Die Begegnung III

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 Ein kehliges, trockenes Lachen entglitt ihrer Kehle, als hätte sie Jareths misstrauischen Blick entdeckt, während sie sich ihm näherte und der Stock im Takt klopfend auf den Boden traf.
Er wich nicht zurück, obwohl ihn ein seltsames bedrohliches Gefühl beschlich, als die Alte nur wenige Schritte von ihm entfernt stehen blieb.
Sie reckte ihren dünnen Hals, schloss die blinden Augen, zog geräuschvoll die Luft ein und stieß sie genüsslich wieder aus; das Grinsen weitete sich. „Nun, ich hatte nicht erwartet, dass du so gut duften würdest. Eine willkommene Abwechslung zu dem Gestank, der hier sonst herrscht. Du scheinst nicht besonders gesprächig zu sein, was?" Wieder das kratzige Lachen.

In Jareths Augen lag ein gefährliches Schimmern. Das Kind in seinen Armen schlummerte friedlich vor sich hin, schien von all dem nichts bemerkt zu haben, was geschah.
„Was willst du, Weib?", fragte er schließlich gefährlich leise, doch die Alte verfiel in immer schrilleres Lachen, sodass es ihm grauste.
„Eine melodische Stimme hast du, König", antwortete sie. „Und schön bist du auch. Aber so einsam, dass du unsere Kinder stehlen musst, nicht wahr? Ich wusste, dass meine dumme Enkelin sich von einem Nichtsnutz schwängern lassen würde und dann mit dem Balg überfordert sein würde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es fortwünschen würde. Oh, was denkst du, über wie viele Jahrzehnte habe ich es erlebt, dass Frauen ihre Kinder verwünschten, und diese dann wie vom Erdboden verschluckt waren? Ich kenne die Sagen und Geschichten um dich."

„Sieh dich vor, Mensch. Es wäre besser für dich, zu vergessen und zu gehen, solange du noch kannst", fauchte Jareth, empört über die Offenheit der Sterblichen.
Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie sich auf dem alten Stuhl nieder, der leise ächzte, seine Warnung geflissentlich ignorierend. Ohne es zu bemerken, drückte der König das Kind enger an seine Brust.
„Setz dich. Ich denke, wir haben ein paar Worte zu besprechen", forderte sie ihn auf, doch er verharrte reglos an Ort und Stelle. „Wie du willst ... weißt du, wie man dich hier nennt? Es gibt so viele Namen: der schwarze Mann – und wie ich sehe, wirst du diesem mit deiner Kleidung gerecht -, der Buhmann, kinderfressender Dämon, Kinderschreck oder Kobold. Doch ich denke, dass du diese Kinder nicht frisst. Das fahrende Volk – ich – halte nichts von diesen Namen. Meine Urgroßmutter erzählte mir einst, als ich noch ein junges Ding war, von den Fae. Sie seien übermächtige Wesen, von eigenwilliger Natur und hätten auf uns Menschen eine betörende Wirkung. Sie würden uns ohne große Anstrengung verführen, Männer wie Frauen, und uns alles vergessen lassen, wenn sie es wollten; auf ihrem Totenbett ließ sie mich schwören, niemals meine eigenen Kinder zu verwünschen, da sie kommen und sie zu sich holen würden. Niemand weiß, was mit unseren Kindern dann geschieht. Trotz ihrer Macht gäbe es nur noch wenige von ihnen und sie würden unsere Welt meiden, hätten sich an einen dunkleren Ort zurückgezogen. Ich mag blind sein, doch ich kann spüren, dass du nicht menschlicher Natur bist ... ich schmecke deine Macht förmlich – ich weiß, dass du einer von ihnen sein musst."

Der König hatte ihren Worten schweigend gelauscht. Er hatte von ein paar Namen gewusst, doch vielmehr überraschte ihn, dass in ihrer Erzählung eine merkwürdige Leidenschaft mitschwang, die er nahezu als bedrohlich empfand.
„Wie freundlich von dir, Weib, dass du mich über meine eigene Existenz belehrst." Der Sarkasmus in seiner Antwort war unüberhörbar. „Eine nette Anekdote, doch für mich in keinster Weise interessant. Ich wurde gerufen und nun hole ich das Kind; du tätest gut daran, zu vergessen, was du gesehen hast, da dich ohnehin jeder für verrückt erklären würde." Ein boshaftes Lächeln schlich über seine Lippen, doch sein Blick ruhte auf dem Baby und mit dem Zeigefinger strich er zärtlich über die kleine Wange.

„Du wirst meinen Urenkel nirgendwo hin bringen", gab die Alte amüsiert zurück. „Dann spreche ich eben für meine dumme Enkelin. Er bleibt hier, bei mir."
Diesmal war es an dem König, zu lachen. Es war ein spöttisches Lachen, doch seine Geduld hing an einem seidenen Faden, der langsam, aber stetig einriss. „Und was gedenkst du, dagegen zu tun? Verprügelst du mich mit deinem Stock?"

Die trüben Augen der Alten verengten sich, und sie stützte sich ächzend auf besagten Stock, als sie sich erhob. „Ich bitte kein zweites Mal darum, Wesen. Du bist mächtig, aber selbst deine Macht kennt Grenzen ... keine Magie wird deine Einsamkeit je lindern können, Fae. Niemals wirst du eine Gefährtin finden, noch wirst du je wissen, was Liebe bedeutet. Du wirst für alle Ewigkeiten dazu verdammt sein, Kinder zu holen, und du kannst nichts dagegen tun, außer dich deinem Schicksal zu fügen-"
Ein anfänglich kaum wahrnehmbares Beben leitete das Schweigen der Alten ein; der Boden unter ihnen vibrierte, sodass das Geschirr erst leise klirrte. Mit geweiteten Augen starrte sie in seine Richtung; sie schnappte mit trockenem Mund nach Luft, ihre Hände umklammerten nicht länger den Stock, der so klappernd zu Boden fiel.

Wildes, blondes Haar. Ein schmales, aber markantes Gesicht, dessen Wangen silbern schimmerten. Eine große, schlanke und imposante Erscheinung, so furchteinflößend und wunderschön zugleich. Und da waren diese Augen: eines eisblau, das andere schwarz, als wären es zwei Seelen, die sie mit einer solchen Wut bedachten, dass ihr ein eiskalter Schauder über den gekrümmten Rücken lief. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten, seit sie ihr Augenlicht zur Gänze verloren hatte, konnte sie sehen. Sie konnte ihn sehen!
Konnte sehen, dass er das Kind nicht mehr in seinen Armen hielt, sondern stattdessen eine farblose, seltsame Kugel geschickt zwischen seinen schlanken Händen balancierte, den Blick nach wie vor auf sie gerichtet.
Ein Tonkrug ging scheppernd zu Bruch, als die Intensität des Bebens zunahm.
„Ich kann sie dir ebenso schnell wieder wegnehmen, wie ich sie dir gegeben habe." Obwohl er ruhig sprach, spürte sie die Bedrohung nur zu gut, die von ihm ausging und verstand, dass er sich damit auf ihr neu gewonnenes Augenlicht bezog. „Ich kann dir mehr geben, als du denkst. Ich kann dir all deine Wünsche erfüllen, aber sieh dich vor – ich kann dir auch alles nehmen. Alles, was du liebst, alles, was dich je ausgemacht hat. Ich bin großzügig, aber fordere meine Geduld nicht heraus, denn sie ist als einziges begrenzt."

In der Sekunde eines Lidschlages hatte er eine zweite, diesmal tiefschwarze Kugel hervorgeholt und ließ sie mit der anderen auf seiner Handfläche tanzen. Er wusste, dass sie Angst hatte; er konnte es an ihren nervös herum huschenden Augen sehen, auch wenn sie ihn anderes glauben lassen wollte; sie stank förmlich danach. Jene Furcht nährte die dunkle Seite seines Daseins: als er sich ihr langsam näherte, seine Kristalle in ihre Richtung gestreckt, drängte er sie in die Enge, wie es ein Raubtier mit seiner verwundeten Beute tat, und er genoss es in vollen Zügen. Als sie gegen die Wand stieß und japste, konnte er sich ein höhnisches Grinsen nicht verkneifen.

Er war der Alten so nahe, ein kaum handbreiter Spalt sie von einander trennte. „Ich habe deine Spielchen satt, Weib. Das Kindlein ist wohlauf; es ist in meinem Schloss, du kannst nichts mehr tun, außer dich deinem Schicksal zu fügen", wiederholte er ihre Worte in seinem Sinne und sein boshaftes Grinsen nahm zu, als er ihre Bestürzung sah. Plötzlich hob er überrascht seine Augenbrauen und klopfte mit dem Zeigefinger seiner freien Hand auf seine Unterlippe, ehe er die zwei kreisenden Kristalle direkt vor die Augen der Alten hielt.

„Oh, warte – da ich ja großzügig bin, biete ich dir die Wahl eines Schicksals an ... wählst du diesen Kristall-", seine Augen blickten kurz auf den farblosen, dann wieder direkt in die des Weibs-, „wirst du in meinem Reich, nah bei deinem Enkel sein können, und dein Augenlicht behalten - für alle Zeiten – doch zu meinen Bedingungen: du wirst für immer die Dinge, die mit Erinnerungen behaftet sind, vor meinem Schloss ordnen, eine unendliche Aufgabe. Du wirst mir jederzeit gehorchen und mir von Nutzen sein, wenn ich dich brauche. Oder-", er ließ den schwarzen Kristall vor ihren Augen tanzen, „du wählst die Ewigkeit der Dunkelheit; du wirst nie wieder sehen, du wirst nie wieder hören, du existierst nur, und das für alle Zeiten – du wirst dir den Tod herbeisehnen, doch er wird dich niemals holen kommen. Wähle weise."

Hohe Flammen leckten am Holz und fraßen alles, was ihnen in die Quere kam; schwerer, schwarzer Rauch stieg in den Nachthimmel empor. Es dauerte nicht lange, bis es auf die anderen Karren übergegriffen hatte und letzten Endes der gesamte Platz lichterloh brannte; Menschen flohen schreiend in alle Richtungen, sodass ihre Schreie im Wald wieder hallten.
Mit völliger Gelassenheit trat der König der Kobolde aus dem brennenden Karren, unversehrt und mit einem überaus zufriedenen Lächeln auf den schmalen Lippen.
Die Alte hatte ihre Wahl getroffen.

***

//Dieses Kapitel ist vielleicht etwas düsterer als der Titel vermuten lässt. Hoffe trotzdem, dass es euch gefällt. Ich finde einfach, dass Jareth kein Charakter ist, dessen Wesenseigenschaften offensichtlich bzw. immer klar definiert sind. Eher würde ich sagen, dass er sich immer scharf an der Grenze zwischen Gut und Böse bewegt.//  

I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt