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Leons Sicht:

Die Zelle, in der ich saß, war nicht sehr groß, aber immerhin roch es nach Putzmittel.
Mein Onkel hatte mir  einmal erzählt, dass schlimmste an Gefängnissen wäre der Geruch.

Keine Ahnung warum er das gesagt hatte, doch er müsste es eigentlich wissen, dachte ich. Mein Onkel hatte 16 Monate eingesessen.

Ein Polizist kam herein. Wieder wurde mir bewusst, dass ich noch gar nicht wirklich im Gefängnis war. Die Untersuchungshaft bedeutete, dass ich noch eine Chance hatte.

"Du hast Besuch", erklärte der Polizist gelangweilt und schloss die Zelle auf.

Zögernd folgte ich ihm. Wir betraten einen Raum, der kaum größer war, als die Zelle.
Ein Tisch stand darin und zwei gegenübergestellte Stühle.

Der Polizist deutete erst auf den einen Stuhl, dann nickte er dem Besucher zu, der auf dem anderen saß und lehnte sich an die Tür.

Ich setzte mich.
"Was willst du?", fragte ich Mark Fender.

"Ich will alles wissen, Leon. Über Steven, Marie und dich. Alles!"

Ich schmunzelte und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.

"Warum sollte ich dir was erzählen?"

"Wenn du es tust", antwortete Mark ohne mit der Wimper zu zucken, "bezahle ich dir einen Anwalt.

"Ich hab schon einen. Jeder hat das Recht auf einen Anwalt", knurrte ich.

"Schon klar. Aber du bekommst von mir genug Geld für den Besten."

Den Besten? Den hätte ich gern.

"Ich weiß, dass du keine Eltern mehr hast", redete Mark weiter. "Ich habe eine gute Stelle und die finanziellen Mittel, dir einen Anwalt zu bezahlen, wie ein Vater ihn seinem Sohn bezahlen würde, wenn ihm alles an dessen Freispruch lege."

Ich atmete ein. Wieder roch er den Putzmittelgeruch. Und ganz plötzlich wurde mir klar, was mein Onkel gemeint hatte.

Putzmittel bedeuteten, man war an der selben Stelle, wie schon dutzende Menschen vor einem. Dutzende schlechte Menschen vor einem.
Gefangener rein, Gefangener raus, Putzmittel und von vorne.

Man war nichts besonderes und nichts Wert.

"Na schön. Ich erzähle es dir", sagte ich ruhig.

"Steven Raumann war Lehrer an meiner alten Schule. Er hat sich dort in eine Lehrerin verliebt. Sie ließ ihn allerdings abblitzen und dafür kannte er auch den Grund. Marie, die Lehrerin, hatte sich in mich verliebt.

Sie sagte es mir und ich schätze Steven hat es irgendwie mitbekommen. Bei einer Party in unserer Schule, ich glaube es war ein Jubiläum, bekam Steven mit, wie Marie und ich rumgemacht haben.

Er kam rein und Marie war danach verzweifelt. Ich wechselte die Schule, um es ihr leichter zu machen.

Als Steven hier aufgetaucht ist, dachte ich zuerst, er will Rache, doch er erschrak bei meinem Anblick so sehr, dass ich begriff, dass er aus Versehen auf der selben Schule wie ich gelandet war.

Es dauerte nicht lange, da bat er mich um ein Gespräch unter vier Augen. Vermutlich wollte er alles irgendwie klären, doch ich nutzte die Chance und begann ihn zu erpressen.

Ich hätte nicht gedacht, dass er Marie wirklich noch mögen würde, aber er tat alles, damit ich nicht zur Polizei ging und das Verhältnis mit ihr beichtete.

Er verhinderte meinen Rauswurf und tat einiges für meine Beziehung mit Laura."

Schweigen.

"Ich gehe jetzt", sagte Mark.

Emicas Sicht:

Mein Handy brummte in einer Tour.
Ich klickte Mark weg und widmete mich den Hausaufgaben.

Wieder brummte es. Sicher wollte er das alles erklären, aber ich hatte jetzt keine Kraft dazu.

Seine Stimme zu hören würde mir weh tun und jämmerliche Erklärungsversuche auch.

Ich stand auf und ging nach draußen. Es war gutes Wetter und der Garten sah schön aus.
Auf einmal dachte ich daran, wie mich Mark hier mal geküsst hatte.

Wir waren lachend in den Garten gerannt. Auf der Flucht vor Blicken der Nachbarn.
Ich hatte außer Atem in meiner Jacke nach dem Haustürschlüssel gesucht, doch plötzlich hatte er innegehalten, meine Hände genommen und mich einfach geküsst.

So lange und intensiv, das wir nebeneinander aufs Gras gesunken waren, ohne uns voneinander zu lösen.

Wieder summte mein Handy und ich blickte aufs Display.

Mark Fender

Vorsichtig wischte ich über den Bildschirm, um das Gespräch anzunehmen.

"Emica?"

Autsch

"Ähm, ja"

"Ich bin so froh, dass du endlich rangehst!"

Seine Stimme klang wirklich erleichtert. Es war, als könnte ich sehen, wie breit er lächelte.

"Ich hab nicht viel Zeit", log ich mit zitternder Stimme.

"Klar. Kein Problem. Aber bitte lass uns reden. Ich kann das wirklich erklären. Du musst mir einfach vertrauen."

"In Ordnung, wir reden. Morgen in der Schule. Aber dann versprich mir, dass ich dir nach dem Gespräch verzeihen werde."

Sag es, Mark. Bitte. Sag, dass ich keinen echten Grund habe, enttäuscht von dir zu sein.

"Ich verspreche es dir."

Ich lächelte.
Morgen in der Schule würde alles gut werden.

So sehr ~ A long way to love                                      Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt