Carter's Geheimnis

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Ich brauchte eine Weile bis ich verstand, was die Worte bedeuteten. Die Ereignisse der letzten Wochen spielten sich in wenigen Sekunden vor meinem geistigen Auge ab. Mein Albtraum schien plötzlich real geworden zu sein. Wie eine Vision die versucht hatte, mich an das Geschehen zu erinnern. Es ergab alles einen Sinn. Die Brandflecke in meinen Klamotten, das ganze Blut, als ich in der Akademie das aller erste Mal erwachte.
Mein Verschwinden hatte mit Sicherheit was mit dem Brand zu tun! War es meine Schuld? Hatte ich den Brand wohlmöglich verursacht?

Ich starrte auf meine Tasse Kakao und versuchte die Puzzleteile zusammenzufügen, die mir im Kopf herumschwirrten. Während ich so nachdachte, beobachtete ich die Sahne in meiner Tasse, die sich langsam auf der grau-braunen Oberfläche verteilte. Dumpf nahm ich Stimmen wahr, die versuchten zu mir durchzudringen. Ich war wie gelähmt und spürte Hysterie in mir aufsteigen. Ich hatte eine Frage auf der Zunge, wollte sie jedoch nicht stellen, da ich befürchtete die Antwort bereits zu kennen.

"Jane?" Ich sah erschrocken auf und blickte Marie in die traurigen Augen. "Hey Süße, es wird alles wieder gut!"

Ich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, das wird es nicht!", dachte ich verbittert und senkte wieder den Blick auf meine Tasse. Als nichts mehr von der weißen Sahne zusehen war, hob ich erneut den Kopf. Ich begegnete besorgte Gesichter. Heißer flüsterte ich: "Und meine Eltern?"

Marie, Clarissa und Laura wandten den Blick ab. Jeder von ihnen sah in eine andere Ecke. "Marie, bitte!", flehte ich.

Meine Augen fingen an zu brennen und ich kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.

"Wir wissen es nicht. Deine Eltern sind spurlos verschwunden. Niemand weiß was mit ihnen passiert ist. Die Polizei fand keine menschlichen Überreste.", erklärte Marie leise. Sie sprach in ihren üblichen beruhigenden Ton. Das tat sie immer, wenn sie bemerkte, dass ich kurz vor einer Panikattacke stand. "Es ist gut möglich dass sie noch leben."

Ich schnappte nach Luft und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich erhoffte dadurch mehr Luft zu bekommen. Ich verspürte einen unfassbaren Schmerz, als würde mir jemand die Eingeweide herausreißen und das Herz in einen Schraubstock spannen.

Ich versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Als ich bemerkte, dass es nicht besser wurde, stand ich abrupt auf. Ich wollte an die frische Luft gehen. Mir wurde schwindelig, ich taumelte und fiel dann schließlich zur Seite. Bevor ich auf den Boden aufschlug, fing Marshall Lee mich auf. Mit einer Geschwindigkeit, die kein Sterblicher hätte verfolgen können. Er bekam mich am Rücken gepackt uns setzte sich zusammen mit mir auf den staubigen Boden. Hustend und nach Luft schnappend sah ich mich im Raum um. Ich lag jetzt mit dem Kopf in Marshall Lee's Schoß.

Es herrschte plötzlich Unruhe unter den Gästen. Drei riefen nach Bediensteten und ein anderer wählte die Nummer des Notarztes.

"Auf keinen Fall!", dachte ich und richtete meine rotbraunen Augen auf Marshall Lee. Der schien ebenfalls nicht begeistert darüber zu sein. Und ich wusste auch warum. Denn wenn ich ins Krankenhaus kam, würde man ganz schnell feststellen, dass ich als Vermisst galt.

"Ganz ruhig! Atme Jane. Atme!", drang Marshall Lee's Stimme zu mir durch. Ich sah in sein angstverzerrtes Gesicht und bekam ein schlechtes Gewissen. Er machte sich wirklich Sorgen um mich und ich undankbare Kuh wollte ihn aus dem Weg räumen.

"Atme! Bitte!", flüsterte er.

Ich versuchte es. Aber es gelang mir nicht, als hätte mir jemand die Kehle zugeschnürt.
Mitfühlend schob Marie Marshall Lee beiseite und nahm mich nun auf ihren Schoß. Sie hatte eine Tüte dabei. Ich erkannte sie wieder. Es war eine blau gepunktete Tüte. Marie trug sie immer bei sich. Falls ich mal wieder eine Panikattacke bekam. Sanft presste sie die kleine Tüte mit den Verschluss gegen meinen Mund. Ich atmete hastig in die Tüte ein, dann aus und dann wieder ein. Diesen Vorgang wiederholte ich zwei Minuten lang, bis ich das Gefühl hatte, wieder richtig atmen zu können. Meine Atmung wurde wieder gleichmäßiger. Vorsichtig half mir Marie auf und setzte mich auf meinen Stuhl zurück.

Verführerisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt