„Für Elise."
Erschrocken zuckte Mike zusammen und wirbelte herum, instinktiv einen Schritt vom Instrument wegtretend. Joe sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Sorry, Joe." Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Und bemerkte erst jetzt, dass sein Gegenüber nicht böse, sondern nachdenklich dreinschaute.
„Du kannst Klavier spielen." Mike wurde fassungslos angestarrt und wurde sich erst jetzt langsam bewusst, was er eben getan hatte.
„Ich kann Klavier spielen?", wiederholte er ungläubig, als würde er diese Errungenschaft zerstören, wenn er sie laut aussprach. „Ich kann Klavier spielen." Er drehte sich wieder zum Instrument um, Joe stand neben ihn und beobachtete ihn neugierig. Erneut legte er seine Finger auf die Tasten und versuchte sich auf die Melodie zu konzentrieren, die sich in seinem Kopf formte, versuchte, seine Finger passend zu ihr zu bewegen. Es fühlte sich einfach richtig an, befreiend, natürlich. Als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Und vielleicht hatte er das ja auch nicht?
„Glaubst du, das ist ein Zeichen?" Neugierig blickte er zum Koreaner, der nachdenklich nickte.
„Nichts bedeutet das auf jeden Fall nicht. Von allen Dingen, die du vergessen hast, fällt dir als erstes ausgerechnet ein, dass du Klavier spielen kannst, und noch dazu verdammt gut?" Er schüttelte den Kopf. „Zufall ist das sicher keiner."
Gedankenverloren spielte er einige weitere Töne, ehe er sich seiner Erinnerung zuwandte. Sanft schloss Mike seine Augen und versuchte die Bilder zuzuordnen, die er nun sah, die Töne, die er hörte, in einen Zusammenhang zu setzten. Alles war so greifbar nahe und doch so unglaublich fern. Als würde er in ein Fotoalbum blicken, aber beinahe erblindet sein. Verschwommene Bilder, sein Leben.
Es war, als würde er der wunderbarsten Musik lauschen und sein Hörvermögen verlieren. Entfernte Töne, sein Leben. Aber eine Sache sah er ganz klar. Sein Talent. Wie er am Flügel saß und en Lied nach dem nächsten spielte. Und auch jetzt wusste er genau, wie er seine Finger bewegen musste, um dem Keyboard harmonische Töne zu entlocken.
„Woran erinnerst du dich?" Joes Stimme drang wie durch einen dichten Nebel zu ihm und brachte ihn zurück in das, was nun seine Realität war.
„Wenig", gab Mike zu, doch sein Gegenüber bedeutete ihm mit einem Schweigen, dass er dennoch erzählen sollte.
„An das Klavier spielen. An die Lieder, die ich gelernt habe. Und dann sind da diese Bilder."
„Was siehst du?"
„Mich selbst", er stockte kurz, „am Flügel spielend. Für Elise. Die anderen Bilder sind zu unscharf, aber es sind", verzweifelt versuchte er sich auf die Punkte vor seinem geistigen Auge zu konzentrieren, „Menschen darauf? Viele Menschen. Und ich. Schwarz und weiß."
„Tasten", ergänzte Joe, seine Wangen vor Aufregung leicht gerötet. „Vielleicht warst du ja ein berühmter Pianist?"
„Oder es war einfach nur ein Hobby", bremste er Joes Begeisterung, der allerdings sogleich energisch widersprach.
„Wenn es nur ein Hobby war, warum erinnerst du dich dann als erstes daran? Ich glaube viel mehr, dass die Musik dein Leben war. Warte kurz!" Damit war er verschwunden und Mike einen Moment alleine mit der neuesten Erkenntnis.
Musik war sein Leben. Deswegen gefiel es ihm, den anderen zuzuhorchen. Musik berührte nicht nur sein Herz, es schlug im Takte der Klänge.
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Between the Wor(l)ds |Linkin Park|
Fanfiction»Weiß ich, wo ich bin? Weiß ich, was passiert ist? Weiß ich, wer ich bin? Nein.« Als Mike eines Abends ohne Erinnerungen an die Vergangenheit im beinahe menschenleeren Los Angeles erwacht, beginnt für ihn das Abenteuer seines Lebens, das ihn näher...