Marie

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Ich verlasse gerade die Schule als ich Marie über den Weg laufe, das erste Mal seit dem Vorfall, dass ich sie alleine antreffe.

Den Mathetest hatte ich glücklicherweise gut überstanden, was für meine Verhältnisse ein Wunder war. Aber das war nun ein anderes Thema, jetzt ging es um Marie.

Sie sah so zerbrechlich aus, als würde sie wenn man sie anfasst in tausend kleine Teile zerbrechen. Marie hatte tiefe Augenringe, trockene Lippen und ihr Gesicht war total Bleich. Sie sah aus als hätte sie Tagelang kein Wasser und keine Nahrung zu sich genommen.

"Hey, Marie.", meine Stimme klingt leiser als ich vorhatte.

Ihre sonst so schönen Kulleraugen sehen mich matt an, dass ich wirklich Sorge um sie habe. Aber trotzdem legt sich ein leichtes, fast übersehbares Lächeln auf ihre Lippen.

"Hi.", gab sie von sich, ihre Stimme weinte innerlich. Man hört ihr an, dass es ihr nicht gut geht. Ich kann mir nur grob vorstellen, welche Albträume sie in der Nacht ertragen muss. Obwohl sie uns noch nicht erzählt hat, was genau passiert war, wusste man, dass es ihr richtig dreckig ging. Wie konnte es ihr denn auch gut gehen?

"Wie geht es dir?", frage ich und diese Frage kam wie von selbst über meine Lippen, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

"Wie soll es mir denn schon gehen, Malia?", meint sie, es klang aber nicht arrogant oder genervt. Sie klang einfach nur erschöpft. Wahrscheinlich stellte man ihr diese Frage täglich um die hundert mal.

" 'tschuldigung", entgegne ich und knete meine Finger. "Ich meine du... ich dachte... ach, ist nicht so wichtig."

Marie's Mundwinkel ziehen sich nach oben und wahrscheinlich kann sie ahnen, was mir im Kopf herrum schwirrt - oder sie hat einfach meine Gedanken gelesen, praktisch.

"Weißt du, ich will dieselbe Geschichte über die Nacht nicht hundert mal erzählen, denn das schaffe ich nicht. Ich bin froh, wenn mir diese Worte einmal über die Lippen kommen.", beginnt sie und blickt zu Boden. "Aber ich denke ich bin nun bereit dafür."

Verwirrt sehe ich sie mit meinen grünen Augen an.

"Ich bin bereit alles über diese Nacht zu erzählen, aber nur dir, Heiko und eventuell Roman.", murmelt sie und weicht meinem Blick gekonnt aus.

Etwas überrumpelt über ihren Gedankenwandel, nicke ich und räuspere mich: "Gut. Soll... soll ich sie anrufen?"

Marie nickt und blickt mir wieder in die Augen. Ihre Kulleraugen sind bedeckt mit einer Schicht Tränen, obwohl es in ihrem inneren Wasserfälle sind. Wahrscheinlich hat sie jegliche Flüssigkeit bereits ausgeheult.

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