Remembrance - Mike - Four

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„Ich glaube", brach Brad als erster das andächtige Schweigen, lange, nachdem die letzten Töne des Liedes verklungen waren, „den Song können wir so lassen." Nachdenklich wiederholte er einige Griffe auf der Gitarre, ohne die Saiten zum Schwingen zu bringen, während Chesters Stimme noch in seinen Kopf nachhallte, ihm noch immer eine Gänsehaut bescherte. Stunden, wenn nicht Tage, hatten sie nun damit verbracht, den zwanzigsten gemeinsamen Song fertig zu stellen, entstanden aus nicht mehr als einen gnadenlos ehrlichen Gespräch zwischen Chester und Mike, die sich nun amüsierte Blicke zuwarfen und kicherten wie zwei Schulmädchen. Als ob sie den Text von Easier to run wie aus der Ferne beobachten würden.

„Wie machst du das?", meldete sich plötzlich eine interessierte Stimme hinter dem Schlagzeug, woraufhin Chester nur fragend herumwirbelte und Rob mit schief gelegtem Kopf anblickte. Das jüngste Bandmitglied schlug sich wacker, machte selbst nach Stunden des Experimentierens und Probens keinen einzigen Fehler, obwohl er doch eigentlich mittlerweile komplett erschöpft sein müsste. Doch stattdessen strahlte er wie noch nie zuvor, hatte sogar die Kappe umgedreht, um ein freies Blickfeld zu haben.

„Wie mache ich was?", kam die Antwort in Form einer weiteren Frage zurück, auch wenn ihm in diesem Moment dämmerte, worauf der Schlagzeuger hinauswollte. War er doch unglaublich empfindlich, wenn es darum ging, die Gefühlswelten anderer Personen zu verstehen.

„So fröhlich sein, obwohl du diese ganzen Erinnerungen hast. Weil der Text ist ja nicht zum Spaß so düster." Seine dunklen Augen blickten Chester nicht an, stattdessen sah er wie so oft geradewegs auf seine Hände, die sich am hellen Holz der Drum Sticks festkrallten. Drohten doch in diesem Moment seine eigenen Erinnerungen wieder über ihn herein zu brechen. Die Erinnerungen, die er noch so weit wegsperren konnte, noch so tief begraben konnte, die Erinnerungen die immer bestimmen würden, wer er nun war.


„Weißt du", begann er schließlich zögerlich, folgte Robs Beispiel, am Boden nach Antworten zu suchen, fiel es ihm doch in solchen Momenten ironischerweise alles andere als leicht, die richtigen Worte zu finden, „meine Erinnerungen, der ganze Schmerz, das alles steckt zwischen den Wörtern. Und damit nicht mehr nur in mir drinnen, verstehst du?" Er schielte kurz zu Rob, wartete, bis der Junge zaghaft nickte.

„Manchmal muss man Dinge einfach loslassen, um endlich frei zu sein. Ich weiß, das klingt idiotisch, wenn ich das sage, weil es mir ja selbst nicht immer gelingt", verlegen fuhr er sich über die Haarstoppel, blickte den Rest der Band entschuldigend an, hatten sie doch alle schon auf die eine oder andere Art mitbekommen, was es hieß, wenn Chesters Dämonen wieder die Überhand zu bekommen drohten. „Aber unsere Erinnerungen, unsere Erfahrungen bestimmen eben nur zu einem Teil, wer wir sind."

„Und Chester ist von Haus aus ein etwas hyperaktiver Mensch, während du der stille Typ bist, Rob", fügte Joe noch hinzu, seine Unterarme am DJ-Pult abgestützt, sodass seine Hände als Kopfstütze dienten, hatte er doch längst begriffen, dass es jetzt nicht um die Musik ging, sondern um die Freundschaft.

„Ich weiß ja, aber", seufzend legte er die Drum Sticks zur Seite und blickte stattdessen in die Richtung seiner Freunde, die ihn aufmerksam betrachteten, ihm signalisierten, dass sie zuhören würden, was auch immer er zu sagen hatte, „manchmal wünsche ich mir, dass ich auch so einfach lachen könnte. Dinge positiv sehen könnte. Nicht immer das Opfer darstellen würde, zu dem ich gemacht worden bin."


Wenn für mich dann gerade die Zeit zu sprechen ist, ist für andere nie die Zeit zum Zuhören. Ein Satz, von dem Mike vorkam, dass er ihn vor einer Ewigkeit gehört haben musste, waren es in Wirklichkeit doch nur ein paar Monate. Ein paar Monate, in denen die fünf Männer nicht nur zu seinen Bandkollegen, sondern zu seinen Brüdern geworden waren, wie ihm nun bewusst wurde. Brüder, die stets für einander da waren, uneingeschränktes Vertrauen in einander hatten. Ehrlich zu einander waren, weil sie wussten, dass sie nicht verurteilt werden würden. Nicht für das, was sie waren.

Between the Wor(l)ds |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt