32. Nichts ist so trocken wie mein Hals, wenn du weinst (Teil 2/2)

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Doch die Hoffnung, die in Karin aufblitzte, wurde im Keim erstickt. Es war zwar die Polizei, aber Frida hatten sie nicht gefunden. Allerdings hatte der Personensuchhund seine Fährte aufgenommen, die von ihrer Schule bis zur Bushaltestelle ging, die zwischen dem Haus von Leonie und ihrem lag. Dort endete jedoch ihre Spur.
Auf Nachfrage erklärte Karin, dass sie einmal im Monat mit dem Bus in die Bibliothek fahre, damit Frida sich dort Bücher ausleihen könne. Außerdem seien sie manchmal mit dem Bus zum Friedhof und somit zur Grabstelle von Stefans Vater unterwegs. Dieser Anlaufpunkt sei von ihnen bereits an die beiden Beamten, die bei ihnen gewesen waren, übergeben worden und Stefan, der sie mit regelmäßigen Nachrichten auf dem Laufenden hielt, sei dort ebenfalls schon bei seiner Suche gewesen. Ohne Erfolg.

Der weiße Schnee rieselte langsam den Himmel hinunter und bedeckte die graue, matschige Fahrbahn mit einer neuen, unberührten Schneedecke. Die Dunkelheit brach langsam herein, als Stefan in seinem Mercedes die letzten Meter zu ihrem Haus hinter sich brachte. Das unschuldige Weiß des Schnees passte rein gar nicht zu seinem Gemütszustand, sondern vielmehr das fahle und trübe Grau, das den restlichen Tag beherrschte.
Er parkte seinen Wagen auf ihrer Einfahrt und blieb noch ein bisschen sitzen. Seine Hände krallten sich in das Lenkrad, sodass das Weiß an seinen Fingerknochen hervortrat und sein Gesicht sank vollkommen abgekämpft auf dieses.
Die Angst, die panische Angst, umklammerte seinen Körper und zog ihn immer tiefer in seine bedrückten Grübeleien. Der Knoten in seiner Brust nahm ihm die Luft zum Atmen und schnürte ihm immer weiter die Kehle zu. Ein starkes Frösteln überzog ihn und er begann leicht zu zittern.
Er, der Vollmer, der immer jedem helfen konnte, hatte versagt und war gescheitert, ausgerechnet bei seinem eigenen Kind. Er hatte sich fest vorgenommen mit Frida nach Hause zu kommen. Jetzt wurde es von Minute zu Minute dunkler und mit der Dunkelheit kühlten sich auch die Temperaturen immer weiter ab, schließlich war erst Februar. Seine Tochter, sein kleines Mädchen, der er geschworen hatte, dass er immer auf sie aufpassen würde, irrte verängstigt durch die unübersichtlichen, bitterkalten Straßen Kölns oder ihr war noch schlimmeres passiert. Das Schlimmste war, dass er nichts mehr tun konnte, was er nicht bereits schon getan hatte. Er war am Ende. Er versucht die düsteren Gedanken schnell aus seinem Kopf zu vertreiben und stieg noch rasanter aus.
Als er ihr Haus betrat, war die untere Etage in komplette Dunkelheit gehüllt und spiegelte seine Gefühlswelt eins zu eins wieder. Fridas Platz an der Garderobe, wo sonst ihre Jacke und ihre Schuhe waren, war leer.
Nachdem er sich ausgezogen hatte, stieg er wie in Zeitlupe die Treppe nach oben und schlich leise durch den Flur immer dem Schniefen hinterher. Durch die leicht geöffnete Kinderzimmertür und das Nachtlicht, welches das Zimmer in einen angenehmen Schimmer tauchte, entdeckte er Jakob. Sein Sohn schlief unruhig in seinem Bett, Schnuller im Mund, den sie ihm eigentlich bereits lange abgewöhnt hatten, und wälzte sich die ganze Zeit hin und her, sodass seine Decke und Paula bereits auf dem Boden lagen. Stefan ging hinein und hob diese auf, um ihn wieder behutsam zuzudecken und seine Giraffe in den Arm zu legen. Er quetschte sich zu ihm ins Bett, umarmte ihn innig und schloss für einen kurzen Moment seine Augen, während sich seine Nase in seinen Haaren vergrub. Jakob bemerkte die Präsenz seines Vaters und sein kleiner Körper entkrampfte sich ein wenig.
Als Stefan nach einigen Augenblicken seine Augen wieder öffnete, schaute er in die blauen, trübseligen und leicht schimmernden Pupillen seines Sohnes, der seinen grünen Schnuller aus dem Mund zog.
„Hast du Frida mitgebracht?", fragte er leise, aber hoffnungsvoll.
Stefan konnte nicht antworten, weil er sonst selbst vor seinem Sohn in Tränen ausgebrochen wäre, also schüttelte er nur leicht seinen Kopf und strich ihm über die kurzen Haare. Mit dieser Geste bemerkte er, wie Jakobs kleine Welt zusammenbrach und dicke Krokodilstränen seine Wangen herunter kullerten. Er vergrub sein Gesicht in der Brust seines Vaters und klammerte sich an ihn.
„Bleibst du bei mir bis ich eingeschlafen bin?", schluchzte Jakob in das dunkelblaue Shirt.
„Natürlich bleibe ich bei dir. Gibst du mir deinen Schnuller? Den brauchst du doch schon lange nicht mehr."
Stefan drehte sich auf seinen Rücken, sodass Jakob seinen Kopf auf seinen Brustkorb legen konnte und zum Herzschlag, der sich langsam regulierte, seines Papas einschlief, der ihm sanft über den Rücken strich.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt