Es war nicht sehr voll auf dem Schiff. Viele Passagiere waren nicht viel älter als ich, was mich ehrlich gesagt doch ziemlich überraschte. Ich probierte zuerst aus, ob der Schlüssel zu dem Zimmer, in dem ich die nächsten Stunden leben würde, passte. Das tat er. Also hatte ich einen Ort der Zuflucht. Naja, sofern man das so nennen konnte.
'Jetzt verfall nicht in irgendwelche Zustände. Vielleicht ist dein Vater ja so wie deine Mom. Bring die Schifffahrt hinter dich. Sie ist schon so beschissen genug, dann musst du es nicht noch schlimmer machen.' motzte ich mich selbst an.
Ich verschloss das Zimmer wieder und machte einen kleinen Rundgang. Nach einer halben Stunde hatte ich ihn beendet. Gerade rechtzeitig. Denn wie ich erwartet hatte, war mir speiübel.
Ich war gerade an Deck und die Meeresbrise durchzog die Luft. Der salzige Geruch stach mir in die Nase und einen Moment wurden mir die Knie weich. Ich ließ mich zittrig auf eine Bank an einem der Tische rutschen und rieb mir die Stirn. Ich atmete tief durch und war froh darüber, dass mein Körper nichts hatte, was er hätte wieder hergeben können.
Ich war mir nicht sicher, wie lange ich das aushalten konnte. Fliegen war ja schon die Härte gewesen, aber das hier war nun wirklich die Krönung. Ich erinnerte mich nicht, wann mir das letzte Mal so schlecht gewesen war. Ich schloss die Augen und stützte die Stirn gegen meine Hand.
Ich hab keine Ahnung, wie lange ich dort gesessen hatte. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, die ich versuchte, die Zeit irgendwie um ein paar Stundem voraus zu stellen. Erst die Gegenwart eines anderen Passagieres ließ mich aus der Dunkelheit meiner Gedanken erwachen. Naja, eigentlich war es eher die Stimme, die mich aufweckte.
"Hey, ist alles in Ordnung?"
Ich schlug die Augen auf und ließ die Hand sinken. Auf der Bank gegenüber saß ein Junge mit goldenen Locken und klaren blauen Augen, die meine Züge musterten.
"Ja, klar." sagte ich. Ich verschränkte die Arme auf der Tischplatte und grub die Fingernägel in meinen Ellenbogen. Er sah gut aus, das stand völlig außer Frage. Allerdings bezweifelte ich, dass es vorteilhaft war, mit so jemandem ein Gespräch zu beginnen, wenn die Gefahr bestand, dass man jeden Moment vor ihm auf den Tisch kotzte.
"Bist du sicher?" fragte er mit skeptischem Blick. "Du siehst aus, als hättest du gerade literweise Alkohol getrunken."
"Tja, diese Vermutung wird wohl kaum zutreffen." erwiderte ich. Ich strich mir eine Haarsträhne aus den Augen. "Ich trinke nicht."
"Da tust du gut dran." meinte er. Er zog einen Mundwinkel hoch.
Natürlich. Ich hätte wissen sollen, dass er sich über mich lustig machte. Aber es interessierte mich nicht weiter. Sollte er doch lachen, wenn er wollte, mir war ziemlich egal, was er von mir dachte.
"Bist du seekrank?" wollte er wissen.
Ich seufzte. "Keine Ahnung, ich fahre das erste Mal mit einem Schiff." Ich konnte Galle schmecken und räusperte mich, um dieses ekelhafte Gefühl los zu werden. "Aber ich glaube ja."
Er griff in seine Tasche und hielt mir eine kleine Pappschachtel hin. "Versuch es damit."
Ich nahm ihm die Schachtel ab und sah von der Aufschrift zu ihm. "Bist du auch seekrank?"
"Nein, bis jetzt habe ich Seefahrten immer gut überstanden. Aber sicher ist sicher, deswegen habe ich welche." sagte er.
Ich musste über mich selbst grinsen. Ich wusste, dass ich reisekrank war und trotzdem hatte ich keine Tabletten bei mir. Ich hätte ihm natürlich gestehen können, dass sich meine in meinem Koffer befanden und ich vergessen hatte, sie raus zu nehmen, bevor ich nicht mehr dran konnte. Aber wieso hätte ich es auch sagen sollen? Es musste ja nicht gleich innerhalb weniger Stunden das halbe Schiff erfahren, dass ich ein solcher Tollpatsch war.
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Spuren im Sand
FantasyIm Leben der sechzehnjährigen Milena läuft gerade alles schief. Ihre Mutter, der wichtigste Mensch in ihrem Leben, stirbt bei einem Unfall. Für die einsame Blondine bricht eine Welt zusammen. Sie soll zu ihrem Vater ziehen. Während ihrer Reise schli...