Kapitel 29

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Er war hier. Er war tatsächlich gekommen. Ein winziges Lächeln rang sich auf meine Lippen durch, während mir weiter die Tränen über die Wangen liefen.
"Milena!" rief Jamie, als sein Blick mich traf. Seine Augen waren weit aufgerissen und durch seine nassen, verdreckten und zum Teil zerrissenen Kleider konnte ich sehen, wie seine Muskeln bis aufs Äußerste gespannt waren.
Al hinter mir griff mit seinen langen Fingern noch kräftiger in meine Haare und zog meinen Kopf zu sich, sodass mein Körper den seinen berührte. Die Klinge des Messers in seiner Hand presste sich an meinen Hals, wo sie einen brennenden Schmerz entstehen ließ, als sie die zarte Haut aufritzte. "Einen Schritt weiter und die Kleine ist tot!"

Jamie verkrampfte den Kiefer und blieb genau so wie Emmet an Ort und Stelle stehen. Es war deutlich zu sehen, wie sehr es ihm missfiel, dass sie die Sache nicht auf gewohnte Art und Weise nach ihrer Kontrolle beenden konnten.
Ich hörte, wie Al ein tiefes triumphierendes Lachen über die Lippen kam. "Jamie. Es ist lange her, dass ich dich das letzte Mal gesehen habe."
Wie bitte? Die beiden kannten sich?

"Damals bist du allerdings noch nicht so sehr am Erhalt des Lebens eines kleinen Püppchens interessiert gewesen wie jetzt." Sein Griff um das Heft seines Messers verfestigte sich und ich verzog abermals das Gesicht, als ich spürte, wie sich die Schneide ihren Weg in meine Haut bahnte. "Ich habe dieses Mal wohl Glück gehabt. Ich könnte mich an dir rächen. Und zwar ganz ohne auch nur im Entferntesten Gefahr zu laufen, wieder zu verlieren. Ganz einfach, indem ich dich dabei zusehen lasse, wie die Kleine leidet und um Erlösung bettelt. Ob ich sie ihr auch gebe, entscheide ich dann, wenn ich herausgefunden habe, ob es mir Spaß macht oder nicht. Bis jetzt hatte ich allerdings sehr viel Spaß mit ihr. Wahrscheinlich wäre es jetzt, wo ich weiß, dass ich damit noch viel mehr bezwecken kann, noch viel lustiger!"
"Lass sie gehen!" knurrte Jamie ihn durch zusammen gebissene Zähne an. "Das ist eine Sache zwischen dir und mir. Wenn du dich rächen willst, von mir aus, komm her und versuch es. Aber halt sie daraus, sie hat nichts damit zutun!"
Wieder lachte Al. "Jamie, Jamie, Jamie. Eigentlich hatte ich gedacht, du würdest die Mitglieder unserer Organisation inzwischen etwas besser kennen. Wir lassen Taten sprechen. Und verhandeln tun wir was unsere Opfer anbelangt schonmal gleich gar nicht, solange wir keine wohlhabenderen Menschen vor uns haben, die uns für die Freiheit ein paar mickriger Gestalten ein ordentliches Sümmchen bieten können."

Jamie verzog angewidert das Gesicht. "Wie kann man sich nur so Menschen verachtend verhalten? Macht es dir Freude, Menschen so leiden zu sehen? Würde es dir denn genau so viel Freude bereiten, wenn sich jemand leiden lassen würde?"
"Selbstverständlich bereitet es mir Freude. Sogar sehr. Ich habe die Stunden mit deiner kleinen Freundin sehr genossen. Und ich genieße sie noch immer." sagte Al. "Da ich jedoch nicht zu all dem niederen Abschaum gehöre, wird mir niemals jemand Leid zufügen."

Emmet stieß ein animalisches Knurren aus. "Das lässt sich ändern, du mieses Drecksschwein!"
"Ah ah ah!" Al presste grinsend die Klinge des Messers an meine Kehle und ich wimmerte leise auf. "Wir wollen doch nicht, dass ich eurer Prinzessin wehtue!"

Ich schloss für einen Moment die Augen und stieß den Atem so gleichmäßig wie nur irgendwie möglich durch meine bebenden Lippen hindurch. Wieso tat er es nicht einfach? Anstatt mir langsam die Haut einzuritzen, wieso stach er nicht einfach zu und erfüllte sich seinen Wunsch? Jamie war hier, sie konnten ihn nicht mehr mit mir erpressen. Ich hatte keinen Nutzen mehr für sie. Allein schon deswegen, weil ich spüren konnte, wie mir die Kraft ausging. Ich konnte nicht mehr. Und ich wollte auch überhaupt nicht mehr.
Stille erfüllte den Lagerraum. Weder Jamie noch Emmet oder Al rührten sich von der Stelle oder verloren ein einziges Wort. Erst nach einem irrsinnig langen Moment zerschlug die dreckige Stimme von Al die Stille.
"Wie habt ihr uns gefunden?" wollte er wissen. "Als wir die Kleine einkassiert haben, war keiner von euch in der Nähe."
"Weil wir schlauer sind als ihr und weil ihr einfach grottenschlecht darin seid, unbemerkt zu bleiben und nicht aufzufallen." fauchte Emmet.
Al seufzte. "Du willst es wohl einfach nicht verstehen, oder?" Er hob das Messer von meiner Kehle, riss mich an den Haaren zur Seite und trat mir mit voller Wucht in den Magen. Ich wollte schreien vor Schmerz, aber alles, was meiner Kehle entrann war ein ersticktes Stöhnen. Meine Sicht flimmerte, im Inneren meines Kopfes fühlte es sich an, als wäre ein Feuer ausgebrochen, das alles nieder brannte. Ich sah je zwei paar Füße von Jamie und Emmet anstatt nur eins. Gerade als ich wieder nach Luft schnappen wollte, die mir fehlte, braute sich jedoch innerhalb von Sekunden etwas zusammen und ehe ich mich versah, musste ich würgen. Die Galle brannte furchtbar in meinem ohnehin schon gereizten Hals und ließ brennende Schmerzen an meinen aufgeplatzten Lippen aufflammen, ehe sie vor mir auf den Boden tropfte.

Spuren im SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt