10. Wir suchen überall Magie, die ganze Welt voll Fantasie

1K 32 6
                                    

„Frida, holst du schon mal bitte die Gummibärchen aus dem Küchenschrank?"
„Aber Papi, da komme ich doch gar nicht ran. Die habt ihr doch extra weit nach oben gepackt, damit ich nicht naschen kann." Sie zog eine Schnute.
„Stimmt ja", lachte Stefan. „Warte kurz, ich helfe dir gleich."
Er stellte noch schnell die mit Wasser gefüllte durchsichtige Wanne auf den Küchentisch und eilte dann zu Frida, die bereits ungeduldig vor dem Schrank wartete. Stefan öffnete die Tür und hob seine drei Jahre alte Tochter auf die Küchenablage und hielt sie dabei fest, sodass diese die Tüte herausholen konnte.
„Hab sie!"
„Sehr gut, Frida."
Er setzt sie wieder auf den Boden, Stefan schloss die Tür und beide machten sich auf den Weg zum Tisch. Frida krabbelte auf ihren Tripp Trapp Stuhl und legte die Verpackung zu den anderen Utensilien auf den Tisch, während sie sich schon einmal Gummibärchen nahm.
„So, haben wir alles?"
„Ich glaube schon."
„Lass uns nochmal gemeinsam die Liste kontrollieren", forderte er Frida auf. „Eine Wanne mit Wasser?"
„Hier."
„Ein Glas?"
„Da."
„Teelichter?"
„Haben wir auch."
„Gummibärchen?"
„Auch", nuschelte sie mit vollem Mund.
„Jetzt reicht es, Frida. Gib mir mal die anderen, die bekommst du dann nach unserem Experiment."
Stefan zog die Tüte aus Fridas Armen, die ihren Papa ein bisschen beleidigt anguckte. „Jetzt sei nicht knatschig, sonst können wir unseren Versuch nicht machen. Später gibt es mehr, versprochen. Also haben wir alles?"
„Nein."
„Wieso, was fehlt uns denn noch?", fragte Stefan ironisch überrascht, schließlich hatte er extra ein entscheidendes Detail für ihr Experiment "vergessen".
„Das Feuer fehlt", antwortete sie ihm flink und gleichzeitig stolz, dass ihr dies aufgefallen war.
Stefan schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn: „Stimmt ja, wie konnte ich das vergessen? Gut, dass ich dich als meine beste Assistentin habe."
Schnell holte er das Feuerzeug aus der obersten Schublade, hielt es vor Fridas Nase und begann das vertraute Sprichwort: „Messer, Gabel, Schere, Licht..."
„... sind für kleine Kinder nicht", vollendete sie und verdrehte genervt die Augen, schließlich wusste sie schon lange, dass sie nicht allein Feuer machen durfte, aber ihr Papa wiederholte diesen Satz jedes Mal. Als ob sie doof sei und sich das nicht merken könne, dabei war sie doch schon drei Jahre alt und überhaupt nicht auf den Kopf gefallen.
„Frida, ich weiß, dass es dir auf den Keks geht, wenn ich das immer wiederhole, aber ich möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert, okay?" Stefan strich ihr fürsorglich über die Wange und sie nickte: „Das verstehe ich, Papi, trotzdem bin ich nicht blöd."
„Das weiß ich doch...", grinste er und piekste seiner Tochter spielerisch in den Bauch. „... und wir können jetzt endlich loslegen. Erstmal musst du aus dem Teelicht die Kerze herausholen und vier Gummibärchen in das Teelicht legen, sodass es am Ende schwimmen kann."
Um die Anzahl der Gummibärchen zu verdeutlichen, hob Stefan die vier Finger seiner rechten Hand. Als Frida ihre Aufgabe ausgeführt hatte, setzte sie vorsichtig ihr Gummibärchenboot auf das Wasser in der Wanne.
„Ach, Menno. Guck mal, Papi, das Boot ist umgekippt und die Gummibärchen sind untergegangen", sagte Frida enttäuscht und verzog ihr Gesicht.
„Dann musst du die kleinen Bärchen schnell retten", erwiderte Stefan grinsend.
Unmittelbar tauchten Fridas Hände im Wasser ab und zogen die Gummibärchen aus ihrer Misere, bevor sie mit einem schelmischen Grinsen in ihrem Mund verschwanden.
„Los geht's, zweiter Versuch. Überlege dir mal, wie du es machst, dass das Boot nicht umkippt."
Frida probierte einige Minuten akribisch die Gummibärchen im Boot zu drapieren und fuhr dabei konzentriert mit ihrer Zungenspitze über ihre Lippen und pustete sich immer wieder die Haare aus der Stirn.
„Richtige Chemiker müssen ihre Haare zusammenbinden, damit sie nicht ins Experiment fallen", erklärte ihr Stefan.
„Ich bin eine Richtige, Papi", stellte sie überzeugend fest und schaute ihn mit ihren großen, blauen Augen an, was Stefan ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er schnappte sich eines von Fridas pinken Haargummis, die überall in ihrem Haus zu finden waren, und bändigte ihre blonden Haare zu einem Zopf. Daraufhin wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu.
Als sie fertig war, schaute sie ihren Vater fragend an, welcher ihr aufmunternd zunickte, sodass Frida das Boot ein zweites Mal zu Wasser ließ. Dieses Mal schwamm es an der Wasseroberfläche.
„Sehr gut, Frida. Jetzt brauchen wir das Glas und müssen es über unser Boot stülpen."
Sie griff danach, drehte es um und wollte es mit der geöffneten Seite über das Boot ins Wasser drücken. Stefan nahm dies ebenfalls, um sie zu unterstützen.
„Ich kann das alleine, Papi", erklärte sie selbstsicher.
Also ließ Stefan wieder los und beaufsichtigte, wie sein Mädchen ganz langsam und vorsichtig seine Anweisungen befolgte. Als das Glas auf dem Boden angekommen war, nahm sie es sachte wieder hoch.
„Papi, die sind tatsächlich trocken geblieben", stellte seine Tochter erstaunt fest und steckte sich einen Bootspassagier genüsslich in den Mund.
Stefan nickte: „Das liegt daran, dass sie in einer Luftblase nach unten gedrückt werden, sodass kein Wasser unter das Glas kommt."
Stefan zündete nun ein Teelicht an und ließ dies auf dem Wasser schwimmen. Dann nahm er das Glas und setze es über das Licht und drückte es nach unten. Die Kerze brannte eine Zeit lang, bis sie plötzlich erlosch. Frida, die sich ein Gummibärchen nach dem anderen in den Mund schob, blickte ihn überrascht an.
„In dem Glas befindet sich nur ein kleine Menge Luft. Luft besteht unter anderem aus Stickstoff, Sauerstoff und Kohlendioxid. Wenn der Sauerstoff aufgebraucht ist, geht die Kerze aus."
„Wenn das Glas größer wäre, würde die Kerze dann länger brennen?", kombinierte sie pfiffig und brachte ihren Vater damit zum Stauen.
„Richtig, Frida." Stefan hob seine rechte Hand zu einem High Five und sie klatschte ein.
„Nochmal, bitte!" Sie stützte ihren Ellenbogen auf dem Tisch ab und lehnte ihren Kopf auf ihre Hände.
Also machte sich Stefan daran die Kerze erneut anzuzünden, auf das Wasser zu setzen und das Glas herunterzudrücken. Als das Licht ein zweites Mal ausging, hörten beide, wie sich ein Schlüssel im Türschloss drehte und die Haustür geöffnet wurde. Blitzschnell griff Frida nach den letzten Gummibärchen, schob sie sich in den Mund und rannte zur Tür.
„Mami, endlich." Sie wollte Karin um den Hals fallen, aber diese war mit allerlei Akten bepackt.
„Hallo, meine Kleine."
„Ich bin gar nicht mehr klein", beschwerte sich Frida und stemmte ihre Hände in ihre Hüften.
„Ich weiß, ich weiß." Karin legte ihre Hand besänftigend auf ihren Kopf. „Lass mich schnell meine Sachen nach oben ins Büro bringen und ich bin gleich wieder bei dir."
Frida wartete unruhig im Flur, bis Karin zurück kam und fiel ihr freudig in die Arme.
„Ich habe dich vermisst." Sie kuschelte sich in ihre Arme und Karin hob sie hoch.
„Ich dich auch, Frida." Sie drückte ihr einen Kuss auf die Haare und richtete ihren Zopf. In der Küche entdeckte sie das Chaos: „Und was habt ihr hier angestellt?"
Stefan stand immer noch am Küchentisch und begann mit dem Aufräumen. Er warf ihr ein Lächeln zu, während die beiden auf ihn zukamen.
„Wir haben ein Expiri..., Expeiri..., einen Versuch gemacht", antwortete Frida.
„Genau wir haben das Gummibärchenbootexperiment gemacht", bestätigte Stefan ihre Aussage.
Er legte seinen Arm um Karin und drehte sein Gesicht zu ihr, sodass sie ihm einen Kuss zur Begrüßung gab.
„Außerdem hat eine gewisse Dame alle Gummibärchen aufgegessen."
Frida legte ihren Zeigefinger auf ihren Mund: „Psst, Papi. Du solltest doch nichts sagen."

Am Abend lag Stefan auf dem Rücken auf einer Liege auf der Terrasse und genoss die letzten Sonnenstrahlen, als Karin nach draußen kam.
„Na, hat dich Frida endlich gehen lassen?"
Sie nickte: „Sie ist ein bisschen traurig, dass ich in den letzten Tagen viel arbeiten muss, da versucht sie das Schlafen gehen immer besonders lange hinauszuzögern. Du kennst sie, darin ist sie außergewöhnlich gut."
„Zum Glück sind bald Sommerferien und bis es so weit ist, werde ich sie mit Experimenten bei Laune halten, ich habe da noch ein paar Sachen in petto", schmunzelte Stefan.
„Das glaube ich dir und ich werde mir einfach die Abende ganz viel Zeit nehmen, um zu kuscheln und so oft wie sie möchte „Weißt du eigentlich, wie lieb ich Dich hab?" vorzulesen."
Stefan breitete seine Arme aus. „Bis zum Mond...", zitierte er aus dem allzu vertrauten Kinderbuch, welches Frida abgöttisch liebte und die komplette Familie in- und auswendig kannte.
Karin grinste und ließ sich langsam mit den Worten „Bis zum Mond und wieder zurück." in seine Arme sinken. Nebeneinander lagen die beiden eng aneinander geschmiegt auf der Liege und tauschten zärtliche Küsse aus, während über Köln langsam die Sonne unterging.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt