26. Egal wie weit wir auseinander sind, wir haben den gleichen Mittelpunkt

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Stefan lief gerade die Treppe der Jugendherberge nach unten, als sein Handy in seiner Hosentasche ihm vibrierend signalisierte, dass er eine Nachricht erhalten hatte. Er fischte es heraus und sah, dass Karin ihm geschrieben hatte.
„Baden ist blöd, wenn Papa nicht da ist. Niemand macht Unsinn und überflutet das Badezimmer. 🐳😜"
Angefügt hatte sie ein Bild von Frida, die bis zum Hals in Badeschaum in der Badewanne saß. Auf ihrem Kopf türmten sich ihre in Shampoo getränkten Haare, sie hatte ihre Augen zugekniffen und ihren Mund zu einer Schnute verzogen. Stefan musste unwillkürlich grinsen, was Laura, der Referendarin, die gerade auf ihn zu kam, nicht verborgen blieb: „Na, schöne Nachricht bekommen?"
„Ja, Foto meiner Tochter." Stefan tippte noch schnell eine Antwort.
Nur Mama freut es, weil sie am Ende nichts aufwischen muss. 😂 Ich rufe euch an, wenn ich mit dem Essen fertig bin. 😊"
„Und jetzt wupp dich zum Abendbrot", wandte er sich zurück an Laura, die nur grinsend ihre Augen verdrehte, und Stefan steckte sein Telefon wieder in seine Tasche.

Stefan fiel erschöpft auf sein Bett, während er sein Handy aus seiner Hosentasche zog.
Es war später geworden als er dachte, denn seine Schüler hatten mit Laura und ihm nach dem Abendessen noch eine langwierige Diskussion über die Länge der Party gestartet, die heute Abend noch stattfand und die sie beaufsichtigen mussten. Seine Befürchtungen bestätigten sich, als er Karins Nachricht las und das Bild öffnete.
Dieses zeigte seine beiden Frauen, die gemeinsam in ihrem Bett lagen. Karins Gesicht zierte ein fröhliches Lächeln, obwohl er an ihren Augen ihre Müdigkeit erkannte. Ihren Oberkörper bedeckte ein grau-meliertes Shirt und bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es seines war, das sie trug. Am Rand des Bildes lugte ihre helle Bettwäsche mit den bunt gemusterten Kreisen hervor.
Frida schmiegte sich in ihrem gestreiften Schlafanzug mit Hasi im Arm an die Seite ihrer Mama, ihr Köpfchen lag auf ihrer Brust und ihre Augen waren im Schlaf fest geschlossen. Einige blonde Strähnchen fielen in ihr Gesicht, das ansonsten entspannt wirkte, dabei ruhte ihre Hand beschützend auf Karins Babykugel. Ihr Schlafanzugärmel war leicht nach oben gerutscht. Karin umarmte sie mit ihrem freien Arm und zog sie so dichter an sich und ihre Hand lag gemeinsam mit Fridas auf ihrem Bauch. An Karins linkem Ringfinger funkelte ihr Verlobungsring, der ein Grinsen auf sein Gesicht zauberte.
Anstrengender Tag und noch vor Papas Anruf eingeschlafen. 😴"
Er startete den Videoanruf und nur wenige Augenblicke später sah er seine Tochter, die inzwischen in seiner Bettdecke kuschelte. Ihr Mund war leicht geöffnet und ihren Hasi hielt sie fest umklammert im Arm. Mit ihren durchgewuselten Haaren sah sie beim Schlafen unfassbar niedlich aus und er wurde etwas wehmütig. Wie gerne würde er sie jetzt in seine Arme nehmen und ihr vertrautes Gewicht spüren. Früher hätte er niemals gedacht, dass er jemals irgendwen so vermissen könnte. Schließlich war er der Vollmer, der sich um seine Schüler kümmerte und ansonsten gut und gerne mit sich alleine lebte. Aber Frida und auch Karin veränderten ihn und inzwischen gab es nichts Schöneres als gemeinsame Zeit mit seiner Familie zu verbringen.
Nur kurz darauf schaute er in Karins erschöpftes Gesicht, da sie die Kamera zu sich drehte.
„Hey, dein T-Shirt kommt mir bekannt vor", begrüßte er sie grinsend.
„Du fehlst mir halt und das riecht wenigstens nach dir", erklärte sie trübselig.
„Ich vermisse euch auch", erwiderte er ehrlich.
„Das ist vollkommen irrational, aber meine Sehnsucht nach dir ist zur Zeit unglaublich groß. Ich sehne mich nach deiner Nase, die sich beim Schlafen immer wieder unbewusst in meine Haare vergräbt und nach deinem morgendlichen Anblick. Deine Augen sind dann immer noch klitzeklein und total schläfrig. Dann siehst du mich, deine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln und du begrüßt mich mit deinen liebevollen Küssen, bei denen mich dein Bart vertraut kratzt. Mir fehlt einfach deine große, warme Hand, die sich unter mein Shirt schleicht und liebevoll auf meinen nackten Bauch legt, um Jakobs Bewegungen zu spüren und wir uns dann aneinander schmiegen."
Karin wischte sich über ihre glänzenden Augen und murmelte: „Blöde Hormone."
„Ich wäre jetzt auch viel lieber bei euch und würde dich in den Arm nehmen, aber wir haben bereits Mittwoch und in zwei Tagen bin ich doch schon wieder bei euch zu Hause."
„Zum Glück. Wie war euer Tag in Hamburg?", wechselte Karin das Thema, um nicht direkt wieder in Tränen auszubrechen.
„Wir haben ganz entspannt erst eine Alsterrundfahrt gemacht und danach ein Spiel zur Stärkung der Klassengemeinschaft gespielt, da hatte Laura wirklich eine sehr gute Idee. In Kleingruppen wurden wir in Räume eingesperrt und mussten innerhalb einer Stunde mit Hilfe von Hinweisen einige Rätsel lösen, um am Ende den Code des Schlosses zu knacken und damit die Tür zu öffnen."
„Wie ich sehe, hast du es auch wieder nach draußen geschafft", lachte sie leise, um Frida nicht zu wecken.
„Ja, zum Glück. Heute Abend gibt es dann noch eine Party, die Laura und ich beaufsichtigen dürfen." Er verdrehte entnervt seine Augen. „Morgen werde ich also erst mal ausschlafen, meinen freien Tag mit einer ausgiebigen Joggingrunde starten und mich nachmittags mit Michael treffen. Mal schauen, wie es Andrea und ihm hier in Hamburg geht."
„Dann mal liebe Grüße."
Damit war das Thema zwischen den beiden auch schnell beendet, denn keiner erinnerte sich gerne an die Zeit und an die Schmerzen zurück, die ihre Trennung bei ihnen hinterlassen hatte.
„Wieso ist die kleine Maus neben dir überhaupt so müde? Normalerweise geht sie doch erst in einer halben Stunde schlafen", erkundigte sich Stefan bei seiner Frau.
„Im Moment ist doch Waldwoche im Kindergarten, also den ganzen Tag an der frischen Luft durch die Gegend toben."
„Ach stimmt ja. Da gibt es wieder einiges zu entdecken und dann hattet ihr heute ja noch einen besonderen Arzttermin."
„Ja, den hatten wir. Es war so niedlich wie Frida aufgeschreckt ist, als sie plötzlich zum ersten Mal die durchdringenden Herztöne im Ohr hatte. Sie hat drei Mal bei Dr. Franke nachgefragt, ob das wirklich ihr kleiner Bruder ist", schmunzelte Karin bei dieser Erinnerung.
„Oh man, wie gerne wäre ich dabei gewesen", gab er geknickt zurück. „Danke für dein Video, dann konnte ich wenigstens ein bisschen daran teilhaben. Bei dir und dem kleinen Mann ist wirklich alles in Ordnung?"
„Ja, uns beiden geht es blendend und sechs Wochen vor dem errechneten Termin ist alles im grünen Bereich. Nur Frida hat der Tag geschafft. Sie war beim Baden schon unglaublich müde und aus diesem Grund extrem mürrisch. Dann fehlte ihr auch noch ihr Papa und ich musste ihr sogar den Schlafanzug anziehen, normalerweise will sie sich dabei ja nie helfen lassen, wie du weißt. Ich muss dir auch noch etwas „beichten"." Das letzte Wort unterstrich Karin mit Anführungszeichen, die sie mit einer Hand in die Luft malte und sich anschließend mit dieser für einen kurzen Moment lachend die Augen zuhielt. Stefan schaute sie erwartungsvoll an.
„Frida war so müde, dass ich sie schnell in unser Bett gelegt habe, um etwas zum Abendessen von unten zu holen. Wir haben also noch schnell eine halbe Scheibe Käsebrot gegessen und dabei dein Bett voll gekrümelt", grinste sie ihn unschuldig an.
Karin und Stefan plauderten noch eine Weile über ihren Tag, bis sie beim Reden schon nur noch mit großer Mühe ihre Augen offen halten konnte und fast jeder Satz durch ein schläfriges Gähnen von ihr unterbrochen wurde.
Stefan bemerkte ihre Müdigkeit und wie sie sich unbewusst immer tiefer in ihr Kissen vergrub: „Du bist schon unfassbar kaputt, also würde ich sagen, dass wir unser Gespräch jetzt mal beenden."
„Nein, bin ich gar nicht", versuchte sie ihn zu überzeugen, doch Stefan schüttelte nur wissend den Kopf.
„Du bist müde und leugnen hilft gar nichts. Die Indizien sprechen eindeutig dafür."
„Ich weiß", stimmte Karin ihm lächelnd und mit winzigen Augen zu.
„Ich weiß, dass du das weißt", neckte er.
„Auch das weiß ich."
„Ich weiß, außerdem beginnt gleich die Party."
Dieser Satz von ihm brachte beide zum Schmunzeln.
„Stefan, ich freue mich, wenn du wieder bei uns bist. Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch, passt auf euch auf und gib Frida einen Kuss von mir."
Das Letzte, was er verwackelt auf dem Bildschirm seines Handys sah, war Karin, die ihrer schlafenden Tochter die blonden Haare aus der Stirn strich, um ihr ein liebevolles Küsschen von ihrem Papa zu geben.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt