Ein wenig kam sich Mike vor wie Alice, die gerade im Wunderland gestrandet war. So viele neue Eindrücke, neue Menschen, alles schien neu für ihn zu sein, obwohl er sich sicher war, dass er das meiste davon bereits einmal erlebt hatte.
Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, gewöhnte er sich rasch an den Tagesablauf der Truppe. Morgens wurde er meist unsanft aus dem Bett geschmissen, wobei Linsey dies das ein oder andere Mal sogar wörtlich nahm. Danach traf man sich zum Frühstück, wenn nicht bereits jemand bei der Arbeit war oder Chester es wieder einmal vorzog, bis Mittag zu schlafen.
Dies war Mike nur mehr als Recht, da er so Zeit für sich hatte, nachdem die anderen bei der Arbeit waren und Elisa damit beschäftigt war, diverse Hausfrauentätigkeiten auszuüben. Wobei er sich sicher war, dass sie oft nur eine Beschäftigung vortäuschte, um ihm die nötige Ruhe zu lassen.
In solchen Momenten zog er sich auf das Dach zurück, von dem aus er die vorbeiziehenden Menschen beobachtete. Er beobachtete die unzähligen Kinder, Erwachsenen und Senioren, die im Park herumspazierten und dachte nach. Über das Leben und über den Tod. Und alles, was dazwischen lag.
Ab und zu dachte er auch über die junge Frau im weißen Kleid nach, die er seit seiner Ankunft vor mittlerweile vierzehn Tagen nicht mehr gesehen hatte.
Doch den Großteil seiner Zeit am Dach verbrachte er damit, seinen eigenen Zustand zu hinterfragen. Und allmählich formte sich ein Bild in seinem Kopf. Er wusste nun, dass seine Erinnerungen nicht verloren waren. Sie waren lediglich weggesperrt, aufgestaut wie die Fluten eines Flusses von einem meterdicken Staudamm. Genau diesen Damm in seinem Kopf würde er einreißen, das schwor er sich, denn mit jeder Sekunde, die er hier verbrachte, begann der graue Beton mehr zu bröckeln und war ein Stückchen näher an dem Moment, an dem die Flut gewinnen würde.
Irgendwann tauchte dann meistens Chester auf, gut gelaunt wie immer, der Kopf voller Ideen und beschlagnahmte Mike einige Stunden für sich. Er nahm ihn auf Erkundungstouren durch die Stadt mit, zeigte ihm Plätze, von denen er nie gedacht hätte, dass sie so existierten und plauderte dabei stets munter vor sich hin.
Aber auch bei kleinen und größeren Verbrechen nahm er ihn mit. So durfte Mike mit eigenen Augen erleben, wie Chester ihren Aufenthaltsort geheim hielt und wie er im Supermarkt einige Flaschen Cola mit Abführmittel impfte.
Am Nachmittag trudelten sie meist gemeinsam mit den anderen im Hauptquartier ein, wo Elisa schon mit dem Essen auf sie wartete und im Gegenzug einen genauen Bericht über den Tag jedes einzelnen forderte. Was jedoch meist in einer heftigen Debatte über eine Kleinigkeit endete, was Mike aber genauso sehr genoss wie die nachfolgenden Bandproben.
„Du klingst, als hättest du ein Reibeisen geschluckt!" Herausfordernd blickte Linsey den Sänger an, der sich demonstrativ laut die Nase putzte.
„Ich bin wenigstens professionell genug, um trotz Verkühlung zu singen. Weißt du, eigentlich sollte ich ja längst im Bett liegen..."
„Chester Charles Bennington!" Kopfschüttelnd stemmte Elisa ihre Hände in die Hüften. „Du bist nicht todkrank, also hör auf, dich so zu benehmen. Ihr Männer seid wirklich ein Wahnsinn, wenn es um Krankheiten geht." Vorwurfsvoll blickte sie in die Runde. Am betroffenen Schweigen zu urteilen fühlte sich jedoch deutlich mehr als nur eine Person angesprochen, was Elisa aber keinen Grund gab, ihre kleine Rede zu unterbrechen.
„Davon einmal abgesehen kann es dir gar nicht so schlecht gehen, schon vergessen? Das ist hier leider, leider nicht möglich. Und außerdem bist du selber Schuld, was musst du dein Zimmer auch immer auf unter null Grad abkühlen?"
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Between the Wor(l)ds |Linkin Park|
Fanfiction»Weiß ich, wo ich bin? Weiß ich, was passiert ist? Weiß ich, wer ich bin? Nein.« Als Mike eines Abends ohne Erinnerungen an die Vergangenheit im beinahe menschenleeren Los Angeles erwacht, beginnt für ihn das Abenteuer seines Lebens, das ihn näher...