48. Momente vergehen, doch dieses Gefühl bleibt für immer bestehen (Teil 2/2)

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„Papi, weißt du was?", fragte Frida während sie mit vollem Mund eifrig auf ihrem letzten goldbraunen Waffelherz kaute, dass sie sich kurz vorher komplett in den Mund geschoben hatte. Ihr Mündchen und ihre Wangen waren mit weißem Puderzucker gesprenkelt und sie streckte ihre klebenden Fingerchen weit von sich. Ihre Beinchen mit ihren dunkelbraunen Winterstiefeln schwangen dynamisch wie ein Pendel unter dem Tisch hin und her.
Stefan nahm sich ein feuchtes Tuch und wischte seiner Tochter das Gesicht und die Hände sauber.
„Jetzt noch schnell den letzten Rest von deinem Kakao trinken bevor er kalt wird oder Mama ihn dir weg trinkt", stichelte er belustigt gegen seine Frau, die auf der anderen Seite neben Frida saß, und gerade ihre Nase in ihrem großen Becher Kakao mit Sahne versteckte.
Frida griff nach ihrem Getränk, das neben Hasi auf dem Tisch stand, und stürzte den Rest Flüssigkeit hinunter. „Jetzt kannst du mir erzählen, was du wolltest", schenkte er seiner Tochter seine volle Aufmerksamkeit.
„Heute im Kindergarten bin ich bis hoch in die Wolken geschaukelt und wir haben einen riesigen Schneemann gebaut mit einer Möhre als Nase." Dabei riss sie ihre Arme nach oben in die Lüfte, um stolz grinsend die Größe ihres Kunstwerks zu präsentieren.

„Karin?", sein Rufen ließ sie von ihren Unterlagen aufblicken, mit denen sie sich mitten in der Aula an einen Tisch gesetzt hatte und vollkommen in ihre Schreibarbeit abgetaucht war. Stefan hatte ihr verboten beim Abbauen zu helfen, da sie auf Grund ihrer Schwangerschaft nichts Schweres tragen sollte, also beschäftigte sie sich derweil anderweitig.
„Ich bringe noch schnell die Kisten in den Materialraum und danach können wir nach Hause", balancierte er drei Kartons in seinen Armen und grinste sie an.
„Mhm", nickte sie und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Papi, ich möchte mithelfen", erklärte Frida und stand plötzlich neben ihm, nachdem sie vorher neben ihrer Mama gemalt hatte.
„Klar, die Decke, die auf dem Stuhl liegt, muss auch noch mit in den Materialraum."
Frida schnappte sich die blaue Wolldecke und flitzte ihrem Vater hinterher die Treppe nach oben.

„So Frida, jetzt musst du mir bitte einmal die Tür öffnen", forderte er seine Tochter auf, als sie am Materialraum ankamen. Sie drückte sofort die Klinke nach unten und öffnete die Tür nach innen, durch die sie hinein ging.
Drei Schritte im Raum blieb sie stehen und Stefan schob sich an ihr vorbei. Nach und nach verstaute er die Kisten an ihre vorgegebenen Plätze und räumte die restlichen Gegenstände ebenfalls ein, die die Schüler bisher lediglich auf dem Boden abgestellt hatten.
Als er fertig war und wieder in Richtung Tür guckte, stand Frida immer noch mit der Decke in der Hand an der selben Stelle. Mit großen Augen und vor Bewunderung weit aufgerissenem Mund schaute sie sich fasziniert und aufmerksam um. Das weiße Skelett, der riesige Rechenrahmen mit den roten und weißen Kugeln, die zusammengerollten Landkarten und die vielen Regale mit den unzähligen Ordnern, den Kunstwerken aus Ton, den bunten Schulbüchern und den anderen Gegenständen zogen sie in ihren Bann.
Stefan ging zu seiner Tochter, nahm ihr die Decke aus der Hand und packte sie auf das oberste Brett des Regales. Diese Bewegung sorgte dafür, dass sie aus ihrer Träumerei gerissen wurde.
„Papi, hier war ich ja noch nie drin."
„Das stimmt gar nicht", grinste er sie an.
Verwundert verzog das kleine Mädchen ihr Gesicht und er nahm seine Tochter auf den Arm. Er setzte sich auf einen Tisch an der Wand und platzierte sie auf seinem Schoß, sodass die Zwei sich in die Augen schauen konnten und Fridas Beinchen rechts und links neben seinen Oberschenkeln baumelten. Seine Hände legte er auf ihre Hüfte, sodass sie nicht von seinen Beinen rutschte, die vom Tisch hingen.
Fragend legte Frida ihren Kopf schief und schaute ihren Papa auffordernd an, dass er ihr die Geschichte erzählen soll.
Sanft strich er ihr die blonde Haarsträhne aus dem Gesicht: „Dieser Raum ist ein ganz besonderer Raum, denn hier haben Mama und ich uns das erste Mal geküsst."
„Dann habt ihr euch verliebt und ich bin gekommen", lächelte sie für einen kurzen Augenblick stolz, doch dieses Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, als Stefan leicht seinen Kopf schüttelte. Ängstlich klammerte sie sich in den Stoff seines dunkelblauen Shirts und klebte an den Lippen ihres Papas, als er begann zu berichten.
„So schnell ging das bei uns nicht. Mama und ich haben uns geküsst, um einem Schüler zu helfen, da kannten Mama und ich uns noch gar nicht lange. Zu diesem Zeitpunkt war Mama aber noch mit einem anderen Mann zusammen. Mit diesem wollte sie dann ganz plötzlich ganz weit weg nach Amerika fliegen, weil der andere Mann dort eine neue Arbeit bekommen hat."
„Warst du da traurig?", löcherte sie ihn, wobei sich ihre Mundwinkel ein wenig nach unten zogen.
„Ja, das war ich, aber das habe ich niemandem erzählt", bejahte Stefan.
„Also ein Geheimnis", bemerkte sie schlau.
Er nickte. „Deshalb bin ich Mama hinterher geflogen, aber sie war gar nicht im Flugzeug. Als die Sommerferien vorbei waren, war Mama aber plötzlich wieder in der Schule und ich habe mich sehr darüber gefreut."
Frida lächelte auch, da sie das Strahlen im Gesicht ihres Papas sah. „Und dann?" fragte sie gespannt.
„Mama und ich haben uns immer öfter getroffen, haben uns ganz viel geküsst und dann sind wir irgendwann zusammen gekommen."
„Und dann kam ich", erklärte sie überzeugt, aber sein erneutes Kopfschütteln stoppte sie in ihrer Euphorie.
„Wir haben uns gestritten und wir haben gedacht, dass es besser ist, wenn wir nicht mehr zusammen sind, also haben wir uns getrennt, obwohl wir das eigentlich gar nicht wirklich wollten. Das war auch hier im Materialraum."
„Aber wieso macht ihr das, wenn ihr das gar nicht wolltet?", stellte sie fassungslos fest, während ihre blauen Äuglein ein bisschen wässrig wurden. Zärtlich küsste Stefan ihr Näschen und strich ihr beruhigend den Rücken.
„Manchmal macht man komische Dinge, die man eigentlich gar nicht möchte und man weiß gar nicht wieso. Mama und ich haben an dem Abend noch gemeinsam beim Abschlussball getanzt und dann ist jeder alleine nach Hause gegangen. Das tat sehr weh."
„Wo tat das weh?", erkundigte sie sich neugierig.
Stefan griff nach dem Händchen seines Töchterchens und legte es auf seine Brust. Sanft drückte er dies gegen seinen Oberkörper und sie spürte seinen pulsierenden Herzschlag.
„In meinem Herz tat das sehr weh und in Mamas auch. Sie ist dann sogar erst mal zwei Stunden weit weg gezogen, aber das tat uns noch viel mehr weh, weil in der Zeit auch etwas ganz Wunderschönes passiert ist."
„Was denn?"
Er ließ ihre Hand los, die immer noch auf seinem Herz lag, und tippte mit seinem Zeigefinger leicht gegen ihre kleine Brust: „Du!"
„Ich? Na endlich", entfuhr es ihr erleichtert und auf ihre Gesichter legte sich ein Strahlen.
„Mama ist wieder nach Köln gekommen und hat mir gesagt, dass sie genau weiß, was sie möchte und das war ich. Also habe ich ihr erklärt, dass ich sie nicht mehr gehen lassen werde, nie wieder und Mama ist wieder nach Hause gekommen."
„Zum Glück, Köln ohne Mama geht ja auch gar nicht", bemerkte Frida überzeugt.
„Du hast recht und wir ohne Mama sowieso niemals. Ein paar Monate später war Mama mich in der Schule besuchen, als sie plötzlich hier eingeschlossen wurde und Wehen bekam. Ich konnte gerade noch die Tür aufbrechen und war rechtzeitig da, als du geboren wurdest und ich dich zum ersten Mal in meinem Arm halten durfte", schwärmte Stefan und bekam ein Glitzern in den Augen. Still betrachtete Frida ihren Papa und lehnte sich gegen seine starke Brust, während seine muskulösen Arme vertraut und fest ihren Körper an sich drückten. Er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Haare. „Ich hab dich lieb, Papi."
„Hier seid ihr", stellte Karin plötzlich fest, die in den Raum kam und sich mit ihrer Kugel neben Stefan auf den Tisch hievte. Ihre Handtasche, aus der Fridas brauner Stoffhase lugte, stellte sie neben sich ab.
„Papi hat mir gerade erzählt, dass hier ein ganz besonderer Raum ist und ich hier auf die Welt gekommen bin", wandte sich Frida an ihre Mutter.
„Das stimmt, der Materialraum ist ein ganz besonders schöner und bedeutender Raum für uns", erklärte Karin und strich ihrer Tochter durch die Haare.
„Und vor zwei Wochen habe ich deine Mama hier gefragt, ob sie mich heiraten möchte, sodass wir Vier für immer zusammen bleiben können", glücklich streichelte er mit seiner rechten Hand über Karins Bauch, den er glückselig betrachtete. Sie genoss seine liebevollen Berührungen und legte, ebenso wie Frida, ihre Hand auf seine. Er schaute auf und seiner Frau direkt in die Augen. Gefühlvoll drückte er ihr einen Kuss auf die weichen Lippen.

Zärtlich kraulte Karin Stefans kurze Haare in seinem Nacken, während er tief mit ihrem Bauch beschäftigt war.
„Deine große Schwester schläft schon und ich muss jetzt mal mit deiner Mama sprechen, was sie auf dem Herzen hat. Gute Nacht, kleiner Mann", er hauchte einen sanften Kuss auf Karins nackte Babykugel, zog anschließend ihr rotes Shirt nach unten und hüllte ihren Körper in die weiche Bettdecke. Als er auf der Seite neben ihr lag, stützte er seinen Kopf auf seiner Hand ab und seinen Ellenbogen in die gestreiften Kissen, sodass sich die Muskeln seines Oberarmes anspannten.
„Was ist los?", strich er zärtlich eine blonde Strähne hinter ihr Ohr.
„Nichts", wich sie seinem Blick aus.
„Von wegen. Du hast etwas, das merke ich doch", behutsam drehte er ihren Kopf zu sich, sodass die Zwei sich in die Augen gucken musste. „Ist es wegen der Begegnung heute Nachmittag in der Schule mit Jenny und Corinna?"
Ein stummes Nicken folgte und sie senkte erneut ihren Blick, den er sofort wieder mit seinem rechten Zeigefinger hob.
„Du brauchst dir überhaupt gar keine Gedanken machen. Früher war ich hinter jedem Rockzipfel her, das ist richtig und mit Corinna bin ich dann halt auch einmal in meinem Kofferraum gelandet."
Karin verdrehte genervt ihre Augen: „So genau wollte ich es jetzt nicht wissen."
„Erst am nächsten Tag habe ich sie zufällig in der Schule gesehen und festgestellt, dass sie eine Schülerin war."
„Du hattest etwas mit einer Schülerin?", starrte sie ihn entsetzt an, als diese Information bei ihr im Gehirn ankam.
Er nickte schuldbewusst vor seiner Frau. Es war zwar damals von ihm keine Absicht gewesen, aber trotzdem war ihm diese Offenbarung ausgerechnet vor Karin ziemlich unangenehm. „ Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass sie eine Schülerin der GSG war."
Sie beäugte ihn immer noch entgeistert und wollte sich aufgebracht aus dem Bett rollen, aber er hielt sie sanft an ihrer Hand zurück.
„Karin, denk an deinen Blutdruck und lass es mich dir bitte in Ruhe erklären", flehte er schon fast und sie ließ sich vorsichtig wieder auf die Matratze sinken.
„Ich war selbst erst ein paar Tage wieder in der Schule und habe Corinna zufällig in einer Bar kennengelernt. Ich konnte gar nicht wissen, dass sie auf die Schule ging und habe sie selbst auch nie unterrichtet. Ich war zu diesem Zeitpunkt in keiner Beziehung, du und ich waren uns noch lange nicht begegnet und es ist wie gesagt ewig her, somit für mich vollkommen ohne Bedeutung gewesen."
„Also wusste du es wirklich nicht?", vergewisserte sie sich nochmal.
„Ja, ich wusste das ehrlich nicht und nachdem ich es erfahren habe, ist auch nie wieder etwas mit ihr gelaufen, Ehrenwort. Das alles ist Vergangenheit und das Einzige, was zählt sind jetzt wir, denn du hast mich verändert. Jonas, Frida, unser kleiner Mann...", liebevoll streichelte er dabei über ihren Bauch und spürte leichte Bewegungen an seiner Handinnenfläche. „... und du, ihr seid das Wichtigste für mich. Mein Antrag war ein Versprechen an unsere gemeinsame Zukunft, weil ich weiß, dass eine gewisse Karin Noske die Richtige für mich ist. Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch", flüsterte sie an seinen Lippen und erwiderte seinen liebevollen Kuss, während ihr eine kleine Träne über die Wange lief. Sie lösten sich langsam voneinander und er wischte mit seinem Daumen sanft die Flüssigkeit aus ihrem Gesicht. „Blöde Hormone", grinste sie leicht beschämt.
„Alles gut", wisperte er nach einem weiteren Kuss und legte sich auf seinen Rücken, sodass Karin ihren Kopf auf seine nackte Brust platzierte und sich an ihn schmiegte. Behutsam strich er ihr durch die Haare, während seine andere Hand den Weg auf ihren Bauch fand.
„Du brauchst dir übrigens überhaupt keine Gedanken machen, denn unser Töchterchen passt schon ziemlich genau auf, was ihr Papa und die Menschen um ihn herum mit ihm machen. Die Kleine war ganz schön eifersüchtig und hat direkt mal die Besitzverhältnisse geklärt. Jenny und Corinna haben ganz schön blöd aus der Wäsche geschaut, als da plötzlich dieses kleine, blonde Mädchen mit ihrer großen Klappe auftauchte."
„Klingt nach Frida. Wenn jemand ihren Papi in Beschlag nimmt, ist mit ihr nicht zu spaßen", Karin lachte herzhaft und er stimmte mit ein.
Nachdem ihr lustvolles Lachen wieder verstummt war, begann Stefan ruhig zu erzählen, während sie bereits schläfrig ihre Augen schloss. „Damals habe ich mich nach der ganzen Geschichte aber trotzdem noch für Corinna eingesetzt. Die damalige Rektorin Herenberg wollte sie nicht darüber informieren, dass sie nicht zur Abiturprüfung zugelassen wird, wenn sie noch eine Fehlstunde hat. Außer Vero waren alle der Meinung von der Herenberg, also bin ich abends nochmal in die Bar und habe Corinna erzählt, dass sie am nächsten Morgen unbedingt zur Schule kommen muss. Das hat sie gemacht, ihr Abitur geschafft und ist jetzt die Leiterin eines Restaurants eines edlen Kölner Hotels", brachte er seine Erzählung stolz zu Ende.
„Also wurde schon vor zehn Jahren gevollmert", flüsterte Karin leise bevor sie erschöpft in den Armen ihres Mannes einschlief.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt