45. Bei dir lasse ich mich fallen, alles geht, du bleibst

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Karin und Frida nutzten die Zeit, während Jakob seinen Mittagsschlaf machte, und saßen im Schatten ihrer alten Eiche im Garten auf einer großen Decke und waren zusammen tief in ein Buch abgetaucht. Die Vögel zwitscherten leise im Hintergrund und immer wieder sorgte ein leichter Hauch der Luft dafür, dass die Blätter raschelten. Die Sonne brannte vom wolkenlosen, blauen Himmel und der Sommerwind brachte ein wenig Abkühlung.
Nachdem Karin ihre beiden Kinder wie jeden Freitag frühzeitig nach dem Mittagessen aus dem Kindergarten abgeholt hatte, waren sie zusammen nach Hause gefahren, während Stefan bis zum späten Nachmittag in der Schule war, die vor zwei Wochen nach den Sommerferien wieder begonnen hatte. Jakob war bereits in seinem Kindersitz im Auto erschöpft von der Wärme und dem Toben mit seinen Freunden eingeschlafen, sodass sie ihren fünfzehn Monate alten Sohn direkt in sein Bett gebracht hatte. Nun ruhten die zwei Mädels auf ihren Bäuchen auf der rot und blau karierten Picknickdecke und lasen gemeinsam. Ihre Sandalen lagen neben ihnen im Gras und ihre nackten Fußsohlen streckten sie mit angewinkelten Beinen dem Himmel entgegen. Fridas ordentlich geflochtener Zopf vom Morgen hatte sich durch das wilde Spielen des Tages mit ihren Freunden halb aufgelöst, sodass sie sich immer wieder Haarsträhnen aus dem Gesicht pustete. Aus Karins Messy Bun hatten sich ein paar kurze, blonde Haare gelöst, die ihren freien Nacken kitzelten, der nicht von ihrem dunkelblauen Jumpsuit bedeckt war.
„Du, Mami?", ließ sich das fünf Jahre alte Mädchen auf die Seite rollen, nachdem sie das Buch zugeschlagen hatte.
Karin drehte sich ebenfalls auf ihre Seite und strich ihrer Tochter liebevoll ein blondes Strähnchen aus dem Gesicht. „Was gibt es, Frida?"
„Gibst du mir Anschwung beim Schaukeln?", Frida grinste ihr Vollmerlächeln und ganz wie bei ihrem Papa konnte Karin ihr nie widerstehen, sodass das Mädchen kurze Zeit später auf ihrer Schaukel durch die Luft flog und ihr grünes Sommerkleidchen sich im Wind bewegte.

Plötzlich knisterte und rauschte es im blauen Babyfon, das auf der Decke lag, und Karin und Frida vernahmen über ihr fröhliches Lachen ein leises „Mama". Die Beiden verstummten und lauschten still.
„Mama Jakob", erklang die sanfte Stimme des kleinsten Vollmers durch das Gerät.
„Mami, ich gehe in die Sandkiste und warte auf dich und Jakob", erklärte Frida, die schon von der Schaukel rutschte, die bereits fast zum Stillstand gekommen war und loslaufen wollte.
„Alles klar, aber vorher musst du noch deinen Sonnenhut aufsetzen und ich spanne dir den Sonnenschirm auf, damit du nicht in der Mittagssonne sitzt", griff Karin schon nach dem weißen Hut und dem Babyfon, um dies mit nach oben zu nehmen.
„Okay", grinste Frida, als sie ihrer Mama die Kopfbedeckung aus der Hand nahm und sich aufsetzte, um barfuß in Richtung Sandkiste zu rennen.

Als Karin die letzten Stufen nach oben ging, hörte sie bereits das durchdringende und freudige Gebrabbel ihres Sohnes und öffnete enthusiastisch seine Kinderzimmertür.
Der schmächtige und kleine Körper, der gerade mit seinem Mund bis zum Holzrahmen seines Gitterbettes reichte, klammerte sich mit seinen Händchen fest an die Gitterstäbe und wackelte vor Freude kräftig mit seinem Windelpo, als er seine Mama erblickte.
„Hallo Jakob, hast du gut geschlafen?", sprach sie ihn an, während sie näher kam und auf dem Weg das ausgeschaltete Babyfon ins Regal stellte.
„Mama", ein glückliches Lächeln überzog sein Gesicht, sodass der dunkelblaue Schnuller aus seinem Mund auf seine Matratze fiel und er streckte ihr eines seiner Ärmchen entgegen. In seinen Gesichtszügen erkannte Karin ihren Mann, nur seine blonden Haare und die durchdringenden blauen Äuglein hatte er genau wie Frida von ihr. In seinen vom Schlaf noch leicht geröteten Wangen, zog sich der Abdruck seines Kissens quer durch sein Gesicht und sie übersäte sein Gesicht gefühlvoll mit kleinen Küsschen, als sie ihren Sohn aus dem Gitterbett hob, was ihm ein entzückendes Lachen entlockte, das durch das Kinderzimmer hallte.
Mit noch kleinen Augen, aus denen sie liebevoll die Sandkörnchen strich, die sich im Schlaf in seinen Augen gesammelt hatten, schmiegte er sich fest und voller Vertrauen zum Kuscheln mit seiner Wange an ihre Brust. Sie küsste sein Köpfchen und genoss auf dem Weg zur Wickelkommode das Gefühl seines leichten Körpers in ihren Armen.
„Guck mal, Jakob. Hier ist deine Paula", reichte sie ihrem Sohn seine Stoffgiraffe, nachdem sie ihn auf seine Wickelauflage gelegt hatte. Sie verpasste ihm eine neue Windel und ein luftiges graues Outfit, während Jakob vergnügt mit seinem Kuscheltier wedelte, wild mit seinen Beinchen hampelte und fröhlich unverständliche Worte vor sich hin brabbelte.
Nachdem sie seine Haut mit Sonnenmilch eingeschmiert und die graue Sommermütze mit dem kleinen, blauen Ankern aufgesetzt hatte, ging sie mit ihm auf dem Arm nach unten.
Als sie die Terrassentür öffnete, fing Jakob aufgekratzt an zu zappeln, nachdem er nach einigem Blinzeln gegen das Sonnenlicht seine Schwester entdeckte, die im Sandkasten fleißig Sandkuchen backte. Karin setzte ihn ab und sofort startete er so schnell ihn seine nackten Füßchen tragen konnten zu Frida. Sie kam kaum ihrem flinken Sohn hinterher, da er ihre Zeigefinger mit seinen Händchen festhielt, um seinen Stand zu stabilisieren.
An der Sandkiste angekommen, ließ er die Hände seiner Mama los, krabbelte über die hölzerne Umrandung und ließ den Sand mit lauten Freudenrufen durch seine Fingerchen gleiten.
Karin setzte sich einige Minuten zu ihren Kindern und spielte ein bisschen mit ihnen, anschließend überließ sie den Geschwistern die Sandkiste allein, da sie sah, dass sich Frida sorgsam um ihren Bruder kümmerte und sie friedlich miteinander bauten, den feinen Sand durch Siebe filterten und die bunten Förmchen füllten. Sie selbst legte sich entspannt auf die Decke im Schatten, schloss ihre Augen und hörte im Hintergrund ihren Kindern beim Spielen zu. Sie streckte ihre Nase den Sonnenstrahlen entgegen, die sich ihren Weg durch die grünen Blätter bahnten und sie wohlig im Gesicht kitzelten.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt