Fürchte den König

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Der König hatte seine Beine über die Armlehne des Throns gelegt und beobachtete seine Kobolde, die wie üblich lauthals miteinander rangen und Unordnung schafften.
Seine Gedanken galten jedoch nicht ihnen. Er wusste, dass Sarah krank war, noch bevor sie ihn gerufen hatte. Jareth hatte sie seit ihrer Rückkehr aus dem Labyrinth stets beobachtet; er konnte sie durch seine Kristalle sehen, aber er zog es vor, die menschliche Welt zu betreten und ihr in Gestalt einer Schleiereule zu folgen; das Gleiten in großen Höhen, der Wind, das Rascheln seines Federkleids, wenn er noch höher stieg, versetzte ihn nahezu in Ekstase. Er liebte es, König und Gebieter seines Reichs zu sein, zu wissen, dass jedes Lebewesen gehorchte und ihn respektierte; dennoch genoss er es, dieses Reich gelegentlich zu verlassen und die kleinen, für ihn so unbedeutenden Menschen zu beobachten und sich über ihre alltäglichen Probleme, die er nicht nachvollziehen konnte – Kindererziehung, Eheprobleme, wie lächerlich - zu amüsieren. Jareth lächelte. Emotionen, wie sie die Menschen im Übermaß empfanden, würde diese Art unweigerlich eines Tages auslöschen.

Sarah gehörte zu dieser Spezies, doch ihr Kampfgeist und ihr Wille hatten den König beeindruckt und amüsiert. Sie war anders als die vielen anderen, die bereits in das Labyrinth gekommen und gescheitert waren. Anfänglich hatte sie ihn ebenso gefürchtet wie jeder andere es bisher getan hatte, und er hatte sie nicht für eine würdige Gegnerin gehalten. Dennoch hatte Sarah ihn überlistet, seine Macht über sie gebrochen ... und das gefiel ihm seltsamerweise.
Er konnte nur ahnen, weshalb sie in das Labyrinth zurückkehren wollte – natürlich, um ihre Freunde zu sehen. Nachdenklich spielte er mit dem Amulett, das auf seiner Brust ruhte.
„Wache, bringt mir Hogbart", befahl er schroff. „Verhaftet ihn, wenn er sich zur Wehr setzt."
Der Zwerg war ihm ein Dorn im Auge. Hoggle wollte es zwar nicht zugeben, aber Jareth wusste, dass er und die anderen zwei Wesen seit Jahren Kontakt zu Sarah hielten.
Er hatte es ihnen nicht untersagt; Sarah durfte das Labyrinth nicht vergessen.

Ein Quieken und mehrere unaussprechliche Flüche verrieten ihm, dass die Wache seinen Befehl erfolgreich ausgeführt hatte. Die Kobolde hielten den Zwerg zwischen sich und warfen ihn dann vor Jareths Thron. Dieser zog eine seiner dunklen, gespitzten Augenbrauen amüsiert hoch. „Hogbart, wie oft soll ich es dir noch sagen? Wiedersetz dich meinen Befehlen nicht länger. Ich bin es leid; das nächste Mal lasse ich dich kopfüber ins Moor des ewigen Gestanks hängen", knurrte Jareth.
„Hoggle, Mylord. Nein, bitte nicht, eure Majestät!", rief Hoggle voller Entsetzen. „Ich hab' nichts getan, das Euch verärgern könnte, ich schwöre es."
„Ach", gab der König verächtlich von sich. „Ist das so? Ich weiß anderes, Zwerg." Er lachte böse auf. „Du und deine Freunde müssen mich wohl wahrhaft für dumm verkaufen. Ich weiß alles, Hoggle. Ich weiß, dass du Sarah immer wieder kontaktiert hast, seit sie fortgegangen ist. Und jetzt möchte ich von dir wissen, warum sie mich gerufen hat, um sie in das Labyrinth zurück zu holen – und es sei dir geraten, mir jetzt die Wahrheit zu sagen, denn es ist die letzte Möglichkeit, die ich dir biete."
Hoggle schluckte hörbar laut. „Sie möchte uns nach all der Zeit einfach wieder besuchen, das ist alles, eure Majestät. Nichts Besonderes."
Plötzlich stand der König vor ihm, groß und furchterregend. „Lüg mich nicht an, habe ich gesagt", zischte er gefährlich leise. „Denkst du, ich glaube dir das? Im Übrigen weiß ich, dass sie krank ist." Seltsamerweise durchfuhr ihn ein Gefühl von Sorge dabei. Er verdrängte es schnell.
Hoggle senkte den Kopf und ließ seine Schultern hängen. „Ja, eure Majestät, ihr habt Recht. Sie ist fürchterlich krank, und sie hat nicht mehr viel Zeit übrig. Ich muss ihr helfen."

Jareth lächelte, und das gefiel Hoggle gar nicht. Sein König lächelte nicht ohne Grund.
„Schon gut. Du kannst gehen." Dass Sarah bereits hier war, verschwieg er dem aufgeregten Zwerg. Wozu noch mehr Probleme heraufbeschwören? Sie würden es schon noch früh genug erfahren.
Er balancierte Kristallkugeln zwischen seinen Fingern. Hoggle kehrte seinem König den Rücken und wollte das Schloss so schnell verlassen, wie seine kurzen Beine es zuließen.
Kurz bevor er den Saal verlassen hatte, hörte er den König erneut seinen Namen sagen. Hoggle schloss kurz die Augen und überlegte, ob es sinnvoll wäre, nun wegzulaufen – er wusste, dass er keine Chance hatte. Also drehte er sich langsam um, setzte ein gezwungenes Lächeln auf seine Lippen. „Ja, mein Herr?"
Jareth hatte sein Bein über das andere gelegt und balancierte weiterhin geschickt mit den Kugeln. Seine Augen funkelten gefährlich. „Versuch nicht noch einmal, mich zu hintergehen."


I will be your slaveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt