weiter krabbeln, du bist nicht allein.
Mit aller Kraft schob sie sich weiter in Richtung des züngelnden Geräusches. Sie hatte in den Tiefen des Labyrinths völlig das Gefühl für Zeit und Ort verloren. Weder wusste sie, wo sie sich ungefähr befand, noch konnte sie sagen, wie lange sie schon hier verweilte.
Zu ihrer großen Freude war ein Ende des Stollens in Sicht. Ihre Augen hatten sich gut an die Dunkelheit gewöhnt, daher konnte sie jede Helligkeitsänderung schnell erkennen. So schnell sie konnte, kroch sie der Schlange hinterher in die Freiheit; dort rollte Sarah sich erst einmal erschöpft auf den Rücken und blieb keuchend liegen, bis sie realisierte, dass über ihr der Nachthimmel, umringt von Baumwipfeln, lag; hunderte Sterne funkelten hell, nicht eine einzige Wolke war zu sehen. Viele der Sterne leuchteten aber gar zu sehr ... Feen!
Ruckartig setzte sich Sarah auf. Ein kleiner Teich. Die vielen Bäume. Die Lichtung. Sie kannte diesen Ort, war im Traum schon einmal hier gewesen – war dies hier wieder ein Traum, eine Illusion?
Die Schlange glitt an ihr vorüber auf den Teich zu. Sarah runzelte die Stirn, zog dabei ihre dichten Augenbrauen zusammen. Hatten sich auf dem Tier Beulen gebildet oder waren sie ihr einfach nicht aufgefallen? Die Schlange veränderte sich tatsächlich. Ihr Körper verbreiterte sich immer weiter, während sie sich erhoben hatte; Beulen bildeten sich und verschwanden zugleich wieder. Das Bild, das sich Sarah bot, war mehr als skurril. Arme und Beine sprossen rasend schnell, der Kopf nahm eine runde Form an. Das Wesen vor ihr trug zwar immer noch das schwarze Schuppenkleid, hatte jedoch mit einer Schlange nichts mehr gemeinsam.
Sie wollte sich bewegen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht und sie blieb wie angewurzelt sitzen. Sarahs Pupillen weiteten sich, während sie ungläubig jene Transformation beobachtete.
Das Wesen wuchs in die Höhe; Schuppen glitten zum Boden und formten eine schimmernde Schleppe. Mit dem Rücken zu Sarah gewandt, knackte es laut mit den Gelenken, bevor es sich ihr unerträglich langsam zu wandte, das Gesicht unter einer langen Kapuze verborgen. Wortlos näherte es sich und streckte ihr den Arm entgegen. Sarah, die es mittlerweile geschafft hatte, ihre Starre zu durchbrechen, war reflexartig rückwärts gekrochen, bis sie begriff, dass die Schlange – das Wesen – ihr seine Hilfe anbot. Sie zögerte.
„Wenn ich dir schaden wollte, hätte ich den Tunnel einstürzen lassen", raunte es unter seiner Kapuze hervor. Seine Worte machten Sinn, schließlich hatte sie ihm zuvor auch vertraut.
Sie ergriff die schwarze Hand des Wesens. Mühelos zog es Sarah hoch, die mit einer solchen Kraft nicht gerechnet hatte. Sie japste, strauchelte und krallte sich an den Schultern des Wesens fest, welches blitzschnell die Hände als Stütze auf ihre Hüften legte.
Strähnen dichten blonden Haars blitzten hervor, als die Kapuze hinab glitt; die helle Haut wurde durch den enganliegenden, tiefschwarzen Anzug aus Schuppen betont.
Ihre Finger hielten immer noch verkrampft an ihrem Gegenüber fest. Sie war sich nicht sicher, was sie da aus den Augenwinkeln heraus soeben gesehen hatte und wollte es eigentlich gar nicht wissen; dennoch hob sie langsam den Kopf, während das Blut laut in ihren Ohren rauschte.
Für eine Sekunde, die wie eine halbe Ewigkeit erschien, setzte Sarahs Herzschlag aus, als Jareth mit einem schalkhaften Lächeln amüsiert auf sie hinabblickte.

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt