22. Es gibt so viele Worte, die ich revidieren und zurücknehmen muss

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„Frida, packe bitte deine Puppe zur Seite. Du weißt doch genau, dass wir beim Essen nicht spielen."
Die Vierjährige ignorierte die Aufforderung ihrer Mutter, spielte unbekümmert weiter und ließ ihr Mittagessen unbeachtet auf dem Tisch stehen.
„Frida, lege dein Spielzeug weg, sonst muss ich es dir wegnehmen."
Doch sie überhörte sie weiter.
„Frida Noske! Deine Mama hat mit dir gesprochen und wenn du deine Puppe nicht sofort weg legst, dann nehme ich sie dir weg", mischte sich nun auch Stefan energisch ins Gespräch ein.
„Ich will aber nicht", antwortete diese trotzig ohne ihre Aufmerksamkeit von ihrem Spielzeug abzuwenden.
„Du hast es so gewollt", ruck zuck griff Stefan danach und zog es Frida unter großem Protest und mit lauten Unmutsbekundungen aus den Händen: „Frida, es reicht jetzt!"
„Lass meine Puppe, Papa. Ich will jetzt spielen", krakeelte sie in voller Lautstärke ihrem Vater entgegen.
„Jetzt wird nicht gespielt, sondern gegessen", antwortete Stefan, der inzwischen das Spielzeug aus den Kindergriffen befreien konnte, aufstand und es auf das oberste Regal stellte.
„Du bist so doof, Papa", bockte Frida und krabbelte wütend von ihrem Tripp Trapp Stuhl. Sie stampfte dickköpfig mit ihrem rechten Fuß auf und begann sauer zu schreien.
„Frida, Mama und ich wollen in Ruhe essen und wenn du jetzt deinen Wutanfall ausleben willst, dann kannst du in dein Zimmer gehen."
„Das mache ich." Schon stapfte sie wutentbrannt aus der Küche die Treppe nach oben in ihr Zimmer, wobei sie jeden einzelnen Schritt mit einem durchdringend Stampfen und ohrenbetäubenden Geschrei untermalte.
„Mach die Tür hinter dir zu, damit wir dein Geschrei nicht hören müssen, kleiner Stinkstiefel", bekam Stefan das letzte Wort in der Diskussion.
Ein Knall der Tür sorgte für Stille im Erdgeschoss.
„Stefan, musste das jetzt sein? Ich hätte den Konflikt mit Frida auch alleine und vor allem ruhiger lösen können."
„Das weiß ich doch, aber du warst heute Morgen beim Einkaufen schon die Böse, als du ihr nur eine Süßigkeit erlaubt hast und als du ihr vorhin den Fernseher ausgeschaltet hast, als wir essen wollten. Da musste ich jetzt auch mal den fiesen Part übernehmen. Außerdem müssen wir ihr gerade in ihrer Trotzphase Grenzen setzen und klare Kante zeigen, damit sie uns nicht auf der Nase herumtanzt und wir die Oberhand behalten."
„Ach klar, der Vollmer muss wieder alle Probleme lösen und alles an sich reißen, weil ich es ja sowieso nicht hinbekomme", meckerte Karin.
Sie sprang ärgerlich auf, was Stefan ihr gleich tat. Er hob den Zeigefinger seiner rechten Hand: „Das habe ich nicht gesagt und ist auch kein Grund, warum du mich hier so anpampen musst. Lass uns jetzt bitte nicht auch noch streiten." Versuchte er die Wogen zu glätten.
„Und was ist, wenn ich mich jetzt aber mit dir auseinander setzen möchte?", funkelte sie ihn bitterböse an.
„Dann ist das jetzt mein Zeichen zu gehen und dich mit deinen Schwangerschaftshormonen allein zu lassen."
„War ja klar, dass du das jetzt wieder auf meine Schwangerschaft beziehst, damit ich mich bloß nicht aufrege."
Beide hatten inzwischen ihre Hände auf dem Esstisch abgestützt und funkelten sich gegenseitig aufgebracht an. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, hob Stefan beschwichtigend seine Hände, brach den Augenkontakt und ging aus dem Raum.
Karin ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken, stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Leise begann sie zu schluchzen und gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Sie war doch sonst immer kontrolliert und ließ sich von nichts aus der Ruhe bringen, aber die Schwangerschaft hatte sie zu einem emotionalen Wrack gemacht. Fuchsteufelswild und von einer auf die andere Sekunde zu Tode betrübt und den Tränen nahe. Es nervte sie unheimlich, dass sie in den letzten Wochen klitzekleine Kleinigkeiten schnell aus der Fassung brachten, so wie vor ein paar Tagen, als sie morgens anfing zu weinen, als sie das leere Glas Nutella entdeckte.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort gesessen hatte, als sie plötzlich eine vertraute Hand auf ihrem Kopf spürte, welche sie sanft streichelte. Sie schaute auf und blickte mit glasigen Augen in Stefans. Er nahm ihr Gesicht liebevoll in seine beiden Hände, strich ihr die Tränen von den Wangen und legte seine Stirn gegen ihre: „Es tut mir Leid."
„Mir tut es Leid, dass ich dich so angeschrien habe. Das war nicht meine Absicht. Du wolltest mir ja nur helfen."
„Versprich mir bitte, dass du dich nicht mehr so viel aufregst. Das tut besonders dir und deinem Blutdruck nicht gut und unserem kleinen Jakob auch nicht. Sonst musst du wieder Kopfstand machen."
Sie nickte zaghaft und bewegte ihre Lippen langsam auf seine zu bis sie diese behutsam ablegte. Es entwickelte sich ein vorsichtiger und liebevoller Entschuldigungskuss zwischen den beiden, in den jeder die tiefen Gefühle legte, die er empfand.
Nachdem sie sich gelöst hatten, strich er ihr einmal behutsam über ihre Babykugel und danach aßen sie weiter, bis Karin mit einem „Ich bin satt." ihren Teller in die Tischmitte schob.
„Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt schon wieder über deinen Kopf hinweg entscheide, eine Kartoffel und zwei Bissen Spiegelei machen nicht satt, besonders nicht, wenn man eine kleinen Menschen in sich trägt und ernähren muss."
„Aber ich habe wirklich keinen Hunger mehr."
„Okay, wenn du meinst. Nicht mal auf ein Schokoloadencroissant, saure Gurken mit Leberwurst oder Pistazien? Ich könnte für dich noch schnell loslaufen", machte er ihr ein paar Vorschläge.
„Du bist süß, aber danke, ich habe gerade tatsächlich einfach keinen Appetit."
„Dann wenigstens einen heißen Kakao?", versuchte er es weiter.
„Du gibst keine Ruhe bis ich mich für etwas entschieden habe, oder?", lachte Karin.
„Nein, mache ich nicht, dafür seid ihr mir zu wichtig."
Sie gab ihm einen dankbaren Kuss.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt