Die Begegnung I - Silber

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Der König der Kobolde hatte noch niemals zuvor etwas derartig Intensives für irgendjemanden oder irgendetwas empfunden; die Menschen waren für ihn ein schwaches Volk gewesen, das sich aufgrund ihrer überschießenden Emotionen gegenseitig bekämpfte. Wie oft hatte er sich über ihre Reaktionen in den letzten Jahrhunderten amüsiert?

Er war nicht menschlich, war es niemals gewesen – er fühlte es mit all seinen Sinnen, hatte aber nie hinterfragt, was er eigentlich war. Seine Geschichte reichte so weit zurück, dass er sich selbst nicht mehr entsinnen konnte, wie lange er bereits existierte. Ihm war nie bewusst gewesen, dass die Menschen jemandem wie ihm sogar Namen gegeben hatten, hätte er nicht vor vielen menschlichen Jahren diese seltsame Begegnung gehabt, die sein Interesse an den Menschen zum ersten Mal erwachen ließ.

Damals hatte er unzählige verwunschene Kinder von seinen Kobolden in das Reich des Labyrinths bringen lassen, doch an jenem schicksalhaften Tag hatte er sich von seinem Thron geschwungen und den Untergrund verlassen; es war einer jener Tage gewesen, an denen die Gesellschaft der Kobolde ihn zu Tode gelangweilt hatte und er unbedingt fort wollte.

Da kam es ihm recht gelegen, dass eine verarmte Mutter eins der hungrigen Mäuler, die es zu stopfen galt, fortgewünscht hatte.

Von den Menschen unbemerkt, war er in Gestalt der Eule im weichen, jungfräulichen Schnee hinter einem Holzhaus, inmitten einer Kleinstadt, gelandet und hatte sich zurück verwandelt. Für seinen Besuch hatte er dunkle Hosen und ein einfaches Leinenhemd gewählt, über dem er einen knielangen, ledernen Mantel trug. Während er seine schwarzen Handschuhe höher zog, ließ sein Atem weiße Dampfwölkchen aufsteigen; die eisige Kälte nahm er kaum wahr.

Der Schnee knirschte leise unter den Sohlen seiner Stiefel, als er die gepflasterte Straße betrat; Gaslaternen spendeten ein dumpfes Licht, da die Sonne langsam am Horizont verschwand.

Einige wenige Menschen waren noch unterwegs, schienen es jedoch eilig zu haben, nach Hause zu kommen. Er wusste, dass die meisten von ihnen die Dunkelheit fürchteten und bemitleidete sie dafür.

Die ärmliche Familie lebte irgendwo hier. Eigentlich hätte er nur einen passenden Augenblick wählen müssen und das Kind holen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Stattdessen flanierte er weiter durch die Straßen, bis sein Blick an einem mit roten Brokatvorhängen geschmückten Schaufenster hängen blieb, das von kleinen Lämpchen erhellt wurde; er trat so nahe an das Glas, dass sein Atem es beschlagen ließ und betrachtete das Objekt seiner Begierde. Wie passend es ihm doch kam, dass der Ladenbesitzer – ein kleiner, südländisch wirkender Mann mit Brille auf der krummen Nase – seinen Kopf just in dem Augenblick seinen Kopf aus der Tür streckte.

„Wie ich sehe, habt Ihr Gefallen an meiner neuesten Kreation gefunden, mein guter Herr. Ihr scheint einen exklusiven Geschmack zu haben. Kommt doch herein, ich habe noch geöffnet – solange Ihr bezahlen könnt", sprach er mit starken Akzent und lächelte, als der König wortlos nickte und ihm in den kleinen Laden folgte.

Mit größtem Wohlwollen beobachtete der König sein Spiegelbild, nachdem der Schneider in stundenlanger Arbeit sein Werk vollendet hatte, sodass bereits die Nacht hereingebrochen war.

Die silberne, diamantbesetzte Nadel ergänzte das hochgeschlossene, schneeweiße Hemd mit Rüschen an Hals und Ärmeln und glänzte betörend. Das knielange, samtene schwarze Jackett, in das rankende Musterungen mit Silberfaden gestickt worden waren, betonte den schlanken, hochgewachsenen Körper. Eine Reihe von Silberknöpfen schlossen das edle Stück. Dazu trug er die passenden, engen Hosen und ein Paar neuer, lederner Handschuhe.

Als der Fremde den kleinen Laden, in dem es stark nach allerlei Stoffen und schwerem Parfum roch, betreten hatte, hatte der Schneider ihm erklärt, dass dies seine neueste Kreation sei, inspiriert von der Pariser Mode, die er bei seiner vorangegangenen Reise im August des Jahres 1725 für sich entdeckt und weiter entwickeln wollte. Dies sei sein bisheriges Meisterwerk, doch war es derart ausgefallen und neu, dass die Männer hier es noch nicht gewagt hatten, zu probieren. Der Fremde hatte bloß genickt und dem Schneider mit einem Handzeichen bedeutet, fortzufahren. Er schien niemand zu sein, der sich gerne unterhielt.

Firelli hatte zügig und dennoch gewissenhaft gearbeitet, hatte hie und da einen prüfenden Blick auf seine Arbeit geworfen und dann weitergemacht, bis er dem unbekannten Herrn mitteilte, dass er fertig war. Ein seltsamer, unheimlicher Mann, wie Firelli fand, und dennoch war eine merkwürdige Anziehungskraft von ihm ausgegangen, als er ihn durch einen Spalt der Vorhänge durch beobachtet hatte, sodass er ihn hereingebeten hatte – obwohl er den Laden schon längst schließen wollte.

Der Fremde hatte während der gesamten Zeit unbeweglich dagestanden und kein Wort gesprochen. Erst jetzt drehte und begutachtete er die Arbeit kritisch; Firelli, der sonst nicht aus der Ruhe zu bringen war, klopfte sein Herz nun bis zum Hals. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Unbekannte endlich eine Reaktion zeigte.

Der Blick des Königs schoss zu dem Schneider und schien ihn förmlich zu durchbohren. Die dunklen Muster, die die ohnehin schon ungewöhnlichen Augen des Fremden zierten, ließen ihn verkrampfen. Er musste von weit herkommen, denn kein Mann in dieser Gegend schminkte sich – Firelli beschloss jedoch, nicht nachzufragen, da der Fremde ihm nicht einmal einen Namen genannt hatte.

Jareth nickte kurz. Dann zog er einen Gehstock mit silbernem Muster und gläsernem Knauf, scheinbar aus dem Nichts, hervor. Der Schneider blinzelte heftig – er musste schon übermüdet sein. Der Unbekannte drehte sich zu ihm, kam auf ihn zu und ließ ihn dabei nicht aus den Augen; mit einer eleganten und schnellen Bewegung zog er einen dunklen, samtenen Beutel hervor, den er in die Hand des Schneiders fallen ließ und der dabei lautstark und vielsagend klimperte.

„Ich denke, das sollte Euch mehr als zufriedenstellend entlohnen", hörte Firelli zum ersten Mal die ungewöhnlich dunkle, rauchige Stimme sagen. Sein Mund trocknete auf der Stelle aus und eine Eiseskälte, die jene jedes Schneesturms übertraf, breitete sich über seine Wirbelsäule aus, als er in die Augen des fremden Mannes blickte und glaubte, in ewiger Schwärze zu versinken.

Als der Fremde schließlich den Laden verließ, fiel Firelli vor dem Kruzifix im Hinterzimmer, das zugleich sein winziges Schlafzimmer darstellte, auf die Knie und bekreuzigte sich. Was auch immer dieser Mann

mit sich in diese Stadt gebracht hatte: es bedeutete nichts Gutes.

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt